Mobilitätswende: Die Ausbildung hinkt hinterher

Mobilitätswende: Die Ausbildung hinkt hinterhe

Ausbildungswende für die Mobilitätswende, und zwar von der Grundschule an, fordern Expertinnen und Experten. Ein weites Feld, wie Beispiele aus der Praxis und dem tertiären Bildungssektor zeigen

Zuerst zur Praxis: Eric Poscher- Mika ist ein Vorradler. Für den Soziologen brachte die beginnende Mobilitätswende auch eine berufliche Umorientierung. Hatte er sich nach seinem Studium eher in der Forschung mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Konsumverhalten gesehen, ist er heute Unternehmer. Er verkauft in Dornbirn in Vorarlberg „schöne und praktische Alltagsmobilität“, sprich Fahrräder. Sein Geschäft „Vorradeln“ versteht sich als Raum für Fahrradkultur. Er ist einer von vielen in der zweirädrigen Startup-Szene, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben. Die universitäre Ausbildung sei ein gutes Rüstzeug für das Unternehmerleben, sagt Poscher-Mika: „Als Akademiker wird gelernt, nach einem konkreten Plan vorzugehen und Lösungen zu finden.“ Sein Spezialgebiet sind Cargobikes. Alles, was über Transportfahrräder und ihre Bedeutung für eine zukunftsträchtige´Mobilitätspolitik gewusst werden sollte, hat der Fahrradexperte in seinem Buch „Car go! Bike Boom“ festgehalten. In der Fahrradlogistik sieht Poscher-Mika eine boomende Wachstumsbranche: „Die Hersteller von Transportfahrrädern stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Nachfrage ist überall hoch.“ Das liegt vor allem am Mangel an Fachkräften. Absolventen von HTL oder FH hätten das Know-how, doch auch leicht besser bezahlte Jobs in der Industrie.

Revival Fahrradtechnik

„Die gut ausgebildeten Fahrradmechanikerinnen und -mechaniker stehen nicht Schlange“, bedauert Poscher-Mika. Der Personalmangel ist hausgemacht. Denn in Österreich wurde in den 1970er-Jahren der Lehrberuf des Fahrradmechanikers
abgeschafft. Im Gegensatz zu Deutschland, wo auf den Zweiradboom reagiert und der Lehrberuf „Zweiradmechaniker
für Fahrradtechnik“ eingeführt wurde, werden in Österreich weder Lehre noch Studiengänge angeboten. Die spezielle Expertise für E-Bikes und Transportfahrräder vermitteln Herstellerfirmen in Weiterbildungskursen. Die einzige Ausbildungsmöglichkeit in Österreich bietet das Wifi mit dem Lehrgang Fahrrad-Techniker/in, der aus zwei Modulen besteht. Außer den technischen Fertigkeiten werden Kompetenzen in Biomechanik, Radtraining und Ernährung vermittelt. Denn der Beruf des Fahrradtechnikers geht weit über das gekonnte Hantieren mit dem Schraubenschlüssel hinaus. Kompetente Beratung rund um das Fahrrad ist gefragt. Die Ausbildung entstand im Rahmen von klimaaktiv mobil, der Klimaschutzoffensive des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus. Mehr soziale Kompetenz Stärkere Serviceorientierung werde künftig im gesamten Mobilitätssektor gefordert, heißt es in der Studie „Berufsbilder und Chancen für die Beschäftigung in einem automatisierten und digitalisierten österreichischen Mobilitätssektor 2040“, die vom Austrian Institute of Technology (AIT) im Auftrag des Verkehrsministeriums im Jahr 2018 erstellt wurde. Neben der IT-Kompetenz, die bereits in der Grundschule beginnen müsse, sollten „Sensibilisierung auf Kundenorientierung, sektorübergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation, Teamorientierung und Managementorientierung“ gelehrt werden. „Generalistinnen, Generalisten mit einem gewissen Ausmaß an Spezialwissen“ brauche der Mobilitätssektor, sagen die Studienautorinnen und -autoren. Bei neuen Grundausbildungen müssen Interdisziplinarität und Social Skills im Vordergrund stehen. Weiterbildung und Umschulungen und deren Förderungen müssen flexibel sein, alle Ausbildungen international ausgerichtet und anerkannt.

Planen, weg vom Auto

Grundsätzlich neu gedacht müsse die Ausbildung im planerischen Bereich werden, sagt der Grazer Architekt, Stadtplaner und Forscher Johannes Fiedler. Noch gelte die Vorstellung „Verkehrsplanung = Straßenplanung
für den Autoverkehr“. Die Kernkompetenz einer neuen Generation von Bauingenieuren und Bauingenieurinnen
liege aber in der Minimierung von Kfz-Verkehr und in der Konzeption ökologischer und kulturell sensibler, multimodaler Lösungen und multifunktionaler Straßenräume. In der Architektur und im Städtebau müsse in erster Linie an Bedürfnisse
beim Gehen gedacht werden. Auch sollte in Zukunft die Landschafts- und Freiraumplanung mehr Bedeutung bekommen. Die kommende Generation an Freiraumplanerinnen und -planern müsse bei mobilitätsrelevanten Projekten stets als erste vor Ort sein, fordert Fiedler: „Ausgestattet mit dem kulturellen und ingenieurmäßigen Instrumentarium zur Schaffung multifunktionaler Räume.“ Beginnen muss die Ausbildungswende zur Mobilitätswende schon in der Grundschule, ist Fiedler überzeugt. Damit die nächste Generation statt der Vorstellung „Verkehr = Autoverkehr“ ein umfassendes Verständnis von Mobilität entwickelt.

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Blick zurück aus der Zukunft

Von Willi Nowak, VCÖ-Geschäftsführung

„Papa, Papa, das ist super schön“, jauchzt die kleine Brigid und läuft laut Anweisungen rufend hinter einem sprachgesteuerten Fluggerät durch den Raum. Bernd ist überrascht. Er hatte das Ding nicht bestellt. Schnell geht er vor die Türe und sieht die Transport-Drohne auch beim Nachbargebäude Lieferungen absetzen. Das Display am Eingang blinkt und zeigt an, dass Bestellung und Lieferung korrekt bestätigt sind. Wenig später trifft Leonore ein, abgesetzt vom Sharing-Modul ihrer Arbeitsstelle, das Beschäftigte für die wenigen noch erforderlichen Meetings holt und nach Hause bringt. „Wo kommt denn dieses Ding her?“, fragt Leonore, etwas genervt von den immer lauter werdenden Sprachbefehlen der Tochter. Bernd fängt schnell das herumflitzende Gerät aus der Luft und bekommt so die Aufmerksamkeit der kleinen Brigid. Auf seinen fragenden Blick hin bemerkt diese: „Jetzt, wo ich die Stimme so machen kann wie Mama, werden viel mehr schöne Sachen zu uns gebracht!“ Seit auch Bernd und Leonore im Jahr 2030 auf das Nur-einmal- -täglich-Liefern durch Drohnen umgestiegen sind, gibt es viel weniger Lieferverkehr in ihrer Gegend. Aber mit dem Erfindungsreichtum ihrer Tochter hatten sie nicht gerechnet. Leonore steht seufzend auf, storniert die Sprachsteuerung für Bestellungen und stellt das System auf Iris-Scan um.

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Die Chance ergreifen

Die Entwicklung geht klar in Richtung emissionsfreier Antriebe. Steigende Reichweiten sprechen dafür, dass sich beim Pkw der batterie-elektrische Antrieb mittelfristig durchsetzen wird. Synthetische Treibstoffe, mit denen Verbrennungsmotoren CO2-neutral betrieben werden könnten, sind für den Masseneinsatz absolute Zukunftsmusik. Unter den etablierten Autoherstellern gab Volvo als Teil eines chinesischen Konzerns als erster bekannt, vollständig auf Elektro-Antriebe umzustellen. Auch Volkswagen ziele „auf den Punkt, an dem sich jeder fragen muss, warum er einen Verbrenner haben will. Denn wir glauben nicht, dass es eine Alternative zur E-Mobilität gibt“, wird ein Vorstandsmitglied von Volkswagen zitiert. Die Pkw-Neuwagenflotte von Mercedes soll bis zum Jahr 2039 CO2-neutral werden. Entwicklungskapazitäten werden aktuell von Motoren und Getrieben hin zu Batterietechnologie und Leistungselektronik verschoben. Das bedeutet einschneidende Veränderungen, auch für Beschäftigte der Automobilbranche. Doch die Entwicklung lässt sich auf Dauer nicht aufhalten und nur Unternehmen, die sich rechtzeitig umstellen, werden auch in Zukunft noch Arbeitsplätze bieten können. Viele Autozulieferer diversifizieren bereits ihre Produktpalette in Richtung Elektro- Antriebe oder anderer Sektoren, etwa der Autozulieferer Miba, der Bremsen für Windkraftanlagen herstellt. Für die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte werden Tausende Fachkräfte für Aufbau und Wartung der E-Ladeinfrastruktur gebraucht werden. Geld, das bisher in den Import von Erdöl geflossen ist, kann künftig verstärkt im Inland ausgegeben werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Mobilitätswende unterm Strich für ein Plus an Beschäftigung sorgen wird.

>> Ihre Meinung dazu an markus.gansterer@vcoe.at

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