Jana Nikitin - direkt gefragt

„Es braucht eine gute Anbindung an den Öffentlichen Verkehr“

Porträtfoto Jana Nikitin
Jana Nikitin ist Professorin für Psychologie des Alterns an der Universität Wien

VCÖ-Magazin: Wie werden wir gut und gesund alt? Welche Einstellungen, Strategien helfen uns dabei?

Jana Nikitin: Im Alter gewinnen gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung noch stärker an Bedeutung. Gesundes Verhalten verlängert nicht nur die Lebenserwartung, sondern nachweislich auch die gesunde Lebenserwartung, also die Jahre, die wir in guter Gesundheit leben. Und es lohnt sich in jedem Alter zu beginnen. Bewegung verbessert zudem Denken und Gedächtnis, jede Form zählt. In der Natur zeigen sich oft zusätzliche Effekte. Für die kognitive Gesundheit braucht es selten Spezialprogramme: Positive soziale Kontakte wirken stark förderlich. Hobbys wie Tanzen oder Musizieren sind ideal, weil sie mehrere Sinne fordern und zugleich sozial eingebettet sind. Entscheidend ist auch eine positive Einstellung zum Alter. Wir verbinden Altern gesellschaftlich noch zu oft mit Verlusten – zu Unrecht. Das Alter ist vielschichtig und die Gruppe der älteren Menschen hoch heterogen. Wer Altern positiv sieht und sich darauf vorbereitet, erlebt diese Lebensphase im Schnitt zufriedener und lebt länger. Die Forschung zeigt auch: Wir haben mehr Gestaltungsfreiheit im Alltag, reifere Persönlichkeit und oft stabileren Beziehungen im Alter. Wir können das Alter aktiv so gestalten, dass es zu uns passt – mit schönen wie auch herausfordernden Momenten.

VCÖ-Magazin: Warum sind soziale Beziehungen und Eingebundenheit im Alter so wichtig, welche Bedeutung hat eine unterstützende Umwelt?

Jana Nikitin: Soziale Eingebundenheit ist ein Schlüsselfaktor für Gesundheit und Lebensqualität im Alter. Häufige, positive Kontakte wirken wie Balsam für die Seele und fördern Aktivität und Sinn. Es ist nicht überraschend, dass sie mit längerer und gesünderer Lebenszeit verbunden sind. Wichtig sind Qualität und Gegenseitigkeit der Beziehungen: verlässliche Freundschaften, gute Nachbarschaften sowie familiäre und generationenübergreifende Bindungen. Das gelingt vielen älteren Menschen. Sie sind im Schnitt nicht einsamer als andere Altersgruppen. Dabei zählt nicht die Zahl der Kontakte, sondern das Gefühl, bei Bedarf auf soziale Beziehungen zurückgreifen zu können. Menschen mit guten sozialen Beziehungen erleben zudem Momente des Alleinseins häufiger als positiv und nutzen sie für Muße, Reflexion oder zum Auftanken. Eine unterstützende Umwelt erleichtert die Teilhabe: barrierearme Wohnungen und Wege, gute Nahversorgung und öffentliche Verkehrsmittel, niedrigschwellige Treffpunkte (Vereine, Zentren, Ehrenamt) sowie digitale Zugänge. Solche Rahmenbedingungen erleichtern es, Kontakte zu pflegen und nicht nur Unterstützung zu erhalten, sondern sie auch zu geben. Denn die Forschung zeigt: Für das Wohlbefinden älterer Menschen ist es besser, Unterstützung anzubieten als anzunehmen.

VCÖ-Magazin: Welche besondere Rolle spielen Selbständigkeit und Mobilität?

Jana Nikitin: Selbständigkeit ist für das Wohlbefinden wichtig, doch was als selbständig gilt, verschiebt sich mit dem Alter. Üblicherweise verstehen wir darunter, ohne Hilfe auszukommen. Entgegen dem gängigen Bild lebt die überwiegende Mehrheit älterer Menschen selbständig in der eigenen Wohnung und genießt mehr Autonomie in der Alltagsgestaltung als jede andere Altersgruppe. Nur eine Minderheit älterer Menschen ist auf fremde Hilfe angewiesen. Die meisten fahren gut und sicher Auto. Zugleich ist eine gute Anbindung an den Öffentlichen Verkehr zentral, um mobil zu bleiben, aktiv am Leben teilzunehmen und soziale Beziehungen zu pflegen. So gesehen ist eine eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit von öffentlicher Mobilitätsinfrastruktur eine Form der Altersdiskriminierung.

VCÖ-Magazin: Wie kann dem entgegengewirkt werden?

Jana Niktin: Wie man dem entgegenwirkt, ist eher eine Frage für eine Politikerin. Ich würde auf jeden Fall dafür plädieren, dass ein gutes Netz von öffentlichen Verkehrsmitteln für ältere Menschen zur Verfügung steht.

VCÖ-Magazin: Wie kann man Ageism allgemein entgegenwirken?

Jana Nikitin: Wir wissen, dass bereits sechsjährige Kinder negative Vorurteile über Alter und ältere Menschen haben. Als Gesellschaft sollten wir dringend reflektieren, wie wir über Alter sprechen und ältere Menschen behandeln: Machen wir unangebrachte Witze über ältere Menschen? Ignorieren wir sie bei Anlässen? Bevormunden wir sie? Sprechen Sie mit einer langsamen Sprache an? Bieten wir ungefragt Hilfe an? All das sind Formen von Ageism – also negative Einstellungen gegenüber Alter und älteren Menschen, die mit diskriminierendem Verhalten einhergehen. Hilfreich ist die Einsicht, dass unsere heutigen Altersbilder später auch auf uns selbst wirken. Wir verinnerlichen sie und nutzen sie, um unser eigenes Leben im Alter zu bewerten: „Ich fühle mich einsam – das liegt daran, dass ich alt und für andere langweilig bin.“ „Kann ich noch tanzen gehen? Nein, das schickt sich in meinem Alter nicht.“ „Soll ich mich für den Umweltschutz engagieren? Nein, von uns Älteren wird das nicht mehr erwartet.“ Soziale Teilhabe, aktive Mitwirkung und eine interessante Persönlichkeit sind jedoch keine Frage des Alters. Das sollten wir uns in jeder Lebensphase bewusst machen.

VCÖ-Magazin: Stichwort moderne Technik, Handy, Laptop und Co? Altern wir anders als früher?

Jana Nikitin: Ja – digitale Technik prägt das Altern, bringt Chancen und neue Aufgaben. Viele ältere Menschen nutzen heute Internet und Smartphone regelmäßig; zugleich bleibt eine digitale Kluft, besonders bei hochaltrigen Personen, Menschen mit niedriger Bildung, in ländlichen Regionen und häufiger bei Frauen. Richtig eingesetzt kann Technik Gesundheit und Selbstständigkeit stärken: Sie hält mit Familie und Freundinnen und Freunden in Kontakt, erleichtert den Zugang zu Informationen und Services und kann Einsamkeit verringern. Nicht jede Nutzung ist jedoch hilfreich – rein unterhaltungsorientierte Nutzung geht eher mit schlechterem Wohlbefinden einher, und Falschinformationen sind ein Risiko. Wichtig sind deshalb leicht zugängliche Schulungen, intergenerationelles Lernen und eine gute Portion Medienkompetenz – sowie realistische Altersbilder in den Medien. Ältere Menschen sollten außerdem bei der Entwicklung neuer Technologien (inkl. KI) mitreden. Gleichzeitig brauchen wir analoge Alternativen, damit niemand ausgeschlossen wird. Mit diesen Bedingungen unterstützt Technik gutes Altern – für alle.

VCÖ-Magazin: Abschließend, was können ältere Personen laut ihrer Forschung besonders gut, was kann man besonders gut von ihnen lernen?

Jana Nikitin: Ältere Menschen berichten von positiveren sozialen Beziehungen und erleben ihre alltäglichen Interaktionen als bedeutsamer; in schwierigen Situationen setzen sie häufiger Humor ein. Sie haben weniger Angst vor dem Tod als jüngere Altersgruppen und blicken dem Lebensende gelassener entgegen. Die kürzere verbleibende Lebenszeit macht sie nicht ängstlicher, sondern motiviert sie, dass Hier und Jetzt positiv und sinnstiftend zu gestalten. Dementsprechend nehmen sie kleine Dinge im Alltag bewusster wahr und genießen sie – etwa einen schönen Herbsttag oder ein spielendes Kind. Vielleicht ist genau das das Wichtigste, was wir von ihnen lernen können!

Das Gespräch führten Petra Sturm und Bernhard Hachleitner.

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