Raumordnung und Infrastruktur-planung für die Verkehrswende
Weniger Pkw-Verkehr lässt sich langfristig mit Mitteln der Raumordnung und klimafreundlichen Verkehrskonzepten planen. Kurze Wege innerorts und überregionale Radschnellwege schaffen wichtige Voraussetzungen für einen klimafreundlicheren Modal Split. Die zentrale Finanzierung des Gesamtsystems Verkehr könnte negativ wirkende Infrastrukturentscheidungen verhindern.
Weite Alltagswege und die Schließung von zentral gelegenen Nahversorgern und Einrichtungen des täglichen Bedarfs sind in vielen Regionen ein Grund für die Auto-Nutzung. Am Rande vieler Gemeinden und Kleinstädte entstanden in den letzten Jahrzehnten großflächige, meist nur mit dem Pkw gut erreichbare Supermärkte und Fachmarktzentren, deren Pkw-Abstellplätze große Flächen versiegeln. In Folge verödeten viele Ortskerne, weil durch den Kaufkraftabfluss in die Peripherie zentral gelegene Geschäfte schließen mussten. Das Fehlen dieser gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbaren Einkaufsmöglichkeiten verursacht seither mehr Pkw-Verkehr und schränkt Personen ohne Zugang zu einem Pkw in ihrem Alltag ein. Im ländlichen Raum lebt rund die Hälfte der Bevölkerung mehr als 20 Gehminuten vom nächsten Supermarkt entfernt, in den regionalen Zentren ist es mehr als ein Viertel.121
Weniger Pkw-Verkehr dank einer Strategie der kurzen Wege
Im Umkehrschluss lässt sich Pkw-Verkehr vermeiden, wenn Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen und Freizeitangebote so liegen, dass sie für große Teile der Bevölkerung gut zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Öffentlichen Verkehr erreichbar sind und Infrastruktur sowie öffentlicher Raum sicher sind und zum Verweilen einladen. Auf diesen Überlegungen fußen Konzepte für die Stadt beziehungsweise Region der kurzen Wege, in der alle Grundbedürfnisse innerhalb einer Wegzeit von rund 15 Minuten von zu Hause zu Fuß oder mit dem Fahrrad erfüllt werden können.47,50,159 Auch kleinere Städte und Gemeinden können profitieren, indem sie ihre Ortskerne stärken und mit ihrer Flächenwidmung bewusst eine Durchmischung und damit kurze Wege fördern. Auch die fortschreitende Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten. So entstehen Coworking Spaces zunehmend auch im ländlichen Raum. In der Schweiz befinden sich bereits ein Viertel außerhalb der urbanen Zentren.105 Das Land Oberösterreich unterstützt Gemeinden dabei, Konzepte für Coworking zu entwickeln. In Neumarkt im Mühlkreis, Ottensheim und anderen Orten wurden bereits zentrale leerstehende Standorte zu Coworking Spaces umgestaltet, in denen Menschen zumindest tageweise nahe bei ihrem Wohnsitz arbeiten, anstatt auszupendeln.100 Zugleich stärkt das den lokalen Handel und die Gastronomie, da mehr Menschen auch tagsüber vor Ort bleiben.105
Kompakte Strukturen gegen Zersiedelung
Kurze Wege lassen sich in Regionen mit höherer Nutzungsdichte einfacher umsetzen. Daher ist es wichtig, dass Gemeinden ihr Siedlungsgebiet möglichst kompakt halten. Der Schwerpunkt sollte bei der Innenentwicklung des Siedlungsgebiets liegen, eine Ausdehnung an den Rändern wirkt kontraproduktiv. Dazu beitragen können die Nutzung von zentral gelegenen Baulandreserven, aber auch eine kompakte Bauweise. Mehrgeschoßige Gebäude und eine geschlossene Bauweise nutzen den vorhandenen Raum effizienter als eingeschoßige und freistehende Häuser und verkürzen automatisch die Wege entlang der Häuserfront. Aneinander gereihte Geschäfte am Hauptplatz schaffen eine höhere Dichte als alleinstehende, die auf der grünen Wiese errichtet werden. Reihenhäuser bieten eine kompaktere Struktur als freistehende Einfamilienhäuser.159
In Österreich werden diese Grundsätze bislang wenig beachtet, obwohl die Landesraumordnungsgesetze sie erwähnen. Anstatt auf eine möglichst kompakte Siedlungsentwicklung zu achten, dehnen sich daher viele Ortschaften zunehmend aus. Im Jahr 2022 stieg die in Anspruch genommene Fläche täglich um durchschnittlich zwölf Hektar, im Schnitt der Jahre 2019 bis 2021 waren es 11,5 Hektar. Die Neuversiegelung von Böden nimmt demnach nach wie vor zu, obwohl laut Regierungsprogramm dieser Wert bis zum Jahr 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag sinken sollte.162
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Gesetz für lückenloses Radwegnetz in der Schweiz
Mit dem Inkrafttreten des Schweizer Veloweggesetzes mit 1. Jänner 2023 sind die Kantone verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren Pläne für Radwegnetze vorzulegen – und zwar sowohl für den Alltags- als auch den Freizeitverkehr. Für beide Kategorien ist eine ausreichende Trennung vom Kfz-Verkehr vorzusehen. Alltagsnetze sollen direkte Verbindungen zwischen Wohngebieten, Arbeitsplätzen, Geschäften, Haltestellen und öffentlichen Einrichtungen bieten, einen homogenen Ausbaustandard aufweisen und sicher sein. Bei Freizeitnetzen steht die Erholungswirkung der Wege im Vordergrund. Der Bund selbst will eigene Good Practice- Radwege als Vorbilder errichten. Die Radwegpläne der Kantone sind durch die Kommunen rechtsverbindlich bis Ende 2042 umzusetzen. Eine wesentliche Verbesserung ist die Definition von Radwegnetzen als durchgehende und zusammenhängende Verkehrswege. So wird sichergestellt, dass es zu keinen Lücken im Netz kommt. Das Gesetz verlangt jedoch nicht die Planung und Errichtung von Schnellradwegen.
Wer Radinfrastruktur baut, wird mit mehr Radverkehr belohnt
Sechs von zehn Autofahrten von Österreichs Bevölkerung sind kürzer als zehn Kilometer. Vier von zehn sind kürzer als fünf Kilometer und zwei von zehn sogar kürzer als zweieinhalb Kilometer.32 Diese Distanzen können die meisten Menschen problemlos mit dem Fahrrad zurücklegen. Jede zehnte Autofahrt ist in Gehdistanz. Das Zehn-Minuten-Einzugsgebiet einer gehenden Person deckt eine Fläche von 1,5 Quadratkilometern ab. Mit dem Fahrrad steigt es auf 20 und mit einem Elektro-Fahrrad sogar auf bis zu 40 Quadratkilometer.28 Viele Alltagswege – zur Arbeit, zum Einkauf oder andere Erledigungen – können zur Gänze oder in Kombination mit dem Öffentlichen Verkehr zurückgelegt werden. Wichtig ist dafür attraktive und sichere Infrastruktur für das Radfahren. Für den Umstieg auf die Bahn braucht es sichere Radrouten zu den Bahnhöfen und ausreichend qualitätsvolle Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Das deckt sich mit der Theorie des induzierten Verkehrs, wonach die Menschen für ihre Mobilität jene Verkehrsmittel nutzen, für die die Infrastruktur gut ausgebaut ist. Werden Straßen für das Auto optimiert, ist mehr Autoverkehr die Folge. Bei besserer Infrastruktur für das Radfahren, entscheiden sich mehr Menschen für das Fahrrad.158 In Wien wurde die Radinfrastruktur in den Jahren 2010 bis 2019 verbessert, parallel kam es zu einer 40-prozentigen Zunahme der mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege. So ist die Umwidmung bestehender Straßen oder Straßenteile für Radfahrende aber auch Gehende oder den Öffentlichen Verkehr eine ressourcenschonende Maßnahme zur Veränderung des Modal Splits.87,160
Ein überregionales Netz aus Radschnellwegen wachsen lassen
Der Logik des induzierten Verkehrs entsprechend versuchen Gemeinden, den Radverkehr mit Investitionen in die Radfahrinfrastruktur zu fördern. Hervorzuheben sind dabei etwa einige steirische Städte, die in Folge der Radverkehrsstrategie Steiermark 2025 eigene Radverkehrskonzepte entwickelten.69 In Bad Radkersburg etwa sollen bis zum Jahr 2026 fünf Fahrrad-Hauptrouten als Radschnellwege entstehen. Neben einer Ringroute sollen vier sternförmige Routen Verbindungen zu fünf Nachbargemeinden – vier davon in Slowenien – schaffen. Niederrangigere Radwege sollen zwischen den Hauptrouten für ein engmaschiges Radwegenetz mit insgesamt 60 Kilometern Länge sorgen.145 Ein ähnliches, 53 Kilometer langes regionales Radverkehrsnetz entsteht derzeit in Fürstenfeld. Herzstück sind auch hier fünf Radschnellwege, die dann die Stadt mit zwei isoliert liegenden Ortsteilen und drei Nachbargemeinden verbinden.83,146
Enden Radwege oder Fahrradstraßen abrupt an Kreuzungen, wie etwa an der B1 zwischen Wals-Siezenheim und Viehhausen oder an Kreisverkehren wie in Salzburg-Gneis, ist das problematisch und gefährlich.133 Bei der Radwegplanung sollten funktionale Zusammenhänge beachtet werden und benachbarte Gemeinden und Bundesländer kooperieren. Insbesondere für Pendelverkehre gilt es, überregionale und bundesländerübergreifende Radchnellwegenetze zu errichten. In einer Untersuchung in Deutschland gaben 30 Prozent der befragten Radfahrerinnen und Radfahrer an, dass sie bei Vorhandensein solcher Radschnellwege zumindest zeitweise das Fahrrad auch zum Pendeln nutzen würden.144 Beobachten kann man das etwa zwischen Osnabrück und Belm in Niedersachsen. Die Zahl der dort von einer Zählstelle monatlich registrierten Fahrten um beinahe die Hälfte von rund 25.000 nach Fertigstellung des zweiten Teilstücks im Juni 2019 auf mehr als 37.000 nach Fertigstellung des vierten Radschnellweg-Teilstücks im Juni 2023. 43,185
Eine Möglichkeit, Raum für Radschnellwege zu schaffen, sind überdimensionierte Überlandstraßen. In Kärnten wurde die Breite der B83 zwischen Arnoldstein und Riegersdorf von 9 auf 7,5 Meter verringert, auch die B11 zwischen Gaaden und Heiligenkreuz in Niederösterreich und die B189 bei Obsteig in Tirol haben heute schmälere Fahrbahnen. Auf allen drei Straßen wurde ein Sicherheitsstreifen abgefräst und begrünt. Der verbleibende Asphaltstreifen ist nun jeweils ein Radweg.164
Wichtig sind zudem sichere Fahrrad-Abstellplätze bei Bahnhöfen und Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs. Dabei gibt es in Österreich noch Aufholbedarf. Am Bahnhof Tullnerfeld in Niederösterreich sind beispielsweise lediglich 54 der 330 Fahrrad-Abstellplätze überdacht und durch ein digitales Sperrsystem gesichert. Im Verhältnis zu den mehr als 1.700 Pkw-Abstellplätzen sind das aber immer noch wenige.3,95
Verbindliche bundesweite Ziele für Raumordnung fehlen
Die Raumordnung ist in Österreich primär Sache der Bundesländer und Gemeinden. Die Länder erstellen Raumordnungskonzepte und Landesentwicklungsprogramme, die Gemeinden beschließen Flächenwidmungs- und Bebauungspläne. Die Umsetzung überregionaler Raumplanungsgesetze sowie regionaler Raumplanungskonzepte der Länder sind derzeit jedoch noch lückenhaft, viele Gemeinden sind davon nicht erfasst. Viele Gemeinden widmen daher großzügig auch dezentral gelegenes Grünland – oft auch in Konkurrenz zu Nachbargemeinden – in Bauland um, was über die Jahrzehnte zu der starken Zersiedelung Österreichs führte.122 Es gibt jedoch Ansätze zur Verbesserung. Das Burgenland erlaubt seit dem Jahr 2023 nur noch in den Ortskernen Neubau oder Erweiterung von Supermärkten.70 In der Steiermark müssen nach einer Novelle des dortigen Raumordnungsgesetzes im Jahr 2022 die Gemeinden binnen drei Jahren jeweils ein Sachbereichskonzept Energie erstellen, das auch die Siedlungsentwicklung für energiesparende Mobilität zentral behandelt.6
Der Bund hat bei der Raumordnung nur wenige Kompetenzen, etwa die Planung von Autobahn- und Eisenbahnstrecken. Bei den Raumordnungsplänen der Länder hat er kein Durchgriffsrecht.48 Dementsprechend fehlen auch bundesweit einheitliche und verbindliche Ziele für die Raumordnung. Zwar beschließt die Österreichische Raumordnungskonferenz (Örok) aus Bund, Ländern sowie Städte- und Gemeindebund alle zehn Jahre ein Österreichisches Raumentwicklungskonzept (Örek), dieses beruht jedoch auf Freiwilligkeit und es gibt daher keine Sanktionen bei Abweichungen.108 In der jüngsten Zeit gab es Vorstöße der parlamentarischen Opposition für mehr Bundeskompetenzen, etwa durch die Forderung eines Bundesverkehrszielegesetzes oder eines Bundesrahmengesetzes für Raumordnung.126,127 Die Diskussionen gibt es seit Jahrzehnten. Einen kompletten Vorschlag für ein Bundesraumordnungsgesetz ließ das Bundeskanzleramt bereits im Jahr 1991 ausarbeiten. Dieses sollte eine übergreifende Planungspflicht des Bundes begründen, um Flächenverschwendung und Standortvergeudung sowie überhöhte Investitions- und Folgekosten zu vermeiden. Als Anlass diente bereits damals unter anderem die ungebremste Siedlungsentwicklung mit dem Vorherrschen von freistehenden Ein- und Zweifamilienhäusern. Durch diese Struktur fehle es an der notwendigen Dichte zur wirtschaftlichen Führung des Öffentlichen Verkehrs.128 Im Jahr 2017 schlug der „Masterplan ländlicher Raum“ des Landwirtschaftsministeriums ebenfalls die Festlegung von Planungs- und Koordinationspflichten in einem Bundesraumordnungsgesetz vor.31
Verbindlicher Rahmen in der Schweiz
Auch für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gibt es auf Bundesebene in Österreich keine verkehrsträgerübergreifende Planung auf fachlicher Ebene. Anders ist die Situation in der Schweiz. Dort gibt es mit dem Sachplan Verkehr einen für alle Behörden verbindlichen Rahmen, der Infrastrukturvorhaben für Straße, Schiene, Luft- und Schifffahrt mit den Zielen des Raumkonzepts Schweiz vereinbaren soll.24 Die im Sachplan Verkehr geregelten Infrastrukturen des Öffentlichen Verkehrs, des Kfz-Verkehrs sowie von Gehen und Radfahren verfolgen etwa gemeinsam das Ziel der Entwicklung kompakter, in ihrer Ausdehnung begrenzter und räumlich strukturierter Siedlungen.44 In diese Richtung zielt auch ein Vorschlag für ein Bundesmobilitätsgesetz für Deutschland ab, den der VCD im Jahr 2022 vorlegte. Der Vorschlag beinhaltet unter anderem einen Bedarfsplan für den Aus- und Neubau von Verkehrsinfrastrukturen, der für alle Planungen verbindlich ist. Das soll sicherstellen, dass nur jene Infrastrukturen errichtet werden, die tatsächlich erforderlich sind.63,170
Transparente Systemfinanzierung zur Erreichung verkehrspolitischer Ziele
Die aktuelle Sektorfinanzierung im Verkehr sollte schrittweise durch eine verkehrsträgerübergreifende Systemfinanzierung abgelöst werden.58 In einem ersten Schritt sollte eine Gesamtkostenrechnung für Infrastruktur, Betrieb und Folgekosten aller Verkehrsträger erstellt werden. In der Schweiz schafft die „Statistik der Kosten und der Finanzierung des Verkehrs“ (KFV) Transparenz über die volkswirtschaftlichen Kosten des Straßen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehrs in der Schweiz.26 Die KFV stellt Einnahmen wie verkehrsbezogene Steuern, Maut- und Parkgebühren den Ausgaben für Infrastrukturen, Verkehrsmittel, Unfallkosten sowie Umwelt- und Gesundheitsschäden gegenüber und ordnet diese den Gemeinden, den Kantonen und dem Bund zu. So lässt sich aus dieser Statistik etwa ablesen, dass im Jahr 2019 der Straßenverkehr für 20,6 Milliarden Franken an Umwelt-, Gesundheits- und Unfallkosten verantwortlich war, das sind 27 Prozent der Gesamtkosten des Straßenverkehrs.25
Raumordnung für die Mobilitätswende
- Begründung einer übergreifenden Planungspflicht des Bundes in einem Bundesraumordnungsgesetz, um Flächenverschwendung sowie überhöhte Investitions- und Folgekosten zu vermeiden.
- Verbindliche Ziele zum Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und der Infrastruktur in einem Bundesverkehrszielegesetz.
- Erhebung und Gegenüberstellung der Gesamtkosten und Einnahmen des Verkehrs nach Schweizer Vorbild.