Mobilität für ältere Menschen sichern

Ein ältere Dame lächelnd mit rotem Rucksack vor einem Autobus, Foto (c) istock.com_dima_sidelnikov

Die Zahl der älteren Menschen wächst rasch. Es braucht niedrigere Geschwindigkeiten im Straßenverkehr, einfach nutzbare öffentliche Verkehrsmittel und eine Umgebung, die einen Alltag ohne Auto ermöglicht.

Von Bernhard Hachleitner

Heute leben 1,88 Millionen Menschen in Österreich, die 65 Jahre oder älter sind; im Jahr 2030 werden es laut Prognosen der Statistik Austria 2,17 Millionen sein, im Jahr 2050 sogar 2,75 Millionen. Das bedeutet einen Zuwachs von 46 Prozent. Ein Blick auf diese Zahlen macht deutlich, dass es höchst an der Zeit ist, unser Mobilitätssystem besser an die Anforderungen älterer Menschen anzupassen. Zahlreiche Studien zeigen, dass gerade Personen in höherem Alter wegen der Abnahme der sensorischen und motorischen Fähigkeiten in ihrer Mobilität oft eingeschränkt sind und durch das derzeitige Mobilitätssystem diskriminiert werden. „Zu kurze Ampelschaltungen für Gehende, der schnellere und aggressivere Verkehr, das Nichtbeachten des Fußgängervorrangs bei Abbiegen durch Autofahrende und ähnliche Faktoren bereiten häufig Probleme“, nennt der Soziologe und Altersforscher Anton Amann wesentliche Gründe.

Natürlich sind die „älteren Menschen“ keine homogene Gruppe. Die Spanne reicht von den 65-Jährigen bis zu den Hochbetagten. Es gibt auch große Unterschiede in Hinsicht auf Wohnumgebung, finanzielle Situation und Gesundheit. All das wirkt sich auf die Mobilität aus. „Für Deutschland ist belegt, dass ältere Verkehrsteilnehmende in Typen unterteilt werden können: von hoch mobil und allgemein sehr zufrieden über ein mittleres und ein geringeres Maß an Mobilität und Zufriedenheit bis hin zu sehr geringer Mobilität und extremer Unzufriedenheit,“ so Amann. Besonders Hochbetagte ab 85 Jahren sind oft wenig mobil und sehr unzufrieden, just jene Gruppe, die am stärksten wächst: Ihre Zahl verdoppelt sich bis zum Jahr 2045.

Pensionseintritt als Einschnitt

Was alle diese Kategorien gemeinsam haben: Das Ende des Berufslebens bewirkt bei den meisten Menschen auch einen Einschnitt in der Mobilitätsbiografie. Mit dem Arbeitsplatz verbundene Wege und soziale Kontakte fallen weg, private Kontakte und Alltagsmobilität werden hingegen wichtiger. „Für ältere Menschen geht es dabei vor allem um die selbstbestimmte und selbständige Erreichbarkeit von Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsdienstleistungen und gesellschaftlicher Teilhabe. Die Angebote der sozialen Infrastruktur müssen ohne Barrieren, zeitliche und finanzielle Ressourcen leicht erreichbar sein“, sagt Brigitte Wotha, Professorin für Raumplanung an der Fachhochschule Kiel. Weil das aber vor allem im ländlichen Raum häufig nicht der Fall ist, scheint „gerade für ältere Menschen oftmals die Autonutzung die einzige Möglichkeit zu sein, sicher und barrierefrei zu ihren Zielen zu gelangen. Zu kurze Anschlusszeiten, kurzfristige Fahrplanänderungen, mangelnde Ticket-Flexibilität (zum Beispiel kurzfristiges Umbuchen), schlecht zugängliche Informationen und bauliche Barrieren stellen einige der Hürden dar, die oft unüberwindbar scheinen.“

Umdenken in Raum- und Verkehrsplanung nötig

In ländlichen Regionen sind für alte Menschen deshalb selbst Orte des täglichen Bedarfs oft nicht mehr erreichbar. „Ohne Pkw ist es in ländlichen Gebieten für 65 Prozent der über 80-Jährigen mit eingeschränkter Gesundheit schwierig oder sehr schwierig, ein Lebensmittelgeschäft zu erreichen. Mit Pkw sinkt dieser Wert auf 27 Prozent“, weiß Anton Amann.

Hier zeigt sich, wie sehr eine am Auto orientierte Raum- und Verkehrsplanung die Mobilität großer Bevölkerungsgruppen einschränkt. „Bei älteren Menschen lassen die physischen und kognitiven Fähigkeiten nach, was dazu führen kann, dass sie kein Auto mehr lenken können oder dürfen. Dann ist es für sie besonders schlimm, wenn die Infrastrukturen vorwiegend auf Autos zugeschnitten sind. Die wichtigste Gegenmaßnahme wäre die fußgängerfreundliche Gestaltung des Umfelds. Gehen hat zusätzlich zur Mobilitätsfunktion auch besonders in dieser Gruppe wichtige Gesundheitseffekte“, sagt Paul Pfaffenbichler, Verkehrswissenschafter an der Universität für Bodenkultur
Wien. „Am Land, wo die Entfernungen länger sind, braucht es neben einer fußgängerfreundlichen Planung gegebenenfalls auch Mikro-ÖV- Dienste der Gemeinden.“

Genderspezifische Aspekte

Auch wenn – anders als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten – ältere Frauen mittlerweile fast genauso häufig über einen Führerschein verfügen wie Männer, bestehen weiter geschlechtsspezifische Unterschiede in den Mobilitätsbiografien. „Bei älteren Männern ist die höhere Autoorientierung oftmals noch stärker mit dem Gefühl verbunden, frei entscheiden zu können, wann und wo sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das gestiegene Interesse am Radfahren trägt an einigen Stellen zum Umdenken bei“, sagt Brigitte Wotha. „Bei den älteren Frauen hingegen ist öfters mehr Erfahrung in der Nutzung der Angebote des öffentlichen Nahverkehrs in Kombination mit Fußwegen festzustellen. Hier ergeben sich die Hemmnisse aufgrund des höheren Alters zum Teil aus körperlichen Einschränkungen und Barrieren, wie Stiegen oder fehlende Sitzgelegenheiten.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die immer noch sehr ungleiche Verteilung von Care-Arbeit zulasten von Frauen: „Gerade die komplexen kombinierten Wegeketten, die durch die Care-Arbeit erforderlich sind und bislang noch wenig in der Mobilitätsplanung berücksichtigt sind, erschweren das Alltagshandeln älterer Frauen.“

Dazu kommt, dass Frauen offenbar ihre Bedürfnisse weniger klar formulieren und diese noch weniger berücksichtigt werden, wie Anton Amann anmerkt: „Vor allem bei Frauen zeigt sich – entgegen ihrer subjektiv geäußerten Bedarfslage – eine deutliche Unterversorgung mit Verkehrsmitteln, wodurch ihre Mobilitätschancen eingeschränkt werden.“ Das betrifft die Pkw-Verfügbarkeit, am Land aber auch den Öffentlichen Verkehr. Er ist häufig an den Schul- beziehungsweise Berufsverkehr angepasst und nimmt wenig Rücksicht auf die anderen Anforderungen, wie sie etwa durch Care-Arbeit entstehen.

In Planung mit einbeziehen

Das erklärt aber noch nicht zur Gänze, warum ältere Menschen so viele Alltagswege mit dem Auto zurücklegen – obwohl sie bei Befragungen Gehen als sehr beliebte Fortbewegungsart angeben und in der Freizeit häufig Fahrräder, vor allem E-Bikes, nutzen. Im Alter wird das Gefühl von Sicherheit oder Unsicherheit wichtiger. Dieses Gefühl muss sich nicht unbedingt mit der tatsächlichen Gefährlichkeit decken. Gefahren im Öffentlichen Verkehr werden überschätzt, jene des Pkw-Verkehrs unterschätzt. Anton Amann meint dazu: „Das äußere Bild der öffentlichen Räume wirkt aus der Sicht der Älteren zuweilen unästhetisch und abschreckend und dadurch als Mobilitätshindernis. Das eigene Auto stellt in einer Situation sozialer Unsicherheiten und Ängste nicht nur ein willkommenes Fortbewegungsmittel, sondern auch einen Schutz gegen unerwünschte Kontakte mit anderen Menschen dar.“ Diesen Ängsten lässt sich nicht mit Statistiken begegnen. Es ist wichtig, sie bei der Planung und Kommunikation von Mobilität zu berücksichtigen. Fachliche Expertise aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen – von Verkehrs- über Raumplanung bis zu Soziologie und Psychologie – ist unbedingt notwendig. Sie ist aber nicht alles, wie Paul Pfaffenbichler anmerkt: „Besonders wichtig ist es, ältere Menschen in die lokalen Planungs- und Umsetzungsprozesse einzubeziehen. Sie wissen schließlich am besten, was gut für sie ist und sie kennen ihr Wohnumfeld meist viel genauer als die Planerinnen und Planer von außen.“

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