Nachgefragt - Michael Getzner

„Der Produktivitätsgewinn durch neue Straßen ist sehr gering oder nicht vorhanden“

Porträtfoto von Michael Getzner
Michael Getzner, Professor für Finanzwissenschaft und Infrastrukturökonomie sowie Leiter des Forschungsbereichs Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik (IFIP) an der TU Wien.

VCÖ-Magazin: Ein oft genanntes Argument für den Bau neuer Straßen ist die Entlastung bestehender Straßen. Ist das haltbar?

Michael Getzner: Wenn neue Kapazitäten geschaffen werden, ist keine Entlastung zu erwarten. Das liegt an der Reisezeit-Konstante, die besagt, dass man ein bestimmtes konstantes Zeitbudget für Mobilität aufwendet. Wenn ich jetzt versuche durch eine neue Straße Verkehr zu vermeiden oder Zeit zu ersparen, dann passt sich das Verkehrssystem an. Wir fahren weiter und öfter als zuvor – mit dem Ergebnis, dass im Durchschnitt gleich viel Zeit im Verkehr verbracht wird. Einen Effekt haben neue Straßen auf den Immobilien- und Bodenmarkt, hier steigen die Preise in den nun besser erschlossenen Regionen.

VCÖ-Magazin: Wie sieht es mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen aus?

Michael Getzner: Unter volkswirtschaftlichem Nutzen versteht man, dass neue Straßen die Infrastrukturausstattung einer Volkswirtschaft verbessern. Die bessere Infrastrukturausstattung führt dann, so die These, zu Produktivitätsgewinnen. Wenn die Verkehrsinfrastruktur sehr schlecht ausgebaut ist, kann das durch neue Straßen der Fall sein. Österreich hat aber pro Kopf eines der dichtesten hochrangigen Verkehrsnetze überhaupt. In diesem Fall ist der Produktivitätsgewinn durch neue Straßen entweder sehr gering oder nicht vorhanden. Es gibt sogar Studien, die sagen, neue Straßen haben einen nachteiligen Effekt, weil die sehr teuer sind und keinen Produktivitätsgewinn bringen. Für Österreich ist jedenfalls nachgewiesen, dass Investitionen in Digitalisierung, Kommunikationsinfrastruktur, Gesundheit, Forschung und Entwicklung oder auch Kultur höhere Produktivitätswirkungen haben als Straßenbauprojekte.

VCÖ-Magazin: Welche Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sind volkswirtschaftlich sinnvoll?

Michael Getzner: Auf der Ebene der Gemeinden ist die Klimawandelanpassung die größte Herausforderung der nächsten Jahre. Dazu kommt der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs – weniger im Hochleistungsschienenbereich, sondern vor allem in den Regionen. Ein weiterer Punkt ist die Elektrifizierung, der Aufbau von Ladeinfrastrukturen. Wichtig sind aber auch Verkehrslenkung und Verkehrspolitik. Es gibt viele „low hanging fruits“, also Maßnahmen, die sehr effektiv und effizient sind und entweder Geld bringen oder sehr kostengünstig sind. Dazu zählen: ein generelles Tempolimit, City-Maut, Road Pricing und Parkraumbewirtschaftung in den Städten. Diese Maßnahmen sind unpopulär, aber notwendig. Denn auch wenn im Öffentlichen Verkehr Verbesserungen gemacht werden, der Verkehr auf der Straße aber nach wie vor ungehindert fließt, ist für die meisten Menschen der Anreiz zum Umstieg gering. Wir müssen die Leute nicht nur hinziehen zum Öffentlichen Verkehr, sondern quasi auch ein bisschen „hinschubsen“.

Zurück zur Übersicht

VCÖ: Externe Kosten des Verkehrs in Österreich betragen 19 Milliarden Euro pro Jahr

VCÖ (Wien, 4. Juni 2022) – Österreichs Verkehrssystem verursacht hohe ökologische und soziale Kosten. Das ist ein zentrales Ergebnis einer aktuellen VCÖ-Studie im Vorfeld des Weltumwelttags. Insgesamt verursacht der Verkehr jährlich rund 19 Milliarden Euro an externen Kosten, allein der Pkw-Verkehr ist für über 12,5 Milliarden Euro verantwortlich. Durch die Verlagerung von Autofahrten auf öffentliche Verkehrsmittel können die gesellschaftlichen Kosten deutlich reduziert werden. Noch stärker gehen die Kosten zurück, wenn Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurückgelegt werden. Vier von zehn Autofahrten sind kürzer als 5 Kilometer. Der VCÖ fordert den verstärkten Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebots und der Rad-Infrastruktur sowie eine fußgängerfreundliche Verkehrsplanung in Gemeinden und Städten.

Mehr dazu
Foto: Sarah Duit

VCÖ: Treibstoff des Flugverkehrs wurde im Vorjahr mit rund 240 Millionen Euro steuerlich begünstigt

VCÖ (Wien, 18. Mai 2022) – Der Kerosinverbrauch ist in Österreich im Vorjahr um ein Viertel auf knapp mehr als 400.000 Tonnen gestiegen. Damit stieg auch die Steuerbegünstigung von Kerosin, nämlich auf rund 240 Millionen Euro, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse zeigt. Trotz sich verschärfender Klimakrise bezahlen Flugkonzerne nach wie vor keine Mineralölsteuer für Kerosin. Allein der Flugverkehr in Österreich verursachte im Vorjahr rund 1,3 Millionen Tonnen klimaschädliche Treibhausgase. Der VCÖ fordert die rasche Einführung einer Kerosinsteuer auf EU-Ebene und die verstärkte Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf die Bahn.

Mehr dazu
Foto: Sarah Duit