Schwammstadt: Mit Saugkraft gegen die Klimakrise

Foto: Helmer Manfred
Foto: Weatherpark

Die Klimakrise erfordert rasches Umdenken in der Stadtplanung. Immer mehr Städte setzen auf Begrünung und Abkühlung im Straßenraum, um der zunehmenden Hitze zu begegnen.

Natürliche Klimaanlage, Schattenspender und CO2-Speicher – dank ihrer Eigenschaften gelten Bäume in der Stadt als Verbündete gegen die Klimakrise. 40 Jahre kann es dauern, bis sie ihr volles Potenzial entfalten: „Vorausgesetzt, sie haben geeigneten unterirdischen Wurzelraum mit Poren für Bodenluft und Bodenwasser“, erklärt Landschaftsarchitekt Karl Grimm vom Arbeitskreis Schwammstadt. Im städtischen Straßenraum ist das einfacher gesagt als getan. Städte baumgerecht machen Bäume konkurrieren im Straßenraum mit Kanal-, Wasser-, Internet- und Gasleitungen – meist erfolglos. Nach 15 bis 20 Jahren sterben sie ab, weil ihnen Nährstoffe, Luft oder Wasser fehlen. Hier setzt das Schwammstadt- Prinzip an: Durchlässiger Grobkies im Straßenunterbau bietet den Wurzeln Raum zur Entfaltung. In den Hohlräumen dazwischen steckt eine Mischung aus Feinboden und Pflanzenkohle. „Dieses Substrat hält Regenwasser wie ein Schwamm pflanzenverfügbar zurück“, so Grimm, „nur überschüssiges Wasser versickert in den Untergrund.“ Dadurch können Bäume sogar trockene, heiße Sommer gut überstehen. Davon profitieren auch wir Menschen: „Bäume sind nach wie vor die ideale Beschattung“, meint Grimm, „außerdem sorgen sie für stärkere Verdunstung des Wassers und kühlen so die Umgebung.“ Ein weiterer Effekt zeigte sich bereits beim ersten Schwammstadt-Projekt in Österreich. Als im April 2018 innerhalb kürzester Zeit 142 Liter Regen pro Quadratmeter in Graz niederprasselten, kam es in vielen Gebieten zu einer Überlastung des Kanalsystems und Überschwemmungen. Die Eggenberger Allee hingegen blieb verschont. Die Monate zuvor gepflanzten Schwamm-Bäume saugten das überschüssige Wasser auf. „Es war ein augenscheinlicher Aha-Effekt, dass es funktioniert“, bestätigt Grimm. Zwar würden Methode sowie Substrat weiterentwickelt und an die jeweiligen Standorte angepasst, doch: „Das Prinzip hat sich als zentrales Element für Regenwassermanagement und Klimawandelanpassung bewährt. Was seit zehn Jahren in Stockholm und anderen skandinavischen Städten funktioniert, breitet sich angesichts der zunehmenden Hitzeperioden auch hierzulande aus. Schwammstadt-Bäume wachsen nicht nur in Graz, vor dem Haus der Musik in Innsbruck oder in Mödling gedeihen sie ebenfalls bereits. Weitere Projekte stehen vor der Umsetzung.

Linz pflanzt 1.000 Bäume

Die innerstädtische Baumpflanzoffensive der Stadt Linz ist eines der Schwammstadt-Projekte in Österreich. 1.000 Bäume sollen in den nächsten Jahren gepflanzt werden. Das Schwammstadt-Prinzip wird eine Schlüsselrolle einnehmen, schließlich ist in Linz viel Boden zubetoniert. „Es war mir ein großes Anliegen, dass die Initiative ein zentraler Punkt der Linzer Klimastrategie wird“, betont Vize-Bürgermeister Bernhard Baier. Neben der Einrichtung eines Fonds in der Höhe von zwei Millionen Euro für Klimaanpassungsmaßnahmen und einer Koordinierungsstelle wird derzeit eine Stadtklimatologin oder ein Stadtklimatologe fürs Umweltressort gesucht. „Bereits im vergangenen Jahr haben wir Förderungen für private Dach- und Fassadenbegrünungen eingeführt, die langsam anlaufen“, ergänzt Wilfried Hager vom Magistrat der Landeshauptstadt Linz. „Auch die Mitglieder der Unternehmensgruppe Linz AG haben den Auftrag, mit Vorbildwirkung voranzugehen.“ Etwa mit der Fassadenbegrünung eines Umspannwerks im städtischen Bereich.

Mit einem anderen Projekt legt Linz die Basis für weitere systematische Klimamaßnahmen. Im Auftrag der Stadt führt die Firma Weatherpark eine Stadtklimaanalyse durch, wie sie in Großstädten Deutschlands seit Jahren zum Standard gehört. „Ich kann nicht nach dem Gießkannenprinzip über eine Stadt gehen“, begründet Weatherpark-Geschäftsführer Simon Tschannett, „ich brauche eine Stadtklimaanalyse, die das Mikroklima anzeigt. Damit kann ich feststellen, wo welche Maßnahme sinnvoll ist.“ Bäume, begrünte Bodenflächen, Dächer und Fassaden, aber auch Springbrunnen oder Wasserspiele können für angenehmere Luft und somit höheres Wohlbefinden der dort Wohnenden sorgen. Doch falsch platziert, können Bäume eine Frischluftschneise auch abschwächen und verhindern, dass Wind für Abkühlung sorgt. Von punktuellen Einzelmaßnahmen hält der Stadtklimatologe daher wenig. Notwendig sei eine langfristige Gesamtstrategie, um eine Stadt für die zunehmenden Hitzeund Trockenperioden tauglich zu machen. „Das ist durchaus möglich“, gibt sich Tschannett optimistisch und hat dafür das Unternehmen cuulbox gegründet. Gemeinsam mit Kollegen aus der Landschaftsarchitektur und Verkehrsplanung unterstützt er Gemeinden und Städte bei der Neugestaltung von Straßen, Plätzen sowie Freiräumen und hilft, die Situation im Altbestand zu verbessern. „Wenn das Klima insgesamt um fünf Grad wärmer wird, können auch Städte nicht mehr angepasst werden“, betont der Experte und fügt hinzu: „Anpassungsmaßnahmen müssen mit Klimaschutz Hand in Hand gehen. Ich kann nicht sagen, wir pflanzen Bäume, wir machen Städte klimafit, und fahren weiter mit dem Auto wie gehabt.“

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Verkehr und Zersiedelung als Treiber der Versiegelung

Ein großer Teil der versiegelten Fläche dient dem Verkehr. Die problematischen Folgen der Versiegelung in Kombination mit der globalen Klimakrise treten immer stärker zu Tage. Um diese Entwicklung zu stoppen, braucht es effektive Maßnahmen gegen weitere Versiegelung und eine Trendumkehr in Richtung Entsiegelung – wobei der Verkehr eine wichtige Rolle spielt.

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VCÖ: Radverkehr in Wien ist im 1. Halbjahr erneut gestiegen

VCÖ (Wien, 23. August 2024) – Die Wienerinnen und Wiener treten immer fleißiger in die Pedale: Auch heuer ist im 1. Halbjahr der Radverkehr gestiegen, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis der automatischen Radzählstellen der Stadt Wien zeigt. Bei den 17 Radverkehrszählstellen waren in den ersten sechs Monaten in Summe 5,51 Millionen Radfahrerinnen und Radfahrer unterwegs, um neun Prozent mehr als im 1. Halbjahr 2023. Die meisten Radfahrerinnen und Radfahrer wurden in der Operngasse gezählt, vor der Lassallestraße und dem Praterstern. Die Mobilitätsorganisation VCÖ fordert mehr Platz zum Radfahren sowie verstärktes betriebliches Mobilitätsmanagement.

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