Radfahren ohne Altersgrenze

Die Zahl der älteren Menschen wächst rasch. Es braucht niedrigere Geschwindigkeiten im Straßenverkehr, einfach nutzbare öffentliche Verkehrsmittel und eine Umgebung, die einen Alltag ohne Auto ermöglicht.
Von Doris Neubauer
Dass Radfahren körperlich und mental fit hält und die psychische und physische Gesundheit signifikant verbessert, ist mittlerweile unbestritten und durch zahlreiche Studien belegt. Es stärkt unter anderem Herz, Kreislauf und Muskulatur, senkt den Blutdruck, schont die Gelenke und fördert Gleichgewicht und Balance. Eine britische Studie zeigte zudem auf, dass auch die Risiken, einen Herzinfarkt zu erleiden oder an Diabetes oder Krebs zu erkranken, durch die Nutzung des Fahrrads als Verkehrsmittel erheblich sinken. Wenn ältere Menschen aufs Fahrrad steigen, bringt das nicht nur individuellen Nutzen und Glücksgefühle für die Einzelnen, sondern wirkt sich positiv auf das gesamte Gesundheitswesen aus. In Vorzeige- Radfahrnationen steigt der Anteil der Radfahrenden über 65 Jahre beständig: So legt laut der „Dutch Cycling Embassy“ in den Niederlanden die Gruppe der 65- bis 75-Jährigen 30 bis 35 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurück, mehr als jede andere Altersgruppe. In Ländern wie Österreich, Deutschland oder der Schweiz nimmt die Fahrradnutzung mit zunehmenden Alter dagegen ab. Eine Ausnahme ist Vorarlberg. Hier legt die Generation 65plus 27 Prozent ihrer Alltagswege mit dem Rad zurück, fast die Hälfte mit dem Elektrorad. Dank dem unterstützenden Elektromotor können längere Distanzen und auch hügelige Strecken mit dem Rad gefahren werden, Autofahrten werden dadurch vermieden.
Infrastruktur bringt Sicherheit
„Es spielen viele Faktoren eine Rolle“, sagt Michael Liebi, Dozent für Raum- und Verkehrsplanung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule und Mobilitätsexperte bei der Fachstelle Fuß- und Veloverkehr der Stadt Bern. Einer dieser Faktoren sei die Infrastruktur. Während in den Niederlanden oder in Kopenhagen die gut ausgebauten Radwege Menschen aller Altersstufen zum Radfahren motivierten, würden sich in der Schweiz „nur die Mutigen trauen“. 60 Prozent der Bevölkerung ließen wegen Sicherheitsbedenken das Rad stehen, heißt es im Buch „Velowende“, das er mit Patrick Rérat, Ursula Wyss und Christine Lehmann verfasst hat. Vor allem ältere Menschen empfinden das Radfahren als unsichere und gefährliche Mobilitätsart. Wie wichtig es ist, auch in Österreich die Lücken im Radwegenetzt zu schließen und eine gute und sichere Radinfrastruktur umzusetzen, belegt auch die Unfallstatistik. 17 der 32 Radfahrenden, die im Vorjahr im Straßenverkehr tödlich verletzt wurden, waren Seniorinnen und Senioren. Keiner der tödlichen Unfälle passierte auf einem Radweg.
Radwege baulich trennen
Mit entsprechenden Bedingungen lässt sich das Sicherheitsrisiko minimieren, betont Liebi. Dazu gehöre die bauliche Trennung vom motorisierten Verkehr. Wo separate Radwege nicht möglich sind, bewährt sich eine flächendeckende Verkehrsberuhigung mit Tempo 30 oder Tempo 20. Das bestätigen auch die Daten: Im Zeitraum 2022 bis 2024 kam es in Österreich zu insgesamt 118 tödlichen Radfahrunfällen, kein einziger davon auf baulich getrennten Radwegen. Im Zweifel könne der „Laura-Test“ helfen, so Liebi: „Würden Sie Ihr achtjähriges Kind hier fahren lassen?“, lautet die Gretchenfrage. Oder eben den 80-jährigen Opa. Denn „wenn ich kinder- und altenfreundlich plane, mache ich den Raum für alle sicherer.“ Es geht dabei nicht nur um die Frage, wie die Radfahrinfrastruktur gestaltet ist, sondern auch wohin die Radwege führen: Um das Fahrrad gerade auch für ältere Menschen stärker von einem Freizeitgerät zu einem Verkehrsmittel zu machen, ist die gute Anbindung von Orten des Alltags wichtig – etwa von Supermärkten, die mittlerweile häufig an verkehrsreichen Straßen an den Ortsrändern liegen.
Bei älteren Menschen beeinflusst auch die Wohnumgebung die Frequenz des Radfahrens stärker als bei jüngeren, wie eine Fallstudie in München zeigt. Ältere Menschen in peripheren Wohngegenden nutzen das Fahrrad öfter. Diese Gegenden haben einen höheren Anteil an Grünflächen, weniger Kreuzungen und weniger Kfz-Verkehr. Um das Radfahren bei älteren Menschen zu fördern, sollte die Stadtplanung einen Fokus auf die Errichtung von sicherer Infrastruktur fürs Radfahren und die Entwicklung von Grünflächen legen, so die Conclusio.
Radfahrkönnen auffrischen
Künftig werde zudem ein weiterer Aspekt wichtiger: „Der Bereich soziale Infrastruktur, im Englischen human infrastructure genannt“, erläutert Liebi: „Ältere Menschen müssen oft Fähigkeiten erlernen, um sicherer mit dem Fahrrad unterwegs zu sein“, betont der Mobilitätsexperte und warnt gleichzeitig davor, nur auf Ausbildung zu setzen. „Es braucht beides: Skills und Infrastruktur“, sieht er bei Letzterem die Behörden gefordert, zuerst die Straßen sicher zu machen. Breite Radwege, Fahrradspuren, die von Fußwegen getrennt sind und Radhighways durch jedes Tal wünscht sich auch Werner Madlencnik vom Institut für aktive Mobilität – Easy Drivers Radfahrschulen. „Wenn wir ein Radwegenetz hätten wie in den Niederlanden, wäre vieles andere zweitrangig“, ergänzt er. Da das aber in Österreich „Science-Fiction“ ist, bietet er mit seinem Team aus rund 180 Radfahrlehrenden in Oberösterreich, Steiermark und Salzburg kostenlose, von den jeweiligen Ländern geförderte Sicherheitskurse für ältere Erwachsene an. Es handelt sich ausschließlich um E-Bike-Trainings, denn „für normale Radfahrkurse gibt es bei dieser Zielgruppe keinen Bedarf”, weiß er. Und es gilt eine Hemmschwelle zu überwinden: Viele melden sich bei den E-Bike-Kursen erst auf Drängen ihrer Kinder oder über Organisationen wie Seniorenbünde oder Sportvereine an. Sie erfahren dann in der Gruppe die wichtigsten Verkehrsregeln, können sich zum Material beraten lassen und lernen die Gefahrenquellen auf der Straße durch richtiges Verhalten zu reduzieren.
Radtouren begleiten
Seit dem Jahr 2023 bietet das Institut zusätzlich Ausbildungskurse zur Begleitung von E-Bike-Touren für ältere Menschen an. „Die Teilnehmenden sind Seniorinnen und Senioren, die mit Gleichaltrigen sichere Ausflüge oder mehrtägige Radtouren machen wollen“, nennt der Unternehmer ein Beispiel. Das Projekt ist als einer der drei besten Beiträge Europas in der Kategorie „Older people“ für die Excellence in Road Safety Awards 2025 nominiert. „Damit zählt unsere Initiative zur Förderung sicherer und aktiver Mobilität im Alter zu den Finalisten dieser renommierten EU-weiten Auszeichnung“, freut sich Madlencnik. Einer der Gründe dafür ist vielleicht, dass der Kurs den älteren Menschen neben der Radkompetenz eine Beschäftigungsoption bietet. Nach der Ausbildung können die Tourenbegleitenden nämlich als Radfahrlehrende oder Mobilitätstrainer bei den klimaaktiv mobil Radfahrkursen, die das Institut an 2.000 Schulen durchführt, tätig sein. „Gut 20 Prozent unserer Mitarbeitenden sind in Pension“, sagt Madlencnik. „Und wir suchen noch mehr.“
Von den positiven Auswirkungen der Mobilität in der frischen Luft und dem sozialen Kontakt beim Radfahren können auch jene profitieren, die nicht mehr selbständig in die Pedale treten können. „Fietsmaatjes Breda“ (Radfreunde Breda) bietet Älteren oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Möglichkeit, gemeinsam auf einem elektrischen Tandemrad die niederländische Stadt Breda zu erkunden. Der gemeinnützige Verein „Radeln ohne Alter“, der im Jahr 2012 in Kopenhagen gegründet wurde, bietet kostenlose Rikscha-Fahrten für diese Zielgruppe an. Seit zehn Jahren führen Ehrenamtliche auch in 42 Städten und Gemeinden Österreichs kostenlose Rikscha-Fahrten durch. Ihr Motto: Recht auf Wind im Haar in jedem Lebensalter.