Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Juni 2020
Die Covid-19-Pandemie des Jahres 2020 bedeutet generell und speziell auch im Bereich Reisen zweifelsohne die stärkste Zäsur seit Jahrzehnten. Wie wirkt sich die Pandemie kurzfristig und langfristig auf das Reiseverhalten aus? Welche Chancen und Risiken entstehen dadurch für die Klimaverträglichkeit des Sektors? Diesen Fragen hat sich das VCÖ-Barometer #1 gewidmet. An der Umfrage haben 125 Expertinnen und Experten für ganz unterschiedliche Fachgebiete mit Mobilitätsbezug aus 98 Organisationen aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft teilgenommen. Die allgemeinen Einschätzungen der Fachleute kurz auf den Punkt gebracht:
Die Covid-19-Pandemie verursacht lediglich einen vorübergehenden Rückgang an Urlaubsreisen
Ohne Umsetzung entsprechender Rahmenbedingungen, Lenkungsmaßnahmen und Regulierungen wird sich die Klimaverträglichkeit des Reisens nach Covid-19 nicht verbessern
Regulierung und finanzielle Instrumente haben mit Abstand die höchste Priorität, um die Klimaverträglichkeit des Reisens zu erhöhen, gefolgt von Verbesserungen der Infrastruktur
Technologie alleine wird das Reisen nicht klimaverträglich machen
Radtourismus, Bahnreisen und Urlaube im Inland werden in Österreich mittelfristig an Bedeutung gewinnen
Fachleute: Nur mit Lenkungsmaßnahmen wird Reiseverhalten klimaverträglicher
Die Covid-19-Pandemie schränkt die Reise- und Bewegungsfreiheit der Menschen vorübergehend ein. Dass das Reisebedürfnis der Menschen dauerhaft reduziert bleibt, wird von den befragten Fachleuten als unwahrscheinlich erachtet. Als wichtigster Handlungsbereich werden Regulierung und finanzielle Instrumente genannt. 94 Prozent stimmten der These zu, dass die Klimakrise in Zukunft nur dann das Reiseverhalten in relevant großen Gruppen in Richtung Nachhaltigkeit beeinflussen wird, wenn ausreichende Rahmenbedingungen, wie beispielsweise CO2-Bepreisung und Kerosinsteuer gesetzt werden. Zweithöchste Priorität kommt gemäß den teilnehmenden Expertinnen und Experten dem Bereich Infrastruktur zu. Neben dem notwendigen Ausbau lokaler und internationaler Bahnverbindungen sowie einer qualitativ hochwertigen Radwege-Infrastruktur ist damit auch der Ausbau-Stopp von Flughäfen gemeint. Eine geringe Relevanz sprechen die Fachleute technologischen Maßnahmen, wie Effizienzsteigerungen, Elektrifizierung oder synthetischen Kraftstoffen zu.
Fachleute erwarten mehr Radtourismus und auch mehr Bahnreisen
Einen starken, kurz- und mittelfristigen Aufschwung dürfen laut VCÖ-Barometer die Bereiche Radtourismus, Bahnreisen und Urlaube im Inland erwarten. Damit verbunden auch Pkw-Reisen, wobei hier der Anstieg Covid-19-bedingt im Jahr 2021 deutlich stärker angenommen wird, als mittelfristig im Jahr 2025. Beim Reisen hat Bequemlichkeit hohe Priorität. Um die Attraktivität eines autofreien Urlaubs zu erhöhen gilt: Das Angebot muss stimmen. Einfache, durchgängige Reisebuchung bis zum Zielort, Gepäckabgabe beim Einstiegsbahnhof, Shuttle-Dienst für die letzte Meile, individuelles Mobilitätsangebot vor Ort (Bike- und Carsharing, Wanderbusse, Mikro-ÖV).
Hier gibt es noch großen Aufholbedarf: Während ein Flugticket online innert Minuten gebucht ist, bedarf die Buchung einer internationalen Bahnverbindung oft einer ausgedehnten Recherche auf unterschiedlichen Portalen. Und während derzeit eine autofreie Reise im Inland oft organisatorischen Mehraufwand bedeutet, sind Gratis-Parkplätze an Tourismus-Hotspots Standard. Hier setzt ein Vorschlag aus der Umfrage an: verpflichtende Parkplatz-Gebühren in Tourismus-Destinationen und bei Unterkünften. Durch Maßnahmen für reduzierten Auto-Verkehr könnte ein klassisches Trittbrettfahrer-Problem reduziert werden: Wer selbst in Tourismus-Regionen mit dem Auto fährt, profitiert im Sinne von Ruhe und Erholung davon, dass alle anderen möglichst wenig Auto fahren. Wandern in der Natur ist das wichtigste Motiv für Sommerurlaube in Österreich. Daher sollte klimaverträglicher Urlaub gerade im Land der Berge, Flüsse und Seen Standard sein.
Jetzt Weichen für klimaverträgliches Reisen stellen
Reisen sind ein immer wichtiger werdender Klimafaktor. Während die Bevölkerung Österreichs im Jahr 1990 pro Person durchschnittlich 1,5 Urlaubs- oder Dienstreisen jährlich machte, waren es im Jahr 2018 mit 2,3 Urlaubs- und Dienstreisen bereits deutlich mehr. Die Verkehrsmittelwahl bei Urlaubsreisen ist bislang wenig klimaverträglich. Bei 82 Prozent der Inlandsurlaube in Österreich erfolgte im Jahr 2019 die Anreise mit dem Auto, lediglich bei 16 Prozent im Öffentlichen Verkehr. Die Auslandsurlaubsreisen wurden zu 44 Prozent mit dem Flugzeug gemacht, 41 Prozent mit dem Auto und lediglich 11 Prozent mit dem Öffentlichen Verkehr. Global betrachtet haben sich die jährlichen, verkehrsbedingten Treibhausgas-Emissionen des Tourismus in den Jahren von 2005 bis 2019 fast verdoppelt. Die Klimaverträglichkeit des Reisens wird sich ohne weitgehende Lenkungsmaßnahmen nicht von alleine einstellen. Umgekehrt – so ein weiteres Ergebnis des VCÖ-Barometers – bietet die Covid-19-Pandemie ein Zeitfenster, Veränderungen in Richtung Klimaverträglichkeit anzustoßen. Urlaubsreisen können insofern auch als „Reise in eine nachhaltige Zukunft“ verstanden werden, wo klimaverträgliches Verhalten durch ein entsprechendes Angebot, etwa individuelle Mobilität durch Nutzung von Mikro-ÖV, mehr aktive Mobilität oder Sharing von E-Pkw, ausprobiert werden kann.
Im Rahmen von Think!First wurde ein Shop entwickelt, der mit Hilfe von Gamification, persuasiven Designprinzipien und maschinellen Lernalgorithmen Kundinnen und Kunden ermutigt, sich beim Kauf von Online-Waren zielorientierter und nachhaltiger zu verhalten.
Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihre Vorstellungen und politischen Richtlinien präsentiert. Diese haben es in sich: es ist die Rede von einem „European Green New Deal“ und von einer Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet – und das alles unter dem Leitgedanken, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Auf die Umsetzung bin ich gespannt. Wir sehen in Österreich, wie schwierig es politisch ist, verbindliche und überprüfbare Klima-Zielsetzungen festzulegen und mit konkreten und überprüfbaren Maßnahmen umzusetzen. Nicht nur Österreich, die ganze Welt sucht Lösungen zur CO2-Reduktion im Verkehrsbereich – und die Zeit läuft. Wir müssen uns beeilen, wenn wir bei den Lösungen, die dann auch Beschäftigung bieten, vorne mit dabei sein wollen. Das heißt, auf dezentrale Lösungen für die Erzeugung erneuerbarer Energie zu setzen, auf Kompetenz bei der Herstellung von Schienenfahrzeugen und Schieneninfrastruktur, auf digitale Mobilitätsmanagement-Lösungen und auf Ideen für die Stadtmobilität und Stadtlogistik. Wenn die neue EU-Kommission dann auch noch eine wirksame Carbon Border Tax schafft, die sinnlose Transporte quer durch die Welt ökonomisch uninteressant macht und regionale Kreisläufe unterstützt, dann sind die Weichen für eine klimaverträgliche Beschäftigungspolitik gestellt.