Auf welche 10 Verkehrsthemen die EU großen Einfluss hat
Am 9. Juni 2024 findet in Österreich die EU-Wahl statt. Sie ist für den Verkehrssektor von entscheidender Bedeutung, nicht nur, weil der Verkehr ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen der EU verursacht1. Diese Wahl hat erhebliche Auswirkungen auf die zukünftige Klima- und Verkehrspolitik in der EU und deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten.
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Der europäische Green Deal ist das Instrument der EU, um den Klimawandel und Umweltzerstörung einzubremsen und für den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft. Der Green Deal verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die Netto-Treibhausgasemissionen der Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 1990 zu senken. Bis zum Jahr 2050 soll die EU klimaneutral sein.2
Statt zu sinken sind aber die Verkehrsemissionen gegenüber dem Jahr 1990 EU-weit um mehr als ein Viertel3, in Österreich sogar um fast 50 Prozent gestiegen.4 Zur Einhaltung des Green Deals sind daher umfassende Maßnahmen im Verkehrssektor notwendig. Das „Fit for 55“ Paket ist Teil des Green Deals und beinhaltet eine Reihe von Rechtsvorschriften, um die Ziele umzusetzen. Für den Verkehr relevant ist die Ausweitung des Emissionshandelssystems (ETS 2), die CO₂-Grenzwerte für Personenkraftwagen sowie für leichte und schwere Nutzfahrzeuge, der Aufbau der Ladeinfrastruktur, Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Luftfahrt sowie Ziele zum Ausbau und Verwendung von erneuerbarer Energie.5 Die zeitgerechte Umsetzung dieser Rechtvorschriften gilt es verstärkt zu kontrollieren.
Neben den Auswirkungen der Klimakrise stellt Luftverschmutzung das größte Umweltrisiko für die Gesundheit dar. Der Verkehr ist einer der Hauptverursacher von Luftverschmutzung. Schadstoffe durch Abgase, aber auch durch Reifen- und Bremsabrieb können eine Vielzahl von gesundheitlichen Problemen wie Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Parkinson verursachen oder verstärken.6
Die Luftqualitätsrichtlinien der EU sind ein wichtiges Instrument für die Verbesserung der Luftqualität. Seit dem Jahr 1990 verbesserte sich die Luftqualität in Europa dank der Gesetze, die von der Europäischen Union verabschiedet wurden. Die Feinstaubemissionen gingen in der EU in dem Zeitraum um fast ein Drittel zurück, der Ausstoß von Stickoxiden sank um fast die Hälfte.7 Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt allerdings eine deutlich stärkere Reduktion, da die Werte noch immer gesundheitsschädlich sind. Die Exposition gegenüber Feinstaub und Stickstoffdioxid verursachte im Jahr 2021 etwa 253.000 Todesfälle und 52.000 vorzeitige Todesfälle.8 Um die Luftqualität weiter zu verbessern, wurden im Jahr 2024 neue Grenzwerte für die Luftqualitätsrichtlinie beschlossen, die spätestens ab dem Jahr 2030 gelten. Für Stickstoffdioxid (NO2) sinkt der Jahresgrenzwert von 40 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Für Feinstaub PM10 wird der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel auf 20 reduziert, für den noch gesundheitsschädlicheren Feinstaub PM2,5 von 25 auf 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. Ein Fortschritt, aber die künftigen Grenzwerte sind noch immer doppelt so hoch wie die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO.9
Lärm ist laut der Europäischen Umweltagentur nach Luftverschmutzung die zweitgrößte Ursache für umweltbedingte Erkrankungen. Der Verkehr ist für rund die Hälfte der Lärmbelastung in Österreich verantwortlich.10 Langanhaltende Lärmbelastung kann zu Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen und weiteren gesundheitlichen Problemen führen.11 Die EU-Umgebungslärmrichtlinie gibt Maßnahmen zur Verringerung der Lärmbelastung vor. Die Lärmbelastung wird anhand von Lärmkarten erfasst, auf deren Basis die EU-Mitgliedstaaten anschließend alle fünf Jahre Lärmaktionspläne ausarbeiten.12 Der Verkehr ist hierbei der wichtigste Bereich zur Lärmbekämpfung. In Österreich müssen diese Pläne bis Mitte Juli 2024 finalisiert werden.13
Mit dem Trans-Europäischen Verkehrsnetz (TEN-V) soll bis zum Jahr 2050 ein umfassendes Verkehrsnetzwerk in Europa geschaffen werden. Das Ziel ist die Entwicklung nachhaltiger und multimodaler Korridore für den Personen- und Güterverkehr. Das Kernnetz soll bereits bis zum Jahr 2030 umgesetzt sein. Im Jahr 2024 wurde eine Überarbeitung der Richtlinie beschlossen, die insbesondere den Schienenverkehr priorisiert. Das erweiterte Kernnetz soll bis zum Jahr 2040 umgesetzt werden. Wesentliche Aspekte für Harmonisierung, Kapazitätsausbau und Lückenschließung des EU-Schienennetzes wurden definiert, was vor allem im Güterverkehr zu Effizienzsteigerungen an den Ländergrenzen führen soll.14 Im Rahmen des TEN-V werden zudem 430 Städte an den Verkehrsknoten, darunter alle Landeshauptstädte in Österreich,15 verpflichtet, „Sustainable Urban Mobility Plans“ zu entwickeln. Damit werden Städte angehalten, emissionsfreie Mobilität und Infrastrukturen für den Öffentlichen Verkehr, das Gehen und das Radfahren zu stärken.
Das Suchen und Buchen von Bahnverbindungen im grenzüberschreitenden Bahnverkehr muss viel einfacher werden. Oft müssen Tickets von verschiedenen Anbietern kombiniert werden. In Verspätungsfällen gehen so die Fahrgastreche verloren. Zudem entstehen an den Grenzübergängen durch unterschiedliche Bahnsysteme Verzögerungen, trotz bereits definierter europäischer Standards. Statt das ohnedies bereits dichte Autobahnnetz oder Flughäfen weiter auszubauen, sind die kommende EU-Kommission und das künftige EU-Parlament gefordert, stärker in die Verbesserung der Bahninfrastruktur zu investieren und die Vereinheitlichung des europäischen Bahnverkehrs zu forcieren. Um die Buchung länderübergreifender Bahnreisen zu erleichtern, sollte die anbieterübergreifende Koordination der Buchung und anderer Serviceleistungen gefördert werden.
Um die Klimaziele zu erreichen, wurden von der EU niedrigere CO2-Grenzwerte für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis zum Jahr 2035 beschlossen. Ab dem Jahr 2035 dürfen nur mehr emissionsfreie Pkw neu zugelassen werden.16 Allerdings wurde ein Schlupfloch für E-Fuels geschaffen, was im Wiederspruch zu den Klimazielen steht. E-Fuels und Kraftstoffe aus landwirtschaftlichen Produkten sind teuer, können nur in sehr kleinen Mengen produziert werden und stehen in Konkurrenz mit anderen Nutzungen. Sie sollten nur dort eingesetzt werden, wo eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist, beispielsweise in der Luft- oder Schifffahrt.17 Die Emissionen von neu zugelassenen Lkw sollen bis zum Jahr 2035 um 65 Prozent und bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent sinken.18
Auch zur Entwicklung der notwendigen Ladeinfrastruktur gibt die EU Vorgaben, um sicherzustellen, dass die Zunahme der Elektro-Fahrzeuge mit ausreichend Lademöglichkeiten einhergeht. Die „Alternative Fuel Infrastructure“-Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten, entlang von EU-Hauptverkehrsstrecken alle 60 Kilometer Schnellladestationen für Pkw, Busse und Lkw zu errichten. Bis zum Ende des Jahres 2023 wurden bereits knapp 630.000 Ladestationen in der EU errichtet, was eine Verdreifachung gegenüber dem Jahr 2020 darstellt.19
Der Trend zu immer größeren Fahrzeugen gefährdet die Energieeffizienz und macht Emissionseinsparungen zunichte. In der kommenden Legislaturperiode braucht es daher eine EU-Strategie, um die Zunahme an immer größeren Pkw im Straßenverkehr einzubremsen und die Produktion kleiner kompakter E-Autos zu fördern. Die Elektrifizierung des Verkehrs setzt zudem einen Ausbau des europäischen Stromnetzes voraus. Es braucht mehr Maßnahmen zur Förderung eines stärkeren und flexibleren Stromnetzes.
CO2-Emissionen aus der Luftfahrt tragen erheblich zum Klimawandel bei, da sie mehr als ein Drittel der Verkehrsemissionen Europas ausmachen. Vor allem Nicht-CO2-Emissionen werden oft unterschätzt. Diese waren im Jahr 2018 für zwei Drittel der Klimawirkung der Luftfahrt verantwortlich. Flugzeuge mit null Emissionen sind in naher Zukunft nicht zu erwarten. Daher sind Effizienzsteigerung und der Wechsel zu saubereren Treibstoffen gefordert.20 Mit der RefuelEU Aviation Verordnung aus dem Jahr 2023 wird die verpflichtende Beimischung von sogenannten „Sustainable Aviation Fuels“ gesetzlich verankert. Damit sollen Produktion und Versorgung schnell gesteigert sowie die Finanzierung der Forschung und Entwicklung für den großflächigen Einsatz emissionsfreier Flugzeuge sichergestellt werden. Allerdings gehen auch mit Sustainable Aviation Fuels eine Reihe von Problemen einher. Vor allem der hohe Energieaufwand wird auch den Flugverkehr in naher Zukunft nicht nachhaltig machen. Eine wichtige Maßnahme wäre die Aufhebung der Steuerbefreiung des Flugtreibstoffs Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung von internationalen Flugtickets. Laut einer von der EU-Kommission beauftragten Studie wurde der Flugverkehr in der EU vor der Covid-Pandemie durch diese Steuerbefreiungen mit zig Milliarden Euro pro Jahr subventioniert.21,22
Der Lkw-Verkehr ist in der EU für mehr als ein Drittel der Treibhausgas-Emissionen des Straßenverkehrs verantwortlich. EU-Gesetze verpflichten Lkw-Hersteller dazu, die CO2-Emissionen der neuen Lkw bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent und bis zum Jahr 2040 um 90 Prozent zu reduzieren. Um die Klimaziele der EU zu erreichen, muss die Reduktion allerdings schneller und umfassender ausfallen.23 Die EU-Wegekostenrichtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten zudem einen CO2-Aufpreis auf die Lkw-Maut.24 Die Umsetzung dieser Richtlinie sollte in den Mitgliedstaaten stärker forciert werden.
In der kommenden Legislaturperiode ist die EU gefordert, mehr Maßnahmen zur verstärkten Verlagerung von der Straße auf die Schiene umzusetzen. Neben zahlreichen Hürden im internationalen Bahnverkehr verhindern auch unfaire Wettbewerbsbedingungen zwischen Straße und Schiene den Umstieg. Die Einhaltung von Lohn- und Sozialdumping sowie Umweltstandards im internationalen Lkw-Verkehr sollte stärker kontrolliert werden. Auch für die Wettbewerbsfähigkeit von Transportunternehmen, die sich an die Regeln halten, sind auf EU-Ebene einheitliche, faire Arbeitsbedingungen zu schaffen und verstärkte Kontrollen vorzuschreiben.25
Der Ausbau nachhaltiger Infrastruktur und die Elektrifizierung des Verkehrs benötigen zahlreiche Rohstoffe, die nachhaltig beschafft werden sollten. In den letzten Jahren wurden mehrere EU-Gesetze verabschiedet, um die Nachhaltigkeit der gesamten Lieferketten zu verbessern. Die EU-Batterie-Verordnung schreibt eine nachhaltige Beschaffung, Herstellung und Recycling für Batterien vor. Die Europäische Verordnung zu kritischen Rohstoffen soll Abbau, Verarbeitung und Recycling kritischer Rohstoffe in Europa beschleunigen. 26
Die Entscheidungstragenden der EU sind gefordert, den sparsamen Umgang mit den notwendigen Ressourcen durch einen Fokus auf die Herstellung kleiner Fahrzeuge zu forcieren, um den Trend der letzten Jahrzehnte von immer größeren Pkw entgegen zu wirken. Ähnlich wie für Lkw bräuchte es auch eine Maximalbreite für Pkw. Die Lieferkette von Materialien für den Bau der Fahrzeuge und Batterien ist umweltfreundlich umzugestalten. Die EU hat hier die seltene Gelegenheit, neue Schlüsseltechnologien zu entwickeln, wie beispielsweise im Recycling von Batteriematerialien.27
Mehr als 20.000 Menschen starben in der EU im Jahr 2023 im Straßenverkehr.28 Die EU hat das Ziel, bis zum Jahr 2030 die Zahl der Verkehrstoten gegenüber dem Jahr 2020 zu halbieren und bis zum Jahr 2050 die Zahl auf Null zu senken („Vision Zero“) . Eine Reihe an Verordnungen trägt zu erhöhten Verkehrssicherheit bei. Beispielsweise wurde in einer Richtlinie zur technischen Ausstattung von Fahrzeugen die Sicherheit von Verkehrsteilnehmenden durch die Verringerung des „toten Winkels“ verbessert. Auch Vorgaben für Gefahrguttransporte oder die Anzahl an verpflichtenden Lkw-Kontrollen pro Mitgliedsland sind auf EU-Ebene definiert. Zukünftig werden Vorgaben für automatisierte Mobilität auch eine wichtige Rolle spielen.29
Zwischen 2021 und 2027 werden von der EU 25,8 Milliarden Euro für Mobilitätsprojekte zur Verfügung gestellt. Ein Großteil davon wurde und wird in Projekte der TEN-V investiert.30 Auch andere Finanztöpfe unterstützen nachhaltige Mobilitätsprojekte. Beispielsweise wurden im Rahmen des EU-Aufbauplans nach der Covid19-Pandemie für Österreich 847 Millionen für umweltfreundliche Mobilität bereitgestellt, mit denen auch das Klimaticket gefördert wurde.31 Die EU braucht einen Klima-Investitionsplan, der Menschen und Unternehmen bei der Umstellung auf saubere und klimaverträgliche Mobilität unterstützt und aus dem Förderungen für nachhaltige Produktion und Lieferketten gezahlt werden können. Eine Steuer auf Gewinne durch fossile Brennstoffe könnte darüber hinaus Geld für die Finanzierung der Energiewende mobil machen.