Regionalbahnen als Rückgrat klimaverträglicher Mobilität
Regionalbahnen ermöglichen leistungsstarke und umweltfreundliche Verbindungen zwischen Zentren und ländlichem Raum. Investitionen in Strecken und Wagenmaterial erhöhen Komfort und Effizienz im Personenverkehr, die Kombination mit touristischem Verkehr und Gütertransport verbessert die Auslastung der Infrastruktur.
Das Netz regionaler Bahnstrecken in Österreich wurde in den vergangenen Jahrzehnten stark reduziert. Eingestellt wurden neben Stichstrecken in Täler auch viele vernetzte Strecken mit beidseitiger Anbindung. Das Netz von Regionalbahnen mit Personenverkehr hat sich von rund 4.000 erbauten Kilometern auf etwa 2.280 Kilometer im Betrieb fast halbiert.f Schmalspurbahnen dünnten sogar auf ein Drittel des ursprünglichen Netzes aus, zirka 500 Kilometer wurden eingestellt. Allein seit dem Jahr 1995 fielen 29 Bahnen mit 650 Kilometern Strecke weg.129 Im Jahr 2019 stellten mit den beiden Ästen der Weinviertel Landesbahn die letzten Reste des Netzes der Weinviertler Regionalbahnen den Betrieb ein – ein Netz, das einst bis nach Wien und ab der Stadtgrenze als Straßenbahn bis zum Donaukanal geführt hatte.101
Von Staus nicht beeinträchtigbare Regionalbahnen bieten meist höhere Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit als Busse. Höherer Komfort durch Laufruhe, die Möglichkeit zu lesen oder zu arbeiten, aber auch kürzere Umsteigewege zu Hauptstrecken sind weitere Vorteile. Da die Ticket-Erlöse die Betriebskosten meist nicht abdecken, bestellt und finanziert die Öffentliche Hand den regionalen Bahnverkehr, um den ländlichen Raum mit Öffentlichem Verkehr zu versorgen und ein möglichst großes Zubringernetz zu den Hauptbahnen sicherzustellen.
Mehr Fahrgäste bei Bahn statt Bus
Die Umstellung von Bus- auf Bahnverkehr im urbanen Bereich zeigt, dass bei vergleichbaren Angeboten die Fahrgastzahlen deutlich gesteigert werden können. In München ziehen Straßenbahnen im Vergleich zu ähnlichen Busangeboten rund ein Drittel mehr Fahrgäste an. In Graz brachte die Umstellung von Bus auf Straßenbahn etwa 40 Prozent mehr Fahrgäste.91,120 Noch größere Steigerungen gehen mit der Erschließung neuer Ziele oder der Durchbindung in das Stadtzentrum einher. In Linz und Leonding brachte die Straßenbahnlinie 3 mit Anbindung des Hauptbahnhofs und Durchbindung durch das Stadtzentrum anstelle der Buslinien 14 und 15 im ersten Betriebsjahr um 140 Prozent mehr Fahrgäste.51 Auch Kapazitätsvorteile können Regionalbahnen zu Spitzenzeiten und in Ballungsräumen ausspielen. Typische moderne Regionalbahnfahrzeuge bieten 150 bis 250 Sitzplätze.97,184 Ein Zug befördert damit mit viel weniger Personal so viele Personen wie drei bis fünf Busse. Von Nachteil ist, wenn Züge in Schwachlastzeiten zu groß sind. Abhilfe kann hier der Einsatz mehrerer kleinerer, kuppelbarer Triebwägen liefern. In den Schwachlastzeiten sind dann weniger Einheiten pro Zug unterwegs. Kleinere Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten können so an gerade ungenutzten Triebwägen vorgenommen werden, ohne dass sie im Betrieb fehlen.
Erfolgreiche Reaktivierung stillgelegter Nebenbahnen
Nachdem die Deutsche Bahn in den Jahren 1998/99 den Personenverkehr auf zwei Nebenstrecken in Nordrhein-Westfalen eingestellt hatte, gründeten die betroffenen Gemeinden und Landkreise die Regiobahn. Die beiden Teilstücke wurden inklusive acht neuen Haltestellen verbunden, die neue Regiobahn verkehrt seither im 20-Minuten-Takt als S28 von Kaarst über Düsseldorf nach Mettmann. Die Fahrgastzahlen stiegen dank der Zusammenführung der beiden Strecken und dem dichten Takt von rund 500 pro Tag im Jahr 1998 auf täglich 23.000 im Jahr 2020. Im Dezember 2020 erfolgte eine Verlängerung über Mettmann hinaus bis nach Wuppertal. In der Gegenrichtung soll ab dem Jahr 2027 die S28 nach Wiederinbetriebnahme eines im Jahr 1968 stillgelegten Teilstücks bis Viersen reichen.
Höhere Effizienz durch Elektrifizierung
Die Umweltbilanz von Regionalbahnen ist auch abhängig vom Antrieb und der Erzeugung der Energie. Aktuell verkehren etwa auf der niederösterreichischen Kamptalbahn pro Zug bis zu vier gekuppelte Dieseltriebwagen der Baureihe 5047, die in den Stoßzeiten zusammen 240 Fahrgäste transportieren. Der Dieselzug ersetzt dadurch beim durchschnittlichen Pkw-Besetzungsgrad rund 210 Autos.119 Während ein Personenkilometer im Pkw rund 146 Gramm an CO2-Emissionen verursacht, sind es im Dieselzug nur rund 51 Gramm. Bei guter Auslastung reduziert der Dieselzug die CO2-Emissionen im Vergleich zum Pkw also um zwei Drittel.117 Ab dem Jahr 2028 sollen auf der Kamptalbahn Akku-Triebzüge eingesetzt werden.38 Ab dann gehen im Betrieb die CO2-Emissionen gegen null, sofern der Bahnstrom aus erneuerbaren Energien kommt.
Dank des effizienten elektrischen Antriebs sinkt zudem aufgrund des hohen Wirkungsgrads des Motors und der Zurückgewinnung von Brems- energie der Energiebedarf um fast 90 Prozent gegenüber dem Dieselzug, ein Pkw braucht etwa 30-mal so viel Energie pro Person. Oberleitungszüge sind trotz Übertragungs- und Umwandlungsverlusten mit rund 80 Prozent Wirkungsgrad am effizienztesten. Die Energiespeicherung in einem Akku reduziert den Wirkungsgrad auf etwa 70 Prozent. Wasserstoffzüge erreichen etwa 25 Prozent Wirkungsgrad. Bei Dieselloks verpufft die meiste Energie als Wärme, ihr Wirkungsgrad liegt lediglich bei rund 10 bis 15 Prozent.76,116
Erfolgreiche Regionalbahnen
Mit der Graz-Köflacher Bahn fuhren im Jahr 2022 5,7 Millionen Fahrgäste, mit der Salzburger Lokalbahn 3,3 Millionen und mit der Zillertalbahn 2,9 Millionen Fahrgäste.167 Letztere punktet mit Halbstundentakt und soll ab dem Jahr 2024 mit der regionalen Gästekarte gratis sein.188,189 Solche Vernetzungen mit dem Tourismus können stark zum Erfolg von Regionalbahnen beitragen.
Kontraproduktiv auf die Attraktivität wirkt jedoch ein starres Abfahrtmanagement von Anschlusszügen. Etwa warten selbst bei geringen Verspätungen der Kamptalbahn die Anschlusszüge nach Wien nicht. Das führt mitunter dazu, dass Pendelnde stattdessen mit dem Pkw bis Hadersdorf fahren, um erst ab dort auf die Bahn umzusteigen.81 Eine Anschlusssicherung beim Umstieg zwischen den Bahnlinien könnte das verhindern. Dafür sollte es Ausnahmen von den Verspätungspönalen geben, da ein etwas verspäteter Anschlusszug für Fahrgäste weniger nachteilig ist als ein pünktlicher, den sie nicht erreichen.
Wirtschaftsfaktor Regionalbahn
Regionaler Bahnverkehr ist auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Eine deutschlandweite Studie über die Wertschöpfung des Öffentlichen Verkehrs zeigt für das Jahr 2019, dass jeder Euro direkter Wertschöpfung in den Verkehrsunternehmen 2,1 Euro zusätzliche Wertschöpfung für die Volkswirtschaft erzeugt.34 Eine ähnliche Untersuchung für die stark regional und mit Fokus auf Tourismusverkehr arbeitenden Niederösterreich Bahnen weist für jeden direkten Euro Wertschöpfung sogar 2,8 Euro zusätzlich aus.4 Bei dezentraler Organisation können damit auch Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen geschaffen und Pendelwege verkürzt werden. So ist das Betriebszentrum der Mariazellerbahn einer der größten Arbeitgeber im oberen Pielachtal.93
Initiativen zum Neu- oder Ausbau von Regionalbahnen müssen primär von den betroffenen Regionen ausgehen. Als wesentlicher Erfolgsfaktor gilt, dass die Menschen ohne Umsteigen dorthin kommen, wo sie tatsächlich hinwollen. Möglich machen das unter anderem zwei Konzepte: Stadt-Regio-Trams und Flügelzüge.
Mit der Stadt-Regio-Tram bis ins Zentrum
Stadt-Regio-Trams sind Überland-Regionalbahnen, die als Straßenbahn direkt zu den Zielen der Fahrgäste in das Stadtzentrum führen. Beispiele dafür sind die Badner Bahn oder die Traunseetram, die als Regionalbahn von Vorchdorf bis nach Gmunden Seebahnhof führt und von dort als Straßenbahn bis zum Bahnhof Gmunden.52 Konkrete Planungen für neue Stadt-Regio-Trams gibt es unter anderem mit der Regional-Stadtbahn Linz.1,23 Dafür wird die Mühlkreisbahn elektrifiziert und vom derzeitigen Endbahnhof Linz-Urfahr als Straßenbahn bis zum Hauptbahnhof weitergeführt werden.
Gutes Regionalbahn-Angebot schafft Nachfrage
Die Vinschgaubahn verläuft über 60 Kilometer zwischen Meran und Mals in Südtirol. Im Jahr 1990 von den italienischen Staatsbahnen aufgrund zu geringer Fahrgastzahlen nach 84 Jahren Betrieb stillgelegt, nahm die Vinschgaubahn nach einer umfassenden Streckensanierung Im Jahr 2005 den Personenverkehr wieder auf – seither erfolgreich betrieben vom Land Südtirol. Die Erwartungen wurden dank des dichten Taktfahrplans und der guten Verknüpfung mit den Buslinien der Region übertroffen und bereits seit dem Jahr 2007 verkehrt die Vinschgaubahn mit jährlich zwei Millionen Fahrgästen an ihrer Kapazitätsgrenze. Eine derzeit laufende Elektrifizierung soll ab dem Jahr 2025 eine Verdoppelung der Kapazität ermöglichen, da die neuen Garnituren größer sind und der Takt auf 30 Minuten verkürzt wird. Zudem fährt dann die Vinschgaubahn über Meran hinaus weiter bis nach Bozen.
Am Hauptbahnhof Linz startet künftig auch eine zweite Linie, die erst auf derselben innerstädtischen Straßenbahntrasse verläuft, bevor sie in Urfahr-Ost abzweigt und auf einer Neubaustrecke über die Universität bis nach Gallneukirchen und Pregarten führen soll. Für die Regional-Stadtbahn Linz werden an Werktagen 12.500 Fahrgäste prognostiziert, was bei einer angenommen halb so großen Auslastung an Wochenenden rund 3,5 bis 4 Millionen Fahrgäste pro Jahr ergibt.124
Direktverbindungen mit Flügelzügen
Flügelzüge sind erst gemeinsam unterwegs, bevor sie nach der Trennung in einem Knotenbahnhof auf unterschiedlichen Strecken weiter bis an ihre jeweiligen Ziele fahren. Voraussetzung für effizientes Flügeln von Zügen sind moderne Fahrzeuge, die ohne Verschubpersonal kuppeln und entkuppeln können. Flügelzüge gibt es etwa von Wien ins Nordburgenland. Ab Neusiedl am See fährt ein Teil nach Pamhagen östlich des Neusiedlersees, der andere über Eisenstadt nach Wulkaprodersdorf südwestlich. In Niederösterreich wird die Traisentalbahn samt Ast nach Hainfeld bis zum Jahr 2026 elektrifiziert.96 Mit dem Einsatz moderner Triebwagen mit automatischen Kupplungen können dann auch dort gemeinsame Züge von St. Pölten nach Traisen und von dort getrennt nach Hainfeld und nach Schrambach fahren. Diese Flügelung wurden einst aus Kostengründen aufgegeben, da die Dieseltriebwagen zum Kuppeln und Trennen Verschiebepersonal benötigen. Ein Erfolgsbeispiel des umsteigefreien Flügelns bietet die Bayerische Regiobahn. Aus München führen drei Zugteile gemeinsam hinaus, die danach getrennt nach Lenggries, Tegernsee und Bayrischzell fahren.155
Investitionen für Jahrzehnte
Während Flügelzüge auf bestehenden Strecken relativ kostengünstig umgesetzt werden können, erfordern Stadt-Regio-Trams hohe Investitionen in die Infrastruktur.187 Zu beachten ist dabei aber die sehr lange Nutzungsdauer. Züge fahren 40 Jahre oder länger.36,183 Brücken haben eine Nutzungsdauer von über 100 Jahren, bei Tunnels wird von bis zu 200 Jahren ausgegangen.143,169 Jede Investition ist daher unter dem Gesichtspunkt der Langlebigkeit zu betrachten. Kosten reduzieren lassen sich durch die gemeinsame Beschaffung von Fahrzeugen mit ähnlichen Anforderungen. Im Projekt „Tram Trains“ kaufen die Salzburger Lokalbahn und die Schiene Oberösterreich gemeinsam mit vier deutschen Regionen insgesamt 246 elektrische Triebwagen. Der Hersteller kann dank Skaleneffekten so um 20 Prozent günstiger anbieten.5,135 Dieses Modell könnte als Vorbild für den Ersatz der auf mehreren Schmalspurbahnen eingesetzten Dieseltriebwagen dienen. Auf bestimmten Strecken ist auch der Einsatz von Lightrail-Fahrzeugen aus leichteren Materialien möglich. Die Citybahn Waidhofen spart so 50 Prozent der Energie.53,94
Mehrere Standbeine für eine gesicherte Zukunft
Entscheidend bei Investitionen in Infrastruktur ist die Auslastung. Je mehr Standbeine eine Regionalbahn hat, desto effizienter kann die Infrastruktur genutzt werden. Die Auslastung lässt sich etwa mit Sonderfahrten zu Veranstaltungen und planmäßigem touristischen Verkehr gezielt am Wochenende und in den Ferien erhöhen. Das schafft auch zusätzliche Wertschöpfung in der Region. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Nutzung für den Güterverkehr durch regionale Unternehmen und für den Transport land- und forstwirtschaftlicher Produkte, was auch Ortsdurchfahrten von Lkw-Verkehr entlastet. Auf der Traisentalbahn etwa verkehren neben den Personenzügen auch touristische Sonderfahrten und Güterzüge der lokalen Industrie.182 Umgekehrt gibt es in Österreich etwa 330 Kilometer Bahnen nur für Güterzüge. Diese Infrastruktur ließe sich auch für Personenverkehr nutzen. In Frage kommt dafür etwa die Strecke von Korneuburg nach Ernstbrunn, auf der derzeit nur Güterverkehre fahren. Im Falle einer Elektrifizierung und Modernisierung für höheres Tempo wäre auf dieser Strecke eine neue Flügelzug-Schnellbahnlinie aus Wien möglich. Auch die Strecke zwischen Zeltweg, Fohnsdorf und Pöls, die bis zum Jahr 2026 elektrifiziert wird, könnte in die S-Bahn Steiermark eingebunden werden.115 Weiteres Potenzial liegt in den rund 275 Kilometern reiner Ausflugsbahnen, wie zwischen Krems und Emmersdorf in Niederösterreich oder Weizelsdorf und Ferlach in Kärnten.
Selbst unter optimalen Bedingungen benötigt eine Wiederinbetriebnahme zwei bis drei Jahre Vorlaufzeit. Der Fokus sollte daher auf Strecken mit sowohl guter Infrastrukturbasis als auch großem Fahrgastpotenzial liegen. Wird der Betrieb mit vorhandenen Dieseltriebwagen aufgenommen, sollte mit Hinblick auf Effizienz und Klimaverträglichkeit die Bereitschaft zur späteren Beschaffung von emissionsfreien Neufahrzeugen gegeben sein.
Regionalbahnen als Rückgrat der Region
- Potenzial von Stadt-Regio-Trams und Flügelzügen verstärkt für umsteigefreie Verbindungen zwischen Region und Zentrum nutzen.
- Durch Elektrifizierung und Einsatz von Akku-Triebzügen Effizienz und Klimaverträglichkeit von Regionalbahnen weiter verbessern.
- Stillgelegte oder nur von Güterverkehr genutzte Regionalbahnstrecken modernisieren und Personenverkehr (wieder) aufnehmen.
- Beschaffungsaufträge von Verkehrsbetrieben für neue Züge bündeln.