Mehr Lebensqualität durch Klimawandelanpassung

Der neue Stadtplatz in Tulln

Der Klimawandel macht auch vor kleineren Städten und Gemeinden nicht Halt: Die Sommer werden heißer, langen Trockenperioden folgen Tage mit starken Niederschlägen. Drei Kleinstädte zeigen, wie Anpassung funktionieren kann.

Von Susanne Wolf

September 2024: Heftige Regenfälle setzen große Teile Österreichs unter Wasser, besonders betroffen ist Niederösterreich. Auch Amstetten ist von Hochwasser bedroht, doch der neu gestaltete Hauptplatz bleibt von den Überschwemmungen verschont. „Wir haben unter dem Hauptplatz Stauraum für rund 370.000 Liter Wasser geschaffen, der sich damals nur zur Hälfte gefüllt hat“, sagt Vizebürgermeister Markus Brandstetter. In den Jahren zuvor wurden 70 neue Bäume nach dem Schwammstadt-Prinzip gepflanzt: Ein geeigneter Boden mit Raum für Wurzeln wurde geschaffen, durch deren Poren Luft und Wasser eindringen. So wird das Regenwasser nicht einfach in die Kanalisation abgeleitet. Das sichert die Versorgung mit nützlichem Regenwasser – und schützt vor Überschwemmungen.

Das Projekt in Amstetten ist auch ein Beispiel für gelungene Partizipation: Ab dem Jahr 2019 interessierten und beteiligten sich rund 10.000 Bewohnerinnen und Bewohner aktiv bei den Angeboten des Stadterneuerungsprozesses. Der Hauptplatz, bis dahin fast vollständig versiegelt, wurde zu 35 Prozent entsiegelt und im Sinne der Klimawandelanpassung umgestaltet. Das Schwammstadt-Prinzip setzt gleich mehrere Umweltziele um: Regenwasserrückhalt, Verdunstung und Versickerung liefern einen Beitrag zu natürlichen Wasserkreisläufen, Verdunstung und Beschattung tragen zur positiven Beeinflussung des städtischen Mikroklimas bei. Die gepflanzten Bäume speichern CO2. Außerdem sorgt die Umgestaltung des Hauptplatzes für mehr Lebensqualität und Verkehrssicherheit. „Die Reduktion des Autoverkehrs wurde durch die Attraktivierung des Gehens und Radfahrens sowie die Förderung des Öffentlichen Verkehrs erreicht. Dadurch wird das Zentrum von Amstetten zu einem klimafitten Ort der Begegnung“, sagt Daniel Zimmermann vom ausführenden Planungsbüro 3:0. Zudem fördert die Umgestaltung des Hauptplatzes die Barrierefreiheit und Inklusion für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen.

Die Bevölkerung bestimmt mit

Ein Musterbeispiel für Bürgerbeteiligung ist auch die Umgestaltung des Nibelungenplatzes in Tulln, der zuvor als Parkplatz genutzt wurde. Die Bevölkerung entschied sich in einem Beteiligungsprozess für die größtmögliche Umgestaltung, die von Mai 2023 bis Juni 2024 umgesetzt wurde. „Die Bürgerbeteiligung fand in mehreren Formaten statt“, sagt Cornelia Hebenstreit, Abteilungsleiterin für Straßen und Verkehr in Tulln. „Im ersten Schritt wurden Ideen gesammelt, danach folgten Veranstaltungen und zuletzt gab es eine Volksbefragung, deren Ergebnis im Gemeinderat als bindend beschlossen wurde.“ Nach der Umgestaltung sind 70 Prozent der Fläche gänzlich unversiegelt und weitere 23 Prozent versickerungsfähig – etwa mittels durchlässiger Pflastersteine mit Grünfugen. Auch hier wurde das Schwammstadt-Prinzip angewandt. Weiters gibt es Sitzgelegenheiten, Trinkbrunnen, ein Nebelspiel sowie 60 neue Fahrrad-Abstellplätze. Auch an zukünftige Feste wurde bei der Neugestaltung gedacht: Für die Aufstellung von Festzelten für bis zu 600 Personen ist viel Platz vorgesehen. Mehrere im Boden versenkbare Energiesäulen versorgen den Platz mit Strom. Die Tullner Bevölkerung ist mit der Neugestaltung zufrieden: „Die Wirtschaftstreibenden, die ursprünglich Angst vor zu wenigen Parkplätzen hatten, vermelden keine Einbußen“, sagt Hebenstreit. „An schönen Tagen tummeln sich auf dem  Platz viele Menschen, vor allem das Nebelspiel ist an heißen Tagen sehr beliebt.“

Ein Wald in der Stadt

Wieselburg, ebenfalls in Niederösterreich, liefert ein weiteres Beispiel gelungener Transformation: Eine Fläche, die ursprünglich für die Errichtung eines Wohnbaus samt Parkplatz vorgesehen war, wurde von der Stadtgemeinde angekauft und in eine grüne Oase verwandelt. Im neugestalteten Stadtwald wurden 100 Bäume, 150 Sträucher und 230 Stauden gepflanzt. Da Städte sich vor allem durch aufgeheizte Asphalt- und Betonflächen erwärmen, wirken diese Maßnahmen einer Überhitzung der Stadt entgegen. „Es wurden sickerfähige Schotterwege, Trocken- und Feuchtbiotope sowie Plätze mit Bänken angelegt“, erklärt Thomas Lichtenschopf, Bauamtsleiter der Stadtgemeinde Wieselburg. Der Stadtwald Wieselburg leistet außerdem einen wertvollen Beitrag für die Sicherung der Biodiversität: Die Pflanzenvielfalt reicht von der Blumenwiese über Sumpfflächen bis hin zu Baum- und Strauchgruppen. Auch bei den Menschen ist die grüne Oase sehr beliebt: Schattige Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein.

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Die dritte Piste ist eine verpasste Chance

Unser Alltag basiert darauf, dass wir systematisch auf die Ausbeutung von billiger Natur und billiger Arbeitskraft angewiesen sind. Das erzeugt Handlungsfähigkeit und materiellen Wohlstand, aber gleichzeitig Zerstörung und Dominanzverhältnisse. Dieses Ausgreifende, auf die billigen Ressourcen und billige Arbeitskraft andernorts Zugreifende kann durch den Begriff „Imperiale Lebensweise“ benannt werden. In den früh industrialisierten Staaten leben wir schon lange in dieser Form. Neu ist, dass diese Lebensweise immer deutlicher an ökologische Grenzen stößt.
Das zweite Neue ist, dass sich diese Lebensweise über den Aufstieg von Schwellenländern, wie China oder Brasilien, ganz dynamisch auch im globalen Süden in der Bevölkerung ausbreitet. Diese Staaten werden nun zu Akteuren, die an dieser Aufteilung der Welt teilhaben wollen. Denn sie haben selbst wohlhabende Mittelschichten und große Unternehmen. das erzeugt zunehmend Spannungen, etwa um Landbesitz in Osteuropa oder in Afrika.

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Ulrich Brand