Von Katharina Jaschinsky (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Oktober 2024
Der „unsichtbare Schutzweg“ feiert im Oktober sein 30-jähriges Jubiläum. Die StVO besagt: Ist ersichtlich, dass ein Kind die Straße überqueren möchte, dann ist das zu ermöglichen, auch dort, wo es keinen Schutzweg gibt. Grund zum Feiern besteht aber wenig, denn diese Regelung wird sehr häufig missachtet.
Eine Befragung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zeigt, dass ein Drittel der Bevölkerung gar nicht weiß, dass es den „unsichtbaren Schutzweg“ gibt.1 Gleichzeitig sind Vorrangverletzungen oder Rotlichtmissachtung die Hauptunfallursachen bei Verkehrsunfällen mit zu Fuß gehenden Kindern. Hauptunfallgegner von Kindern sind Pkw.2
Erschreckend ist, dass viele Kinder sogar in den offensichtlichen Schutzbereichen angefahren werden. Allein im Jahr 2023 wurden am Schulweg 100 Kinder auf einem Schutzweg durch einen Verkehrsunfall verletzt.3 Beobachtungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit bei fast 5.000 Kfz-Lenkenden zeigen eine niedrige Anhaltebereitschaft vor Schutzwegen ohne Ampelregelung. Jeder zehnte Kfz-Lenkende blieb nicht vor einem Zebrastreifen stehen, um die zu Fuß gehende Person am Schutzweg die Fahrbahn queren zu lassen.4 Und das, obwohl auch hier die Straßenverkehrsordnung sehr deutlich ist: Ein Fahrzeug darf sich einem Schutzweg „nur mit einer solchen Geschwindigkeit nähern, dass das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann.“ (StVO § 9)
Kindern ist stets das Queren der Straße zu ermöglichen
Kinder haben im Straßenverkehr eigentlich immer und überall Vorrang. Kinder sind aus dem Vertrauensgrundsatz ausgenommen. Das heißt: Wenn ersichtlich ist, dass ein Kind die Straße queren möchte, dann ist ihm das zu ermöglichen, auch dort, wo es keinen Schutzweg gibt (StVO § 29a). Der „unsichtbare Schutzweg“ gilt, wenn Kinder alleine, in einer Gruppe oder auch mit Erwachsenen unterwegs sind. Für erwachsene Fußgängerinnen und Fußgänger gilt, „andere Straßenbenützer nicht zu gefährden oder diese zu behindern“, wenn eine Straße gequert wird (StVO §76d). Es gibt nur ausgewählte Situationen, in denen Erwachsenen zu Fuß Vorrang gegenüber dem Kfz-Verkehr eingeräumt wird - so beispielsweise am Schutzweg.
Ein Blick in die Vergangenheit – wie der Mensch dem Pkw weichen musste
Im frühen 20. Jahrhundert wurden Straßen noch von allen gleichberechtigt genutzt. Gehende, Handelnde, Kutschen und auch spielende Kinder teilten sich den Straßenraum. Mit der Verbreitung von Pkw änderte sich dieses Bild in den 1920er-Jahren. Zuvor konnten Menschen die Straße überall überqueren, aber der Anstieg der Verkehrstoten, insbesondere unter Fußgängerinnen und Fußgängern und Kindern, führte zu maßgeblichen Veränderungen des Straßenraums. Kampagnen wurden gestartet, um die Schuld an Unfällen den Gehenden zuzuschieben. Es wurden Gesetze geschaffen, die den Pkw Vorrang einräumten und die Bewegungsfreiheit von Fußgängerinnen und Fußgängern stark einschränkten.5
Mehr Rücksichtnahme und ein sicheres Umfeld für Kinder schaffen
Heute kann der „unsichtbare Schutzweg“ für Kinder als ein Überbleibsel der einstigen gleichberechtigten Aufteilung des Straßenraums betrachtet werden. Die Regelung ist wichtig, um die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr zu stärken. Aber eine Regelung alleine reicht nicht aus, vor allem wenn diese zu wenig beachtet wird.
Wir brauchen eine Kultur der Rücksichtnahme zwischen den Verkehrsteilnehmenden und mehr Bewusstsein über den verpflichtenden Schutz der Kleinsten. Eine kindgerechte und sichere Infrastruktur trägt wesentlich dazu bei, dass Regeln eingehalten werden. Dazu gehören breite Gehwege und übersichtliche Straßenübergänge. Das heißt konkret, das bestehende Halte- und Parkverbot vor Schutzwegen von derzeit fünf auf zehn Meter auszuweiten. Niedrigeres Tempo reduziert den Anhalteweg und erweitert das Sichtfeld. Damit kann beispielsweise ein Richtung Fahrbahn laufendes Kind frühzeitig gesehen und rechtzeitig stehen geblieben werden.
Ein kindgerechtes Verkehrssystem fördert die selbständige Mobilität von Kindern, ermöglicht Kindern in einem sicheren Raum Kompetenz im Verhalten im Straßenverkehr zu erlangen. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein!
Quellen
Quellen
1
Kuratorium für Verkehrssicherheit: Kinder im Straßenverkehr zunehmend gefährdet. – Presseaussendung, 03.12.2019.
Zuser V. u.a.: Analyse und Vergleich von Unfällen auf Ausbildungs- und Freizeitwegen von Kindern, Jugendlichen und Studierenden. Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit, 2023 (Band 40).
3
VCÖ: Im Vorjahr passierten in Österreich 100 Schulwegunfälle am Schutzweg. – Presseaussendung, 03.08.2024.
VCÖ (Wien, 5. August 2025) – Mit dem demografischen Wandel ändern sich die Anforderungen an das Verkehrssystem. Diese gilt es bereits heute in der Verkehrsplanung zu berücksichtigen, betont die Mobilitätsorganisation VCÖ. Der Anteil der über 65-Jährigen wird in Österreich in den kommenden zehn Jahren von heute 20 auf 25 Prozent steigen. Die Zahl der über 85-Jährigen wird sich in den kommenden 20 Jahren von heute 230.000 auf 465.000 verdoppeln. Im Alter steigt die Bedeutung des zu Fuß gehens für die Mobilität stark an, informiert der VCÖ. Personen ab 65 Jahren legen mehr als ein Viertel der Wege zu Fuß zurück. Die aktuelle Mobilitätserhebung für Salzburg zeigt, dass dort über 85-Jährige im Schnitt vier von zehn ihrer Alltagswege zu Fuß gehen.
VCÖ (Wien, 29. Juli 2025) – Die Zahl der Schutzweg-Unfälle ist weiterhin sehr hoch. Im Vorjahr wurden in Österreich 972 Fußgängerinnen und Fußgänger am Schutzweg angefahren und verletzt, elf davon tödlich. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt: Zehn der elf Todesopfer waren älter als 65 Jahre. Alle tödlichen Schutzwegunfälle passierten auf Straßen mit einem Tempolimit von 50 km/h oder höher. Der VCÖ fordert mehr Tempo 30 statt 50 im Ortsgebiet sowie Bewusstseinskampagnen für erhöhte Aufmerksamkeit vor Schutzwegen.