Was gegen eine Helmpflicht für E-Bikes und E-Scooter spricht
Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), August 2025
Radfahren ist gesund, leise, platz-, ressourcen- und energiesparend, umweltfreundlich und für sich genommen ein sehr sicheres Verkehrsmittel. Seit vielen Jahren findet sich daher in unterschiedlichen politischen Strategiepapieren zu Recht das Ziel, den Radverkehrsanteil zu erhöhen – die aktuelle Bundesregierung will ihn verdoppeln.1 Im Jahr 2024 waren 57 Prozent der hierzulande verkauften Fahrräder E-Bikes.2 Elektro-Fahrräder sind längst in der Alltagsmobilität angekommen und haben das Potenzial, mehr Menschen für mehr und auch weitere Wege auf das Fahrrad zu bringen. Obwohl nicht im Regierungsprogramm der Bundesregierung enthalten, wird derzeit in Österreich über eine Helmpflicht für E-Bikes und E-Scooter diskutiert. Das ist zwar gut gemeint, bei genauerer Betrachtung aber eine schlechte Idee.
Infrastruktur ist der entscheidende Faktor
Um Missverständnisse auszuschließen: Helme sind nützlich und absolut empfehlenswert. Viel entscheidender für die Verkehrssicherheit beim Radfahren ist jedoch die Infrastruktur. Im Vorjahr passierte kein einziger tödlicher E-Bike-Unfall auf einem Radweg oder einer anderen Radverkehrsanlage.3 Auch das Tempo des Kfz-Verkehrs spielt eine entscheidende Rolle, wie Daten der Statistik Austria zeigen. In den Jahren 2022 und 2023 passierten rund 80 Prozent aller tödlichen Radverkehrsunfälle auf Fahrbahnen im Ortsgebiet bei einem Tempolimit von 50 Stundenkilometer oder mehr.4 Gefährlich wird es also dort, wo Autos, Lkw und Radfahrende mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit auf eine Fahrspur gedrängt werden. Von den 20 im Vorjahr tödlich verunglückten Radfahrenden mit E-Bike trug genau die Hälfte einen Helm – was in etwa auch der allgemeinen Radhelm-Tragequote von E-Bike-Fahrenden in Österreich entspricht.5 Helme machen statistisch gesehen also wenig Unterschied, Radverkehrsinfrastruktur und Tempo des Kfz-Verkehrs schon.
Helmpflicht verhindert keine Unfälle
Natürlich können getragene Helme helfen Verletzungen zu reduzieren, sie verhindern aber keine Unfälle. Zudem wird die Wirkung einer Helmpflicht oft überschätzt, wie eine sehr umfassende Studie mit knapp 70.000 Unfalldaten aus Kanada zeigt, wo zwischen 1994 und 2003 in sechs der zehn Provinzen eine Helmpflicht umgesetzt wurde. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Anzahl der Kopfverletzungen über den Beobachtungszeitraum zwar zurückgegangen ist, die Einführung einer Helmpflicht dazu jedoch keinen signifikanten Beitrag geleistet hat – relevanter waren andere Faktoren, wie Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur, Schulungen und Informationskampagnen.6 Wer also die Anzahl der Unfälle reduzieren und die Verkehrssicherheit für Radfahrende verbessern will, muss an der Ursache des Problems ansetzen – und das heißt: sichere Radweginfrastruktur schaffen und Tempolimits runter, wo Radfahrende auf Kfz-Verkehr treffen.
Aus Unschuld wird Mitschuld
Wird das Helmtragen zur gesetzlichen Pflicht, erwachsen daraus unweigerlich auch juristische und versicherungstechnische Risiken. Schon auf Basis der derzeitigen Rechtsgrundlage entschied der Oberste Gerichtshof in einem umstrittenen Urteil im März 2025, dass ein sich völlig rechtskonform verhaltender E-Bike-Fahrer, der von einem Pkw-Lenker beim Verlassen einer Tankstelle angefahren wurde, wegen Nichttragen eines Helms ein Mitverschulden von 20 Prozent trifft.7 Würde eine Helmpflicht umgesetzt, wird aus einem strittigen Einzelfall geltendes Gesetz. Spontanes E-Bike fahren oder ein vergessener Radhelm würden somit auch zum finanziellen Risiko, während Versicherungen durch ein Abwälzen von Schmerzensgeldansprüchen auf das Konto der Unfallopfer profitieren würden. Auch wenn man mit dem Fahrrad niemanden gefährdet und völlig unverschuldet angefahren wird, bliebe man auf einem Teil der entstandenen Kosten sitzen. Ist das fair?
Geschwindigkeit macht den Unterschied
Oft wird an dieser Stelle in der Diskussion der intuitiv nachvollziehbare, sachlich aber unzulässige Vergleich zur Gurtpflicht im Auto und Helmpflicht beim Motorradfahren gezogen. Während Fahrräder im Alltag im Bereich 15 bis 30 km/h unterwegs sind, fahren Autos und Motorräder ohne weiteres 80 bis 100 km/h und mehr. Wie bereits erwähnt, passierte im Jahr 2024 kein einziger tödlicher Radverkehrsunfall auf einem Radweg, umgekehrt jedoch 96 Prozent aller tödlichen Unfälle von Autos und Motorrädern auf Strecken mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h oder mehr.8 Geschwindigkeit macht also für die Verkehrssicherheit den entscheidenden Unterschied, oder anders gesagt: Die Gefahr beim Radfahren tödlich zu verunglücken, geht vor allem vom Kfz-Verkehr aus. Wer eine Helmpflicht für Radfahrende fordert, müsste – überspitzt formuliert – eigentlich auch eine verpflichtende Schutzausrüstung für zu Fuß Gehende fordern.
Hürden statt Anreize fürs Radfahren
Das verkehrspolitische Hauptproblem einer Helmpflicht ist, dass es eine Hürde für das Radfahren darstellt. Gerade auch für Sharing-Systeme wäre eine Helmpflicht kaum umzusetzen. Die 300 gerade erst im Juli 2025 im städtischen Fahrradverleih-System Wiens eingeführten E-Bikes hätten somit ebenso einen schweren Stand, wie das für das Jahr 2026 geplante S-Bike-Projekt mit 600 Elektro-Fahrrädern in Salzburg.9,10 Generell zeigt die Empirie, dass die Fahrrad-Nutzung nach Einführung einer Helmpflicht zurückgeht.11 So geschehen etwa Anfang der 1990er-Jahre in Australien, wo die Anzahl der Radfahrenden je nach Region um rund 30 bis 40 Prozent gesunken ist, bei speziellen Gruppen wie Mädchen im Mittelschulalter waren es sogar bis zu minus 80 Prozent.12 Auch Neuseeland hat im Jahr 1994 eine allgemeine Helmpflicht umgesetzt, auch hier war der Trend ähnlich: noch ein Jahrzehnt später saß die Bevölkerung durchschnittlich um rund 50 Prozent weniger auf dem Fahrrad – umgekehrt hat jedoch das Verletzungsrisiko je Fahrradstunde um rund 20 Prozent zugenommen.13 Israel hat im Jahr 2007 eine allgemein Helmpflicht eingeführt, sie aber vier Jahre später aufgrund der negativen Effekte auf die Anzahl der Radfahrenden wieder abgeschafft.14
Mehr Radfahrende, mehr Verkehrssicherheit
Eine rückläufige Anzahl an Radfahrenden läuft nicht nur den politischen Bemühungen um einen höheren Radverkehrsanteil entgegen, sondern wirkt sich, wie auch die Zahlen aus Neuseeland zeigen, letztlich negativ auf die Verkehrssicherheit aus – Stichwort „safety in numbers“: Mehr Radfahrende gehen mit einer geringeren Unfallhäufigkeit pro Person einher. In den Niederlanden wird pro Person fast viermal so viel Radgefahren wie in Österreich. Pro 100 Millionen Fahrradkilometer passieren durchschnittlich 0,8 tödliche Unfälle, in Österreich sind es mit 2,4 rund dreimal so viele.15 Ein Grund für diesen Zusammenhang ist, dass die Sichtbarkeit von Radfahrenden mit deren Anzahl steigt. Mehr Radverkehr bedeutet auch höhere Verkehrssicherheit beim Radfahren. Und auch gesamtwirtschaftlich geht die Rechnung auf: der positive Gesundheitseffekt durch einen höheren Radverkehrsanteil überwiegt den potenziellen Nutzen einer Radhelm-Pflicht bei Weitem.16
Niedrigeres Tempo-Limit für E-Scooter statt Helmpflicht
Nicht nur für Elektro-Fahrräder, auch für E-Scooter wird eine Helmpflicht diskutiert. Fakt ist, dass E-Scooter im Vergleich zu Fahrrädern aufgrund ihrer Bauart ein höheres Unfallrisiko haben. Eine Studie für Deutschland zeigt ein knapp fünfmal höheres Unfallrisiko sowie auch Risiko für schwere und tödliche Verletzungen je zurückgelegtem Kilometer im Vergleich zum Fahrrad.17 Fakt ist auch, dass E-Scooter sich in Österreich etabliert haben und Teil eines vielfältigen Mobilitätsangebots sind. Die bereits erwähnten Gründe gegen eine Helmpflicht für Elektro-Fahrräder gelten in ähnlicher Form auch für E-Scooter. In Dänemark wurde im Jahr 2022 eine Helmpflicht für E-Scooter eingeführt. Eine Untersuchung der dänischen Verkehrsbehörde zeigt, dass zwar die Unfallhäufigkeit allgemein gesunken ist, der Effekt aber nicht auf die Einführung der Helmpflicht zurückzuführen ist. Die Zahl der E-Scooter-Unfälle mit Krankenhausaufenthalt ist interessanterweise im Vergleich zum Jahr vor der Helmpflicht sogar konstant geblieben, die Nutzung von E-Scooter-Sharing jedoch laut Unternehmensangaben um 50 bis 70 Prozent zurückgegangen.18 Um der erhöhten Verletzungsgefahr im Vergleich zum Radfahren Rechnung zu tragen, wäre bei E-Scootern eine Reduktion der Bauartgeschwindigkeit beziehungsweise des Tempolimits auf 20 km/h sinnvoll – umgesetzt seit mehreren Jahren etwa in der Schweiz und in Deutschland.
Gute Beispiele zum Vorbild nehmen
Oft hilft auch ein Blick in andere Länder. Eine allgemeine Helmpflicht für Erwachsene gibt es außer in Finnland in keinem EU-Land, speziell für E-Bikes nirgendwo in Europa. Das Vorbildland beim Radfahren schlechthin sind die Niederlande. In keinem Land der EU wird so häufig und so sicher Rad gefahren wie dort. Im Jahr 2019 gaben dort 61 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren an, regelmäßig Fahrrad zu fahren – doppelt so viele wie in Österreich.19 Sehr viele Radfahrende und sehr wenige Unfälle, daran sollten wir uns orientieren – anstatt durch eine Helmpflicht die Zahl der Radfahrenden absehbar zu reduzieren. Wer die Verkehrssicherheit erhöhen will, muss bei den Ursachen des Problems ansetzen – bei der Infrastruktur und dem innerörtlichen Tempo des Kfz-Verkehrs. Eine Helmpflicht hingegen verhindert keine Unfälle, wirkt oft schlechter als erhofft, wälzt Unfallkosten auf die Opfer ab und führt absehbar zu weniger Radverkehr. Das Fazit ist somit klar: Helme sind gut und nichts spricht gegen eine umfassende Bewusstseinskampagne dazu, eine Helmpflicht hingegen wäre ein verkehrspolitisches Eigentor.
PS: Dieses Briefing ist in gekürzter Fassung auch als „Kommentar der Anderen“ in der Tageszeitung „Der Standard“ erschienen.
Quellen
Quellen
1
Bundeskanzleramt: Jetzt das Richtige tun. Für Österreich. Regierungsprogramm 2025-2029. Wien: 2025.
Dennis J. u.a.: Helmet legislation and admissions to hospital for cycling related head injuries in Canadian provinces and territories: interrupted time series analysis. In: British Medical Journal (BMJ), 14.5.2013.
Castro A. u.a.: Exposure-Adjusted Road Fatality Rates for Cycling and Walking in European Countries. Discussion Paper. In: International Transport Forum, Roundtable 168, OECD. Paris: 2018.
VCÖ, WWF (Wien, am 17. April 2025) - Der Straßenverkehr ist für Hasen ein gefährliches Pflaster – vor allem zur starken Oster-Reisezeit. Jährlich werden in Österreich mehr als 17.000 Hasen von Kraftfahrzeugen angefahren und getötet. Darauf machen VCÖ und WWF jetzt aufmerksam. Zusätzlich kommen mehr als 50.000 andere Wildtiere, wie Rehe, Fasane und Füchse im Straßenverkehr ums Leben, wie die von der Statistik Austria erfassten Meldungen an die Bezirkshauptmannschaften zeigen. VCÖ und WWF fordern angesichts dieser Zahlen einen Stopp der Zersiedelung und eine verbindliche Obergrenze für den Bodenverbrauch.
VCÖ (Wien, 10. April 2025) – Ende 2024 gab es in Österreich bereits fast 27.000 öffentliche E-Ladepunkte, um 10.900 mehr als noch Ende 2022, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der E-Control und Austria-Tech zeigt. In absoluten Zahlen gibt es in Niederösterreich die meisten öffentlichen Ladepunkte, im Verhältnis zum E-Pkw-Bestand in Tirol. Die Zahl der E-Pkw ist in Österreich von 110.200 Ende 2022 auf bereits rund 213.000 gestiegen. Für den heimischen Tourismus ist der Ausbau der Ladestellen bei den Beherbergungsbetrieben wichtig. In den Niederlanden, Österreichs zweitwichtigstes Urlaubsgästeland, sind bereits 35 Prozent der Neuwagen Elektroautos. Beim Ausbau der E-Ladestellen sind insbesondere in den Städten vorhandene Großparkplätze stärker zu nutzen. Zudem ist die Preis-Transparenz bei den Ladestellen rascher umzusetzen, betont die Mobilitätsorganisation VCÖ.