Aus der Praxis Stefan Bendiks

»Radverkehr als Mittel der Transformation«

VCÖ-Magazin: Paris machte das Seine-Ufer, wo täglich 40.000 Kfz fuhren, autofrei. Wie funktioniert das?

Stefan Bendiks: Heute fragt jeder, warum so lange eine Stadtautobahn entlang des Ufers geduldet wurde, weil jetzt sichtbar ist, was da alles an Lebensqualität entstanden ist. Die Erfolgsformel vieler dieser Projekte, wo Verkehrsraum umgestaltet wird, ist, dass es um ein größeres Ganzes geht und überlegt wird, wie die Stadt und das Leben der Menschen dort verbessert werden können. Da ist der Radverkehr nicht der Zweck, sondern wird als Mittel der Transformation eingesetzt. Mehr Radverkehr spielt Flächen frei, ist umweltfreundlich und ermöglicht Autoverkehrsflächen zu entsiegeln, was die Versickerung von Starkregenfällen, das Pflanzen von Bäumen und die Reduktion von Hitze möglich macht.

VCÖ-Magazin: Sie haben vor einigen Jahren an der neuen Radverkehrsstrategie der Stadt Groningen mitgearbeitet. Wie wird das angelegt in einer Stadt, die seit Jahrzehnten Vorreiterin im Radverkehr ist?

Stefan Bendiks: In Groningen leben rund 200.000 Menschen und die Stadt wächst stark. Da ist es absolut notwendig, neu Zuziehende gleich in diese Radkultur einzubeziehen, um den Status quo von über 40 Prozent Radverkehrsanteil zu halten. Die Strategie wurde integral angelegt, andere Abteilungen der Stadt, Gesundheit, Erziehung, Bildung, Umwelt einbezogen. Und es ergaben sich einige spannende Interventionen – etwa die Rundum-Grün-Kreuzungen, wo die Radfahrenden alle gleichzeitig grün bekommen und alle Autofahrenden rot. Das führte dazu, dass es an den Kreuzungen keine tödlichen Unfälle mehr gab. Das ist ein schönes Beispiel dafür, die Selbstverantwortlichkeit der Radfahrenden planerisch mitzudenkeb, statt sie wie kleine Autos zu behandeln, für die auch alles mit Zeichen und Ampeln geregelt werden muss. In diesem Geist wurde auch das große Problem der überall abgestellten Fahrräder in der Innenstadt gelöst. Statt autoinspirierter Lösungen – Garagen bauen, Fahrräder abschleppen – wurden Natursteinbänder in den Straßenbelag eingelassen, die Abstellflächen definierten. Und Radfahr-Stewards haben die Leute angesprochen und darauf hingewiesen, wo sie ihre Fahrräder hinstellen sollen.

VCÖ-Magazin: Wie gelingt es, die Gemeinden für die Förderung von Gehen und Radfahren zu gewinnen?

Stefan Bendiks: Meist bedarf es keiner Überzeugungsarbeit. Der Wunsch der Gemeinden, hier Akzente zu setzen, ist stark vorhanden. Neben den finanziellen Unterstützungen braucht es beim Radfahren und Gehen vor allem Hilfe in der Umsetzung, bei der Planung, und auch den entsprechenden Spielraum, auf die eigenen Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen zu können. Wir müssen Wege zeigen, Optionen darlegen und helfen, wo es erforderlich ist. Umsetzen können es die Gemeinden selbst am allerbesten.

Foto: Robert Goddyn

Stefan Bendiks
Artgineering Brüssel

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VCÖ zu Radboom in Wien: Jetzt temporäre Radwege umsetzen

VCÖ (Wien, 13. Juni 2022) – Laut Stadt Wien waren im heurigen Mai um ein Drittel mehr Radfahrerinnen und Radfahrer unterwegs als im Mai des Vorjahres. Die Mobilitätsorganisation VCÖ weist darauf hin, dass in den vergangenen drei Jahren in den Sommermonaten nochmals mehr Radfahrende unterwegs waren als im Mai. Auf etlichen Abschnitten im Radwegenetz ist es bereits jetzt eng. Damit die Wienerinnen und Wiener sicher mit dem Fahrrad mobil sein  können, tritt der VCÖ für die rasche Umsetzung temporärer Radwege ein.

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Foto: Sarah Duit

VCÖ zum Welttag des Fahrrads: Österreich hat beim Radverkehr im internationalen Vergleich großen Aufholbedarf

VCÖ (Wien, 2. Juni 2022) – Jährlich 300 Millionen Euro sparen sich die Österreicherinnen und Österreicher, weil sie Strecken mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahren. Die Ersparnis könnte deutlich höher sein, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse zeigt. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten hat Österreich sowohl bei der Rad-Infrastruktur als auch bei den rechtlichen Regelungen großen Aufholbedarf. Die Infrastruktur weist vielerorts große Mängel auf, gesetzliche Regelungen, die in anderen Staaten schon längst gang und gäbe sind, sind in Österreich noch immer nicht umgesetzt beziehungsweise werden blockiert. Der VCÖ fordert die rasche Umsetzung der StVO-Novelle, Tempo 30 statt 50 im Ortsgebiet und eine Infrastrukturoffensive für den Radverkehr sowohl in Städten als auch in den Regionen.

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Foto: Sarah Duit