"Mit Herz, Hirn und Freude die Verkehrswende vorantreiben"

Foto Ulla Rasmussen beim Interview
Ulla Rasmussen ist seit dem Jahr 2001 als Expertin für Energie, Mobilität und Klima beim VCÖ tätig und seit 2022 VCÖ-Geschäftsführerin.

VCÖ-Geschäftsführerin Ulla Rasmussen im Gespräch über Pionierarbeit und Hartnäckigkeit, erreichte Ziele und kommende Herausforderungen.

VCÖ-Magazin: Der VCÖ trägt den Claim „Mobilität mit Zukunft“ im Untertitel. Was bedeutet Mobilität für den VCÖ?

Ulla Rasmussen: Mobilität bedeutet nicht, mehr Kilometer zurücklegen zu müssen, um Einkäufe zu erledigen oder zur Arbeit zu kommen und auch nicht, so schnell wie möglich irgendwo hinzukommen. Mobilität bedeutet, die Alltagsziele mit möglichst wenig Zeit- und Ressourcenaufwand erreichen zu können. In einer Stadt oder Region der kurzen Wege ist die Mobilität der Bevölkerung hoch. Mobilität hat viel mit den Strukturen zu tun, die sie ermöglichen oder auch begrenzen. Unser Anspruch als VCÖ ist es auch, Mobilität in allen ihren Facetten zu betrachten. Das entspricht auch dem Mobilitätsverhalten der Bevölkerung, das multimodal ist. Das Schubladisieren in „die Autofahrer“, die „Radfahrer“ ist überholt. Viele, die Auto fahren, fahren auch mit dem Rad, gehen zu Fuß und sind mit Öffis unterwegs.

VCÖ-Magazin: Was sind die Kernkompetenzen des VCÖ? Was kann er besonders gut, wofür steht er?

Ulla Rasmussen: Der VCÖ hat den Anspruch, Themen vorausschauend zu betrachten. Wir greifen frühzeitig Themen auf, wir arbeiten konstruktiv, wissenschafts- und faktenbasiert, lösungs- und dialogorientiert. Und ganz wichtig: Wir sind hartnäckig im Sinne von Dranbleiben. Denn wir wollen Wirkung erzeugen.

VCÖ-Magazin: Wie lässt sich die Arbeitsweise des VCÖ beschreiben?

Ulla Rasmussen: Einer unserer wichtigsten Zugänge ist es, gute Beispiele vor den Vorhang zu holen, aufzuzeigen, was schon heute möglich ist, und Mut zur Umsetzung zu machen. Der VCÖ-Mobilitätspreis holt Projekte und Menschen vor den Vorhang, die zeigen, wie Verkehrsprobleme nachhaltig gelöst werden können und unsere Mobilität klimaverträglicher, sozial gerechter und effizienter wird.  Wir wollen zur Nachahmung motivieren. Die Menschen, die diese Projekte umsetzen, haben oft viel Engagement und Hartnäckigkeit bewiesen. Das gehört gewürdigt! Die Mobilitätswende kann nur gelingen, wenn die verschiedenen Akteurinnen und Akteure  zusammenarbeiten und in ihren Bereichen Schritte setzen, um eine umweltverträglichere, sozial gerechtere und auch ökonomisch effizientere Mobilität zu schaffen.

VCÖ-Magazin: Den VCÖ-Mobilitätspreis hat du schon genannt. Was sind weitere wichtige Projekte, Themen, Meilensteine, die der VCÖ bearbeitet hat?

Ulla Rasmussen: Es gibt viele Themen, bei denen der VCÖ schon sehr früh dran war. Etwa die Elektromobilität, dazu haben wir schon Anfang der 1990er-Jahren eine Publikation gemacht. Wir haben frühzeitig auf die externen Kosten und die fehlende Kostenwahrheit des Verkehrs aufmerksam gemacht.   Elektromobilität wird mittlerweile zum Alltag, aber auch die Kostenwahrheit findet verstärkt Beachtung, etwa durch die beginnende CO2-Bepreisung sowie die Möglichkeit, die Schäden durch Abgase und Lärm über die Lkw-Maut verursachergerechter zu verrechnen.  Aber es geht noch nicht weit genug. Um Kostenwahrheit zu erreichen, sind noch weitere Schritte nötig.

Wir haben aber auch immer unterstrichen, wie wichtig der Öffentliche Verkehr für die Mobilität der Menschen ist. Dass es möglich sein muss, unabhängig vom Auto mobil sein zu können. Dafür braucht es einen starken Öffentlichen Verkehr als Rückgrat. Qualität und Angebot des Öffentlichen Verkehrs haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich verbessert.  

Für die Verbesserung der Qualität des Öffentlichen Verkehrs haben wir den VCÖ-Bahntest entwickelt. Er ist die größte Fahrgastbefragung Österreichs. Heuer wurden österreichweit in den Zügen von zehn Bahnunternehmen mehr als 9.600   Fahrgäste befragt. Qualität und Angebot des Öffentlichen Verkehrs müssen sicher weiter verbessern. So ist es wichtig, dass die Bevölkerung auch im ländlichen Raum vom Auto unabhängig mit Bahn und Bus und nachfrageorientierten Angeboten, so genanntem Mikro-ÖV, mobil sein kann. Auch bei diesem Thema waren wir sehr früh dran. Mittlerweile gibt es diese Angebote bereits in mehr als 800 Gemeinden in Österreich.

VCÖ-Magazin: Der VCÖ stellt Informationen zur Verfügung und teilt sie, damit möglichst viele davon profitieren?

Ulla Rasmussen: Uns ist ganz wichtig, dass alles – die Publikationen, die Magazine, die Factsheets und auch die mittlerweile mehr als 700 Infografiken – online frei verfügbar ist. Die Grafiken werden von vielen verwendet, etwa um Verbesserungen in Gemeinden, Unternehmen oder vor Schulen zu erreichen. In Schulen und Universitäten werden sie im Unterricht verwendet. Damit dieses Material kostenlos zur Verfügung gestellt werden kann, brauchen wir die Unterstützung der Menschen durch Spenden. Stolz sind wir auch auf die Online-Projekt-Datenbank, in der mittlerweile über 2.500 vorbildhafte Mobilitätsprojekte zu finden sind, wahrscheinlich die im deutschsprachigen Raum größte öffentlich frei zugängliche Datenbank an vorbildlichen Mobilitätsprojekten.  

VCÖ-Magazin: Der VCÖ als Vernetzer und Netzwerkknoten …

Ulla Rasmussen: Ja, wir versuchen die Mobilitätswende voranzubringen, indem wir beispielsweise bei unseren Fachveranstaltungen die verschiedenen Akteurinnen und Akteure zusammenbringen, damit das große vorhandene Know-How ausgetauscht wird, auch das Know-How beim Umsetzen von Projekten oder beim Erreichen von Verbesserungen in Gemeinden oder bei Unternehmen.

Für Privatpersonen haben wir zusätzlich zu Umfragen ein weiteres Instrument zur Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung entwickelt. Damit können die Menschen Verkehrsprobleme vor Ort in einer Online-Karte eintragen, beschreiben und Vorschläge zur Verbesserung machen. Wir sammeln diese und leiten sie an die zuständigen Stellen weiter. Diese Möglichkeit der Beteiligung für Privatpersonen ist uns sehr wichtig, wir werden dieses Tool auch weiterentwickeln.

VCÖ-Magazin: Was waren die größten Veränderungen in der Arbeit des VCÖ – von der Gründung bis heute?

Ulla Rasmussen: Bei der Gründung wurde der VCÖ von vielen belächelt. Das Ziel einer Mobilitätswende wurde als total weltfremd angesehen. Mittlerweile ist dieses Ziel in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Kompetenz des VCÖ in Fragen ökologisch verträglicher und sozial gerechter Mobilität wird heute stark nachgefragt, von Gemeinden, Städten, Bundesländern, Unternehmen und Medien. Wir werden gehört, denn unser konstanter und konsequenter Einsatz über all die Jahre hat gezeigt, dass unsere Argumente solide sind und dass unser Anliegen wichtig und legitim ist.

VCÖ-Magazin: Was sind kommende Herausforderungen?

Ulla Rasmussen: Heute besteht die Gefahr, dass Maßnahmen als klimaverträglich verkauft werden, es aber in Wirklichkeit nicht sind. Wir müssen bei neuen Lösungen kritisch hinschauen und fragen: Stimmt das wirklich? Gibt es Reboundeffekte, negative Nebenwirkungen? Der Klassiker sind die Agro-Treibstoffe, die als die Super-Lösung propagiert wurden, um den Kfz-Verkehr umweltverträglicher zu machen. In Wirklichkeit wurde damit ein Regime in Gang gebracht, das fürchterliche Konsequenzen hat. Nicht in Österreich, aber in anderen Teilen der Welt, wo dafür Regenwälder abgeholzt wurden. Hier dranzubleiben ist eine undankbare Aufgabe. Aber es gehört zu den Aufgaben einer NGO, wie es der VCÖ ist, auch bei unangenehmen Aufgaben dranzubleiben.

VCÖ-Magazin: Was ist der Antrieb für das konsequente Handeln und Tun des VCÖ auch bei unangenehmen Aufgaben?

Ulla Rasmussen: Das Ziel, eine für die Bevölkerung, für die Umwelt und für die nächsten Generationen bessere Verkehrswelt zu ermöglichen, eine Mobilität, die Menschen nicht krank macht, sondern zur Gesundheit beiträgt, ein Verkehrssystem, das kindgerecht ist, das mit weniger Ressourceneinsatz die Mobilität der Menschen verbessert. Dafür setzen wir uns ein, dafür „brennen“ wir.  

VCÖ-Magazin: Welche Transformationen und Veränderungen wären die wichtigsten?

Ulla Rasmussen: Ich glaube, die wahrscheinlich wichtigste ist die Änderung im Mindset: Die Erkenntnis, dass die Maßnahmen für die Mobilitätswende vor allem auch Maßnahmen für ein besseres Leben der Menschen sind.  

Natürlich braucht es auch technologische Innovation, hier ist es wichtig, dass Ziele und Zeitplan klar sind. Wenn schon früher ein Bekenntnis zur Klimaneutralität im Jahr 2040 oder zu Fahrzeugen ohne gesundheitsschädliche Abgase da gewesen wären, dann hätte es Planungssicherheit und damit viel früher Innovationsfreudigkeit gegeben.

Übergeordnet ist wohl die Herausforderung, den Verkehrsbereich generell klimaneutral zu machen, ganz, ganz weit oben. Und uns beim VCÖ ist es wichtig, dass es immer um Maßnahmen für die Menschen geht, egal ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben. Beim VCÖ stehen klimaverträgliche Lösungen zum Wohle der Menschen im Mittelpunkt.

VCÖ-Magazin: Was sind die Wünsche für die Zukunft? Was wünscht du dir für den VCÖ?

Ulla Rasmussen: Für den VCÖ wünsche ich mir weiterhin ein so engagiertes Team. Ein Team, das mit Herz, Hirn und Freude daran arbeitet, die Verkehrswende voranzutreiben. Ich wünsche dem VCÖ, dass sein Einsatz und seine Arbeit für eine sozial gerechte Ökologisierung des Verkehrssystems von vielen Menschen  auch mit Spenden unterstützt wird. Denn die Unterstützung durch Privatpersonen ist zentral für unsere politische und thematische Unabhängigkeit.

Und für uns alle wünsche ich natürlich, dass die VCÖ-Empfehlungen noch schneller Wirkung entfalten, damit wir bald in einer schöneren Verkehrswelt ohne zerstörerische Nebenwirkungen leben können!

Zurück zur Übersicht

VCÖ: In allen Bundesländern ist CO2-Ausstoß des Verkehrs seit 1990 stark gestiegen

VCÖ (Wien, 5. Juni 2023) – Der Verkehr ist Österreichs größtes Klimaschutz-Problem, erinnert der VCÖ anlässlich des heutigen Weltumwelttags. Eine aktuelle VCÖ-Analyse zeigt, dass in allen Bundesländern der CO2-Ausstoß des Verkehrs seit dem Jahr 1990 stark gestiegen ist. Damit wurden Einsparungen anderer Sektoren wieder zunichtegemacht. Zudem ist der Verkehr in allen Bundesländern der größte Verursacher von Stickoxid-Emissionen und Straßen, Parkplätze & Co haben einen sehr großen Anteil am Flächenverbrauch. Der VCÖ fordert verstärkte Maßnahmen, um die Umweltbilanz von Mobilität und Gütertransport zu verbessern.

 

Mehr dazu
Foto: Bernhard Mittelbach

Ladekorridore für E-Lkw im hochrangigen Straßennetz

Entlang der europäischen Autobahnen und Schnellstraßen entsteht ein Netz von Schnellladestationen für E-Lkw. Spätestens im Jahr 2030 sollen Lkw im hochrangigen Straßennetz der EU mindestens alle 60 Kilometer eine Möglichkeit zum Schnellladen vorfinden. Ein erster sogenannter Ladekorridor für schwere Lkw ist in Deutschland zwischen Dortmund und dem rund 300 Kilometer entfernten Schwegenheim inzwischen in Betrieb. An derzeit sechs Autohöfen des deutschen Mineralölkonzerns Aral können Lkw an einer 300 Watt-Ladesäule laden. Während einer der gesetzlich vorgeschriebenen 45-minütigen Pausen für die Lenker und Lenkerinnen ist so eine Zwischenladung für weitere 200 Kilometer möglich. Noch im Laufe des Jahres 2023 wird der Ladekorridor mit zwei weiteren Standorten verdichtet.

Mehr dazu