Verstärkte Klimawandel-Anpassung in Städten nötig

Städte sind besonders vom Klimawandel betroffen. Mehr Hitzetage und Starkregenereignisse sind eine Herausforderung, auch für die Infrastruktur. Entsiegelung im Straßenraum sowie mehr Grünflächen und Wasserelemente helfen, die Folgen der Erderhitzung abzufedern. Gleichzeitig erhöhen solche Maßnahmen die Lebensqualität in der Stadt.

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In den vergangenen zehn Jahren wurden in Österreich vier bis 13,5 Quadratkilometer für Straßen pro Jahr verbaut.1 Der Hitzestau-Effekt in den Städten durch die dichte Verbauung und Versiegelung führt in der Nacht zu Lufttemperaturunterschieden von bis zu zehn Grad Celsius im Vergleich zum Umland.2 Besonders in Siedlungsgebieten führen die hohe Versiegelung und mangelnde Grünflächen zu Hitzeinseln. Um diesen Auswirkungen entgegenzuwirken und die Lebensqualität der Bevölkerung zu erhalten, ist die vermehrte Umsetzung von grüner und blauer Infrastruktur entscheidend.

Grüne und blaue Infrastrukturen forcieren

Der Klimawandel bringt nicht nur einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von 1,5 bis 4,0 Grad Celsius in den nächsten Jahrzehnten mit sich, sondern auch vermehrte Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Starkregen und Stürme.3 Die Stadtplanung und die Gestaltung von Straßen können einen entscheidenden Beitrag für klimafitte Städte leisten. Zwei Ziele lassen sich hier kombinieren: Beschattung, Begrünung und Entsiegelung im Straßenraum helfen erstens, die Klimaresilienz in der Stadt zu erhöhen. Zweitens wird die Lebensqualität gesteigert.

Österreichweit hat der Verkehr an den versiegelten Flächen einen Anteil von 43 Prozent, in den Landeshauptstädten ist der Anteil niedriger und liegt zwischen 28 Prozent in Graz und 40 Prozent in St. Pölten. Eisenstadt und St. Pölten weisen mit jeweils mehr als 100 Quadratmeter pro Kopf im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die höchste versiegelte Verkehrsfläche auf, Wien mit rund 25 Quadratmeter pro Kopf die niedrigste, gefolgt von Graz, Innsbruck und Bregenz mit jeweils knapp unter 40 Quadratmeter pro Kopf.4 Insbesondere in Siedlungsgebieten verschärfen versiegelte Flächen an heißen Tagen die Hitzebelastung. Bei Starkregen wiederum steigt das Risiko für Überschwemmungen.5

Hitzetage nehmen stark zu

Tage mit Temperaturen von 30 Grad oder mehr nehmen insbesondere in den Städten durch die Erderhitzung und hohe Versiegelung zu. In Wien gab es zwischen 1981 und 2010 im Schnitt 15 Hitzetage pro Jahr, im Zeitraum 2011 bis 2021 waren es mit durchschnittlich 28 fast doppelt so viele. In Linz und Graz hat sich die Zahl der Hitzetage von jeweils zehn auf jeweils 22 pro Jahr mehr als verdoppelt. Noch stärker hat die Zahl der Tropennächte zugenommen: In Graz von durchschnittlich 0,6 auf 5,7 und in Linz von 0,2 auf fünf. In Wien von durchschnittlich drei pro Jahr im Zeitraum 1981 bis 2010 auf jährlich neun zwischen 2011 und 2021 und einem Maximum von 42 im Jahr 2015.6

Parkflächen heizen bis in die Nacht auf

Parkplätze sind meist asphaltiert, sodass Regen auf diesen Flächen nicht versickern kann. Der Asphalt heizt sich durch die Sonneneinstrahlung auf bis zu 60 Grad auf.7 Unter den parkenden Pkw entsteht ein Wärmepolster, welches das Umfeld bis in die Nacht weiter aufheizt. In der Nacht ist bereits jede fünfte Person in Österreich durch die Hitze körperlich beeinträchtigt, in Wien sogar jede vierte Person.8

Intelligente Parkplatzentsiegelung umsetzen

Parkplätze zu entsiegeln und wasseraufnahmefähig zu gestalten, ist eine wichtige Maßnahme zur Klimawandelanpassung.  Wenn der Boden Wasser aufnehmen und speichern kann, reduziert das die Überschwemmungsgefahr und die Verdunstung trägt an heißen Tagen auch zur Kühlung des Straßenraums bei.

Pflastersteine können zum Beispiel mit aufgeweiteten Fugen ausgeführt werden, sodass Regenwasser durch die Fugen in den Untergrund geleitet wird. Porensteine ermöglichen eine Versickerung direkt durch die Steine. Diese sind aber weniger belastbar als beispielsweise Natursteinpflaster, deren Fugenräume auch einen Lebensraum für Mikrofauna bieten. Rasengittersteine sind eine weitere Möglichkeit, die auch mehr Rutschfestigkeit bietet als Naturstein.9

Vom Parkplatz zum Aufenthaltsort in Tulln

Der Nibelungenplatz im Stadtzentrum von Tulln war bisher ein Parkplatz. Im Jahr 2021 beschloss der Gemeinderat, den Platz zu einem begrünten, einladenden Treffpunkt umzugestalten. Nach einem umfassenden Bürgerbeteiligungsprozess und detaillierter Planung wird der Platz nun ab dem Jahr 2024 statt einem Parkplatz ein Ort zum Verweilen sein. Insgesamt werden die Parkplätze von 211 auf 54 reduziert. Die Fläche wird zu 71 Prozent versickerungsoffen und weitere 23 Prozent versickerungsfähig gestaltet – etwa durch viele Grünanlagen, Kies und Pflastersteine.17 Dadurch können die neuen Bäume auch auf genügend gespeichertes Wasser zugreifen, um mit großen Kronen für Beschattung zu sorgen. Ein Nebelspiel sowie die Bewässerung der Grünflächen werden digital gesteuert, um den Wasserverbrauch zu minimieren.18

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Klimafitte Rad- und Gehwege einführen

Für Rad- und Gehwege gibt es unterschiedliche Gemische an wasserdurchlässigen, entsiegelten Bodenbelägen. Natürliche Wegedecken können hierbei verschiedene wassergebundene Mineralgemische aus Natursteinmaterial (Edelsplitt, Kies) sein.10 Gerade auf stark frequentierten Gehwegen ist es wichtig, bei der Wahl des Bodenbelags die Wasserdurchlässigkeit, aber auch die Beschattung und Barrierefreiheit zu beachten. Damit diese Wege einfach mit Rollstühlen und Kinderwägen befahren werden können, sind feste Wege notwendig, aber auch diese können auch mit einer guten Versickerungsleistung ausgeführt werden.

Hitzestress auf Fahrbahnen reduzieren

Hellere Fahrbahnen können Hitze reduzieren. Konkrete Temperaturunterschiede konnten im Rahmen eines Pilotprojekts in Paris gemessen werden. In drei Straßen wurden neu entwickelte Asphaltmischungen verlegt. Durch eine hellere Färbung und poröse Oberfläche entwickelt sich weniger Hitze und Wasser kann verdunsten. Die Lufttemperatur in den so erneuerten Straßen wird um etwa ein Grad reduziert.11

Für eine Reduktion der gefühlten Temperatur tagsüber ist eine Kombination von Maßnahmen notwendig. Eine Auswertung von Gestaltungsvarianten der Kirchengasse in Wien-Neubau zeigt, dass der Hitzestress für zu Fuß Gehende durch Bäume, Grünflächen und hellere Bodenbeläge in dieser Straße um bis zu 15 Grad reduziert werden kann.12

Grafik zeigt, wie der Straßenraum begrünt und klimafit gemacht werden kann
Vielfältige lokal angepasste Maßnahmen sorgen für weniger Hitze, bessere Wasserversickerung und mehr Aufenthaltsqualität.

Begrünung für mehr Lebensqualität

Der kühlende Effekt von Pflanzen kann anhand verschiedener Begrünungen von Infrastruktur und Gebäuden genutzt werden und hat vielseitige positive Wirkungen auf den Menschen und die Umwelt. Im Verkehrssystem können diese Effekte insbesondere durch die Begrünung von Fassaden, Dächern und Infrastruktur genutzt werden. Würden alle Fassaden in einem Straßenabschnitt begrünt werden, kann sich die Wärmebelastung um fast zehn Prozent reduzieren.13 Die Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs können etwa mit Rankpflanzen oder Dachbegrünung versehen werden. In vielen europäischen Städten gibt es dazu gute Erfahrungen mit Grüngleisen.  In Lyon, Barcelona, Freiburg und Budapest werden beispielsweise neuere Streckenabschnitte der Straßenbahnen mit Rasengleisen ausgeführt. In Österreich sind in Linz fast 16 Kilometer der Gleiskörper Grüngleise. In Wien wurden bisher acht Kilometer umgesetzt.14

Wasser kühlt die Stadt

Wasser spielt eine zentrale Rolle bei der Anpassung von Städten an den Klimawandel. Es trägt dazu bei, Hitzestress zu mindern, indem es durch Verdunstung und Kühlung die Umgebungstemperatur senkt. Durch Entsiegelung, Begrünung und Sprühnebelanlagen im Esterházypark in Wien-Mariahilf wird die gefühlte Umgebungstemperatur beispielsweise um bis zu sechs Grad gesenkt.15 Auch Wasserflächen haben messbare Kühlungseffekte. Im urbanen Raum sorgen Teiche, Seen und Flüsse unter Tags für bis zu 2,5 Grad geringere Umgebungstemperatur.16 Die Integration von Wasser in grüne Infrastruktur, wie Regenwasserrückhaltebecken und naturnahe Flusssysteme, stärkt die natürliche Resilienz von Städten und erhöht gleichzeitig ihren ökologischen Wert.

Platz für Bäume schaffen

Bäume tragen maßgeblich zur Kühlung der Umgebung bei, etwa durch Beschattung und Verdunstungskälte. Besonders Bäume leiden aber unter den städtischen Gegebenheiten an zu wenig Wurzelraum und damit zu wenig Speicherkapazitäten für notwendiges Wasser. Die Standzeit neugepflanzter Straßenbäume in Städten liegt deshalb oft bei nur 10 bis 20 Jahren. Das Schwammstadtprinzip gibt den Wurzeln durch die Kombination von grobem und feinem Substrat wieder ausreichend Platz zum Wachsen, Atmen und für die notwendige Nährstoffzufuhr. Realisierungen von Schwammstadtprojekten gab es bisher beispielsweise in der Eggenberger Allee in Graz, am Johann-Nepomuk-Vogl-Platz in Wien, am Praterstern in Wien, in der Ing. Etzel-Straße in Innsbruck oder am Hauptplatz in Lanzenkirchen.

Grüne und blaue Infrastruktur umsetzen

Die Möglichkeiten für Kühlung und Entsiegelung in Städten sind vielfältig und nicht nur im Hinblick auf Klimawandelfolgen notwendig. Sie verschönern auch den Lebensraum von immer mehr Menschen, die im urbanen Gebiet wohnen und arbeiten. Es bedarf mehr Platz für Begrünung und Wasserflächen für ein angenehmes Stadtklima. Dass entsiegelte und begrünte Straßenräume zusätzlich für höhere Aufenthaltsqualität sorgen und die Resilienz der Städte verbessern, beweisen zahlreiche Umsetzungsbeispiele. Die lokale Temperatur kann gesenkt werden, Feinstaub wird gebunden, Lärm reduziert und das Überschwemmungsrisiko gesenkt.

Verkehrsflächen neu gestalten

Städte können ihre Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels verbessern und die Hitze reduzieren, indem sie auf verschiedene auf die lokalen Anforderungen angepasste Maßnahmen setzen. Dazu gehört die Entsiegelung von Verkehrsflächen und insbesondere Parkplätzen, der Ausbau grüner Infrastruktur wie Parks und urbaner Gärten sowie die Anpassung der Stadtplanung, um natürliche Belüftung und Beschattung zu fördern. Die Verwendung kühlender Oberflächenmaterialien für Straßen, Dächer und Fassaden und eine verbesserte Wasserbewirtschaftung können ebenfalls helfen.

VCÖ-Empfehlungen

Grüne und blaue Infrastruktur für eine klimafitte Stadt umsetzen

  • Resilienz von Städten gegen Hitze, Lärm und Überschwemmungen durch die Umsetzung von grüner und blauer Infrastruktur stärken.
  • Platz schaffen im Bestand zur Neuverteilung des Straßenraumes zugunsten von Grünraum, Bäumen, weiterer Beschattung und Wasserflächen von der das Stadtklima und somit die Gesellschaft profitiert.
  • Verkehrsflächen und Parkplätze reduzieren und entsiegeln, um die Versickerungsfähigkeit des Bodens zu verbessern.
  • Versickerungsfähige Oberflächen bei Geh- und Radwegen zur Reduktion lokaler Hitze und des Überschwemmungsrisikos einsetzen.
  • Begrünung von geeigneten Flächen im Stadtraum wie Dächer, Fassaden und Gleisbereiche forcieren und Retentionskaskaden berücksichtigen.
  • Schwammstadtprinzip bei der Pflanzung von Bäumen anwenden, damit sich langlebige, gesunde Bäume entwickeln können.
  • Umfassende und nachhaltige Wasserbewirtschaftung umsetzen, um Städte widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen.

Katharina Jaschinsky, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft

„Blaue und grüne Infrastrukturen ermöglichen nicht nur eine Entlastung der Städte durch weniger Hitzetage und Überschwemmungen, sondern schaffen auch mehr Aufenthaltsqualität.“

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Die inhaltliche und redaktionelle Erstellung des VCÖ-Factsheets erfolgt durch den VCÖ. Der Inhalt muss nicht mit der Meinung der
unterstützenden Institutionen übereinstimmen. Dieses Factsheet entstand mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien.


Quellen

Quellen

1 UBA 2023: Flächeninanspruchnahme (abgerufen am 14.11.2023) Weblink
2 Mentaschi L., u.a. 2022: Global long-term mapping of surface temperature shows intensified intra-city urban head island extremes. In: Global environmental Change – Human and Policy Dimensions.  ISSN 0959-3780, 72, p. 102441, JRC123644.  
3 IPCC, 2023: Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds)]. IPCC, Geneva, Switzerland, 184 pp., doi: 10.59327/IPCC/AR6-9789291691647.  
4 ÖROK, Monitoring Flächeninanspruchnahmen, Wien 2023 (abgerufen am 19.03.2024) Weblink
5 EEA 2012: Urban adaptation to climate change in Europe: Challenges and Opportunities for cities together with supportive national and European policies. Kopenhagen: European Environment Agency.  
6 Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG): Daten auf VCÖ-Anfrage am 29.7.2019. Wien: 2019  
7 Zafra, M. 2023: The floor is lava – How concrete, asphalt and urban heat islands add tot he misery of heat waves  (abgerufen am 04.12.2023) Weblink
8 Statistik Austria, 2020: Umweltbedingungen, Umweltverhalten 2019 – Ergebnisse des Mikrozensus. Wien: Statistik Austria (abgerufen am 04.12.2023) Weblink
9 Natur im Garten Service GmbH und Grünplan GmbH 2020: Klimafitte Parkplätze - Durch Entsiegelung der sommerlichen Hitze entgegensteuern - Endbericht zum Forschungsprojekt. Tulln, Leobersdorf: Natur im Garten Service GmbH.  
10 Ökowege GmbH 2023: Ökowege Vereinigung  (abgerufen am 04.12.2023) Weblink
11 Ville de Paris 2023: Cool & Low noise Asphalt – Projet LIFE: Layman’s Report (abgerufen am 04.12.2023) Weblink
12 Weatherpark GmbH 2019: Diagnose des Sommerkomforts in der Kirchengasse in 1070 Wien – Endbericht. Wien: Weatherpark GmbH.  
13 Zölch, T. u.a. 2016: „Using green infrastructure for urban climate-proofing: An evaluation of heat mitigation measures at the micro-scale.“ In: Urban Forestry & Urban Greening 20: 305-316.  
14 Palásti S.: Grüngleis- Potenziale im Netz der Wiener Straßenbahn. Masterarbeit TU, 2015.  
15 Stadt Wien: Esterházypark  (abgerufen am 04.12.2023) Weblink
16 Völker, S. u.a. 2013: „Evidence for the Temperature-Mitigating Capacity of Urban Blue Space – A Health Geographic Perspective“. In: Erdkunde 67 (4): 355-371.  
17 Die Presse 2023: Nibelungenplatz Tulln: Aus großem Parkplatz soll Grünoase werden (abgefragt am 03.11.2023) Weblink
18 Stadtgemeinde Tulln 2023: Umgestaltung des Nibelungenplatzes (abgefragt am 03.11.2023) Weblink

 

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