Sackgasse statt Brücke: LNG-Nutzung im Straßengüterverkehr
Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Jänner 2022
Die EU-Kommission hat kurz vor Jahreswechsel in ihrem Vorschlag zur Taxonomie-Verordnung vorgesehen, die Nutzung von Erdgas und Atomkraft als nachhaltig zu klassifizieren. Auch in der EU-Regulierung zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) ist der Ausbau von Gas-Tankstellen für den Lkw-Verkehr vorgesehen. Verflüssigtes Erdgas (LNG), zumal auf Basis von in Österreich produziertem Bio-Methan, wird oft als wichtige Technologie auf dem Weg zu einem klimaverträglichen und schadstoffarmen Verkehrssystem genannt. Das klingt vielversprechend, aber…
Auch LNG-Lkw verursachen im Realbetrieb hohe Emissionen
Werden lediglich die direkten Treibhausgas-Emissionen berücksichtigt, ist die Klimabilanz von LNG-Lkw auf Basis fossiler Energiequellen im Vergleich zu B7-Diesel (d.h. mit maximal sieben Prozent Beimischung von Agro-Diesel) laut einer Analyse des Umweltbundesamtes um rund 13 Prozent besser. Wird auch die Energiebereitstellung (Gewinnung, Transport, Lagerung und Tankvorgänge) berücksichtigt, reduziert sich der theoretische Vorteil auf zehn Prozent. Noch nicht berücksichtigt ist dabei, dass sich in der Praxis sowohl in der Produktion, als auch bei der Nutzung von LNG ein Teil des verflüssigten Gases in Methan rückverwandelt und im schlechtesten Fall in die Atmosphäre austritt. Methan ist über einen Zeitraum von 100 Jahren rund 25-mal klimaschädlicher als CO2, in einem Zeitraum von 20 Jahren sogar mehr als 80-mal klimaschädlicher als CO2.1 Wird sowohl die Energiebereitstellung, als auch ein moderater Methanaustritt von einem Prozent des Verbrauchs bei der Nutzung von LNG-Lkw in der Klimabilanz berücksichtigt, schrumpft der Treibhausgas-Vorteil gegenüber Diesel-Lkw auf magere vier Prozent. Bei einem Methanaustritt von zwei Prozent, kippt die Klimabilanz von LNG-Lkw gegenüber Diesel-Lkw ins Negative. Stammt das LNG zudem aus durch Fracking gewonnenem Schiefergas, gibt es im Vergleich zu Diesel-Lkw im besten Fall keinen Vorteil in der Klimabilanz, im schlechtesten Fall werden um etwa 20 Prozent mehr Treibhausgase verursacht als von Diesel-Lkw.2
Andere Studien bestätigen diese Ergebnisse. So kommt etwa eine Studie des ICCT und Öko-Instituts im Auftrag des deutschen Umweltbundesamts zum Ergebnis, dass LNG-Lkw unter Berücksichtigung der Kraftstoffbereitstellung und je nach Motoren-Technologie lediglich im Bereich von ein bis acht Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als Diesel-Lkw.3 Die TU Graz hat im Rahmen einer Studie LNG- und Diesel-Lkw eines führenden Lkw-Produzenten direkt verglichen und die tatsächlichen Emissionen im Testbetrieb gemessen. Das Ergebnis zeigt, dass die Treibhausgas-Emissionen des LNG-Lkw je nach Annahme beim Problem des Methanaustritts im Bereich von minus 7,5 bis plus 13,5 Prozent im Vergleich zum Diesel-Lkw betragen.4
Abgastests im Realbetrieb zeigen zudem, dass LNG-Lkw auch hohe Emissionen gesundheitsschädlicher Schadstoffe aufweisen. So hat etwa die Forschungseinrichtung TNO im Auftrag der dänischen Regierung sechs Diesel-Lkw (Euro VI, Baujahr 2013) und drei LNG-Lkw (Euro VI, Baujahr 2017-18) im Straßenbetrieb getestet. Die Analyse zeigt, dass LNG-Lkw im Realbetrieb je nach Modell etwa gleich viel bis deutlich mehr Stickoxide emittieren als Diesel-Lkw. Im Vergleich zum besten Diesel-Lkw waren die Stickoxid-Emissionen der LNG-Lkw sogar zwischen zwei- und fünfmal höher.5 Auch beim Feinstaub erzielen LNG-Lkw im Praxistest nicht die erhoffte Emissionsreduktion. Der direkte Vergleich der TU Graz zeigt, dass die Feinstaub-Emissionen von LNG-Lkw sowohl hinsichtlich der Partikelmasse als auch der Partikelzahl sogar höher sein können als bei Diesel-Lkw. Zudem zeigt die Analyse, dass beim getesteten LNG-Lkw eine sehr hohe Anzahl an ultrafeinen Feinstaubpartikeln ausgestoßen werden, welche als besonders gesundheitsschädlich gelten und derzeit unter der Euro VI-Norm nicht reguliert sind.6
Kurz gesagt: zahlreiche renommierte Forschungsinstitute kommen zum Ergebnis, dass LNG-Lkw auf Basis fossiler Energieträger im Bereich Klimaschutz und Luftverschmutzung keine maßgebliche Verbesserung im Vergleich zu Diesel-Lkw liefern. Die Klimabilanz von LNG auf Basis von erneuerbarem, in Österreich produziertem Biogas ist demgegenüber deutlich besser. Laut Umweltbundesamt hätte Bio-LNG gegenüber B7-Diesel ein Treibhausgas-Reduktionspotenzial von 56 Prozent im direkten Fahrbetrieb und 45 Prozent inklusive Berücksichtigung der Energiebereitstellung und zwei Prozent Methanaustritt. Das klingt vielversprechend, aber…
Versorgungslücke von Biogas in Österreich verhindert großflächigen Einsatz für LNG-Lkw
Derzeit werden rund 85 Prozent des in Österreich produzierten Biogases für die Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt, die restlichen 15 Prozent gehen direkt in den energetischen Endverbrauch, wo sie zu fast 80 Prozent in der Industrie verwendet werden. Der Einsatz im Bereich Verkehr ist derzeit mit rund 0,1 Prozent vernachlässigbar.2,7 Die Österreichische Energieagentur kommt in einer gemeinsamen Studie mit der Johannes Kepler Universität Linz und der Montanuniversität Leoben im Auftrag des BMK zum Ergebnis, dass im Jahr 2040 die Nachfrage nach grünem Gas aus den Sektoren Industrie, Güter-, Flug- und Öffentlicher Verkehr, Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und Heizwerke das Mengenpotenzial von erneuerbarem Gas aus biogenen Reststoffen in Österreich um das Vierfache übersteigen wird.8 Die logische Schlussfolgerung: zur Reduktion der Versorgungslücke darf Biogas nur in Sektoren eingesetzt werden, wo keine Alternativen zur Dekarbonisierung zur Verfügung stehen.
Eine ähnliche Einschätzung gilt auch für andere EU-Staaten. Gemäß einer Studie von Transport & Environment könnten selbst unter der Annahme öffentlicher Subventionen in Höhe des sechsfachen Verkaufspreises von Erdgas in den sechs größten EU-Staaten durch Biogas im Jahr 2050 lediglich 4 bis 28 Prozent des erwarteten Energiebedarfs im Straßengüterverkehr gedeckt werden.4 In Deutschland beträgt das Potenzial unter diesen Rahmenbedingungen 18 Prozent bis zum Jahr 2050. Abgesehen davon, dass diese Menge auch im Straßengüterverkehr weniger als ein Fünftel des Bedarfs würde abdecken können, stünde dann kein Biogas mehr für die Sektoren Energie, Gebäude und Industrie zur Verfügung.9
Fazit
Einerseits sind LNG-Lkw alles andere als emissionsfrei oder klimaverträglich, andererseits reicht das Mengenpotenzial von Biogas für einen großflächigen Einsatz im Lkw-Verkehr nicht aus. Während der lokale Einsatz von Biogas für Lkw für spezifische Anwendungsfälle durchaus sinnvoll sein kann, schaffen Investitionen in den Ausbau einer flächendeckenden LNG-Tankinfrastruktur für Lkw Lock-In-Effekte. Wird eine solche Infrastruktur geschaffen, muss sie schon aus ökonomischen Gründen auch langfristig genutzt werden – wissend, dass grünes Gas begehrte Mangelware und somit im Verkehr die Ausnahme von der Regel bleiben wird. Das wäre vertretbar, wenn es im Straßengüterverkehr keine Alternative geben würde – was nicht der Fall ist, da E-Lkw (mit oder ohne Oberleitung) absehbar die effizienteste Dekarbonisierungsoption im Straßengüterverkehr sind. Im Zusammenhang mit Gas-Lkw wird oft das Bild einer Brückentechnologie bemüht. Jenes einer Sackgasse ist treffender.
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VCÖ (Wien, 31. März 2023) - Die Klimaziele kann der Verkehr nur erreichen, wenn auch der Gütertransport auf Klimakurs kommt. Der heute vom Klimaschutzministerium präsentierte Masterplan Güterverkehr gibt die Zielrichtung vor und wird vom VCÖ begrüßt. Damit die Zielsetzungen auch erreicht werden, müssen rasch verstärkte Maßnahmen folgen. Großes Potenzial besteht in so genannten Anschlussbahnen, um Güter direkt vom Betrieb auf die Schiene zu bringen, betont der VCÖ. Zudem ist auch im Straßengüterverkehr der Ausstieg aus Diesel zu beschleunigen. Durch verstärkte Lkw-Kontrollen ist zudem sicherzustellen, dass alle Lkw die bestehenden Regelungen und Gesetze einhalten. Dazu zählt auch die Einhaltung des Tempolimits von 80 km/h für Lkw auf Autobahnen und Schnellstraßen.
VCÖ (Wien, 7. März 2023) – Das Mobilitätsverhalten der Frauen ist in Summe sicherer als jenes der Männer, sowohl für die Frauen selber als auch für die anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse im Vorfeld des internationalen Frauentags zeigt. Frauen verursachen ein Drittel der Verkehrsunfälle mit Personenschaden, Männer doppelt so viele. Im Straßenverkehr kommen rund dreimal so viele Männer wie Frauen ums Leben. Nach wie vor leisten Frauen deutlich mehr "Mobility of Care" als Männer und viermal so viele Frauen wie Männer arbeiten Teilzeit. Auf die sich daraus ergebenden Anforderungen an das Mobilitätsangebot wird derzeit viel zu wenig Rücksicht genommen, stellt die Mobilitätsorganisation VCÖ fest.