Zu schön, um wahr zu sein: Klimaschutz durch HVO-Diesel
Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), August 2024
Der Einsatz von sogenanntem HVO-Diesel in Österreich boomt. Während im Jahr 2022 in Summe noch rund 7.200 Tonnen abgesetzt wurden, stieg der Wert im Jahr 2023 auf über 30.000 Tonnen an. Vor allem der Absatz von purem HVO (HVO100) vervielfachte sich um den Faktor 220.1 Grund dafür ist eine am 1.1.2023 in Kraft getretene Novelle der Kraftstoffverordnung, durch die der Absatz von HVO100 für betroffene Unternehmen wirtschaftlich interessanter geworden ist. Es klingt auch tatsächlich verlockend: ein Diesel-Ersatz aus altem Speiseöl oder Reststoffen, der weitgehend klimaneutral und zudem schadstoffarm ist, in (fast) jedem Automotor problemlos verwendet werden kann und – anders als E-Fuels – bereits heute verfügbar ist. Kein Wunder, dass HVO-Diesel oft als Wundermittel im Kampf gegen die Klimakrise angepriesen wird. Die Sache hat nur einen Haken: liest man auch das Kleingedruckte, zerplatzt der Traum wie eine Seifenblase im Wind.
Theoretisch eine gute Lösung…
HVO (hydrotreated vegetable oil) ist ein nicht-fossiler Kraftstoff, der aus biogenen Rohstoffen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs gewonnen werden und in den meisten Dieselmotoren ohne Nachrüstung beigemischt oder pur verwendet werden kann. Theoretisch können viele Ausgangsstoffe für die Produktion von HVO verwendet werden – von pflanzlichen Ölen oder Altspeiseöl, bis zu tierischen Fetten und Tierresten.2 In Deutschland darf purer HVO-Diesel (HVO100) seit 29.5.2024 an Tankstellen verkauft werden. In Österreich ist er derzeit an rund 30 Tankstellen verfügbar. In Summe machte HVO im Jahr 2022 mit 7.200 Tonnen am gesamten Diesel-Absatz nur rund 0,1 Prozent aus, auch im Jahr 2023 lag der HVO-Anteil am gesamten Diesel-Absatz trotz Vervielfachung bei unter einem Prozent.3,4,5 Beim Verbrennen von HVO-Diesel entstehen ähnlich viele CO2- und Schadstoff-Emissionen wie bei fossilem Diesel. Die vermeintliche Klimaverträglichkeit basiert daher wesentlich auf zwei Annahmen: für die Produktion werden erstens nur Rest- und Abfallstoffe verwendet, die zweitens aufgrund ihres pflanzlichen Ursprungs das beim Verbrennen freigesetzte CO2 zuvor aus der Atmosphäre herausgefiltert haben – et voilà: annähernde Klimaneutralität.
…praktisch aber kaum verfügbar
Soweit die Theorie. In der EU wurde im Jahr 2022 jedoch in der Praxis weniger als die Hälfte des HVO aus Rest- und Abfallstoffen gewonnen – 21 Prozent aus Altspeiseöl, 22 Prozent aus tierischen Fetten. Mit 35 Prozent der größte Anteil stammt hingegen aus frischem Palmöl sowie dessen Nebenprodukten.6 In Österreich stammte noch im Jahr 2020 das gesamte HVO aus importiertem Palmöl aus Malaysia und Indonesien. Durch das 2021 in Kraft getretene Palmöl-Verbot hat sich der Rohstoff-Mix diversifiziert. Im Jahr 2022 basierte mit 43 Prozent des verkauften HVO der größte Anteil auf Soja und jeweils 24 Prozent auf tierischen Fetten und Altspeiseöl. Während das dafür eingesetzte Frischöl fast ausschließlich aus der EU stammt, werden die Rest- und Abfallstoffe zu 60 Prozent aus Drittstaaten importiert.7In Europa wird achtmal mehr Altspeiseöl im Verkehr verbraucht als eingesammelt wird und zudem gibt es den Verdacht, dass dabei teilweise Etikettenschwindel betrieben wird. Abgesehen von der steigenden Import-Abhängigkeit macht es auch aus Effizienz-Perspektive keinen Sinn, altes Frittieröl aus Fernostasien unter Einsatz von fossilem Diesel zur HVO-Diesel-Produktion nach Europa zu verfrachten – anstatt es vor Ort zu verwenden. Würde man sich bei der Produktion tatsächlich auf lokal verfügbare Rest- und Abfallstoffe beschränken, könnte damit beispielsweise in Deutschland maximal ein Prozent des Energiebedarfs im Verkehr abgedeckt werden.8
Höhere Emissionen bei Gesamtbetrachtung
Anders als die Bezeichnung suggeriert, sind Rest- und Abfallstoffe also eine begehrte und äußerst knappe Ressource – die andernorts fehlt, wenn sie im Verkehr eingesetzt wird. Werden solche Verdrängungseffekte berücksichtigt, kippt die Klimabilanz ins Negative. HVO verursacht in der Gesamtbilanz fast doppelt so viele Treibhausgas-Emissionen wie fossiler Diesel, wenn dafür verwendete tierische Fette in der Kosmetik-Industrie (etwa zur Seifenproduktion) durch Palmöl ersetzt werden müssen.9 Auch die Klimabilanz von HVO aus Frischöl ist deutlich schlechter als bei fossilem Diesel, wenn sogenannte indirekte Landnutzungsänderungen (also Verdrängungseffekte in der Flächennutzung) berücksichtigt werden – was ganz besonders für Palmöl, aber auch für das in Österreich hauptsächlich eingesetzte Sojaöl zutrifft. In Gesamtbetrachtung verursacht Soja-HVO doppelt so viel CO2-Emissionen wie fossiler Diesel.10
Und auch was Luftschadstoffe angeht, gibt es zumindest Zweifel. Obwohl HVO-Diesel gute Verbrennungseigenschaften zugeschrieben werden, zeigen Praxistests mit HVO100 sogar um 17 bis 22 Prozent höhere Stickstoffoxid-Emissionen als bei fossilem Diesel und einen höheren Ausstoß an ultrafeinen Partikeln.11
Knapp, daneben und bald vorbei?
Wenn man das Kleingedruckte bewusst ignoriert, hilft HVO-Diesel also beim Klimaschutz. Praktisch sind die angepriesenen Rest- und Abfallstoffe maximal in für den Verkehr zu vernachlässigendem Ausmaß verfügbar und verursacht HVO in der Gesamtbilanz daher sogar mehr CO2- und Luftschadstoffe als fossiler Diesel. Der größte Anteil des in Österreich vertankten HVO-Diesels basiert nicht auf Altspeiseöl, sondern auf Soja – das aufgrund der verursachten Umweltschäden in Belgien, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden seit Kurzem als Rohstoff für Agro-Treibstoffe verboten ist.12 Anders als bei Palmöl, fehlt nicht nur in Österreich, sondern auch auf EU-Ebene ein konkretes Ausstiegsdatum für die Verwendung von Sojaöl für Agro-Treibstoffe im Verkehr.
Ähnlich wie für andere vermeintliche Wundermittel im Kfz-Verkehr – von Erdgas, über Wasserstoff zu E-Fuels – gilt also auch für HVO-Diesel: zu schön, um wahr zu sein. Die gute Nachricht zum Schluss: anders als im Flug- oder Schiffsverkehr steht dem Einsatz der mit Abstand effizientesten Antriebsform im Straßenverkehr nichts entgegen – dem Elektro-Motor.
Quellen
Quellen
1
Umweltbundesamt: Detailbericht zur Nahzeitprognose der Österreichischen Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs 2023. Wien: 2024.
Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität Innovation und Technologie (BMK): Erneuerbare Kraftstoffe und Energieträger im Verkehrssektor in Österreich 2023. Wien. Stand: 4.3.2024
Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität Innovation und Technologie (BMK): Erneuerbare Kraftstoffe und Energieträger im Verkehrssektor in Österreich 2023. Wien. Stand: 4.3.2024 Anmerkung: Im Berichtsjahr 2022 wurden 100 Prozent des in Österreich in Verkehr gebrachten HVO importiert. In der Raffinerie Schwechat wurden 2016/2017 zu Testzwecken rund 5.400 Tonnen produziert. Ab dem Jahr 2024 soll die Produktionskapazität auf bis zu 160.000 Tonnen HVO ausgeweitet werden.
Naturschutzbund Deutschland (NABU): Hype um HVO. Was steckt dahinter und sind Kraftstoffe aus biogenen Abfall- und Reststoffen gut für’s Klima? Faktencheck. März, 2024.
Wie Menschen wohnen und welches Mobilitätsangebot sie im Umfeld vorfinden, bestimmt die Kosten und die Umweltbilanz ihrer täglichen Wege. E-Carsharing im Wohnbau ist ein Beitrag zur Energieeffizienz sowie für Bewohnende ein Zusatzservice, der hilft Autokosten zu sparen.
Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihre Vorstellungen und politischen Richtlinien präsentiert. Diese haben es in sich: es ist die Rede von einem „European Green New Deal“ und von einer Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet – und das alles unter dem Leitgedanken, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Auf die Umsetzung bin ich gespannt. Wir sehen in Österreich, wie schwierig es politisch ist, verbindliche und überprüfbare Klima-Zielsetzungen festzulegen und mit konkreten und überprüfbaren Maßnahmen umzusetzen. Nicht nur Österreich, die ganze Welt sucht Lösungen zur CO2-Reduktion im Verkehrsbereich – und die Zeit läuft. Wir müssen uns beeilen, wenn wir bei den Lösungen, die dann auch Beschäftigung bieten, vorne mit dabei sein wollen. Das heißt, auf dezentrale Lösungen für die Erzeugung erneuerbarer Energie zu setzen, auf Kompetenz bei der Herstellung von Schienenfahrzeugen und Schieneninfrastruktur, auf digitale Mobilitätsmanagement-Lösungen und auf Ideen für die Stadtmobilität und Stadtlogistik. Wenn die neue EU-Kommission dann auch noch eine wirksame Carbon Border Tax schafft, die sinnlose Transporte quer durch die Welt ökonomisch uninteressant macht und regionale Kreisläufe unterstützt, dann sind die Weichen für eine klimaverträgliche Beschäftigungspolitik gestellt.