Kommentar - Die Infrastruktur von heute bestimmt den Verkehr von morgen

Von Michael Schwendinger, VCÖ-Verkehrspolitik

Infrastrukturen sind langlebig und werden für Jahrzehnte gebaut. Zudem sind sie mit Abstand die wichtigste Rahmenbedingung für die Verkehrsmittelwahl. Der Spruch „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“ klingt pathetisch, ist aber eine unter dem Begriff „induzierter Verkehr“ wissenschaftlich gut belegte Erkenntnis. Verkehr ist also keine Konstante, denn verbesserte Bedingungen ziehen meist eine stärkere Nutzung nach sich – und vice versa. Deshalb ist es zum Scheitern verurteilt, Verkehrsbelastung und Staus durch Straßenausbau bekämpfen zu wollen. So geschehen in Zell am See. Gegen den täglichen Stau wurde Anfang der 1990er-Jahre ein Umfahrungstunnel gebaut. Die angestrebte Entlastung war kurzlebig, heute fahren in Summe doppelt so viele Autos durch die Stadt. Die gute Nachricht: der Zusammenhang gilt auch für andere Verkehrsmittel. Nach dem Ausbau von Radschnellwegen in der Region Kopenhagen nahm die Anzahl der Radfahrenden um rund ein Viertel zu. Das sogenannte „Braess-Paradoxon“ zeigt, dass der Zusammenhang auch in die andere Richtung hält. Ein Rückbau von Straßen kann dazu führen, dass der Verkehr weniger wird. In Seoul verbesserte sich der Verkehrsfluss, nachdem im Jahr 2005 eine mehrspurige Stadtautobahn abgerissen wurde. Dass Straßen zum Wohle der Bevölkerung auch rückgebaut werden können, zeigen derzeit zahlreiche Projekte in den USA. Jede Straße, jede Schiene, jeder Geh- und Radweg, der heute gebaut wird, prägt unser Mobilitätsverhalten für die nächsten Jahrzehnte. Österreich will bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein. Um das zu erreichen, muss also in Bezug auf jedes Infrastrukturprojekt die Gretchenfrage gestellt werden: „Nun sag, wie hältst du’s mit der Klimaverträglichkeit?“

Ihre Meinung dazu an michael.schwendinger@vcoe.at

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VCÖ: Überdimensionierte Stadtstraße aus Verkehrssicht nicht nötig, aber im krassen Widerspruch zu Klimazielen

VCÖ (Wien, 1. Februar 2022) - Die Räumung des Protestcamps löst nicht das Problem, dass die überdimensionierte Stadtstraße im krassen Widerspruch zu den Klimazielen und Mobilitätszielen der Stadt steht, betont der VCÖ. Nur Dialog führt zu konstruktiven und guten Lösungen, sieht der VCÖ die Stadtregierung gefordert. Aus Verkehrssicht ist die überdimensionierte Stadtstraße nicht notwendig, weil es erstens bessere Lösungen gibt und zweitens bessere Lösungen braucht, die im Einklang mit den Mobilitätszielen und Klimazielen der Stadt stehen, betont der VCÖ. Der VCÖ weist auf den rechtlichen Ausweg hin, den das ÖKOBÜRO bereits aufgezeigt hat.

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Foto: Sarah Duit

VCÖ-Fachdiskussion: "Infrastrukturen für die Verkehrswende"

Verkehrsinfrastrukturen sind die zentrale Grundvoraussetzung für unsere alltägliche Mobilität und den Gütertransport. Was heute an neuer Verkehrsinfrastruktur geplant und gebaut wird, ist Teil des Verkehrssystems im Jahr 2040 und 2050. Wie kann Verkehrsinfrastruktur vorausschauend ausgebaut werden? Welche Investitionen in welche Verkehrsinfrastruktur leisten einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele im Verkehr, welche stehen im Widerspruch dazu? Diesen und weiteren Fragen wurden bei dieser VCÖ-Fachdiskussion gemeinsam mit Fachleuten aus unterschiedlichen Praxisbereichen beleuchtet und diskutiert.

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Foto: VCÖ / Manuela Tippl