Verkehrsberuhigung bringt Lebensqualität

Begegnungszone in Hohenems: Die niveaugleiche Oberflächengestaltung mit dreifärbigen Granitsteinen betont den Platzcharakter und ermöglicht barrierefreien Zugang zu den Geschäften.

Begegnungszonen, Fußgängerzonen oder Tempo 30 wirken sich positiv auf den Menschen aus – nicht nur Gesundheit und Lebensqualität profitieren, sondern auch die Wirtschaft.

Von Susanne Wolf

Hohenems, Vorarlberg: Die malerische Altstadt ist geprägt von flanierenden Fußgängerinnen und Fußgängern, Radfahrenden und vereinzelt Autos, die alle ein Tempo von 20 km/h einhalten müssen. Die Begegnungszone Marktstraße und Schweizer Straße ist Teil eines Innenstadt-Revitalisierungsprojekts, durch das ein Großteil des Durchzugsverkehrs auf die Landesstraßen verlagert wurde.

„Der Stadtkern mit seinen vielfältigen Nutzungen wie Einkaufen, Schule oder Freizeitaktivitäten wurde mit der Einführung der Begegnungszone deutlich attraktiver“, sagt Bürgermeister Dieter Egger (FPÖ). So konnte der Autoverkehr im innerstädtischen Bereich durch die bereits umgesetzten Maßnahmen um ein Viertel gesenkt werden. Das Projekt stößt auf Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern: Unter dem Titel „innen.stadt.leben“ wird die Revitalisierung des Zentrums im Rahmen eines partizipativen Planungsprozesses umgesetzt. In Begegnungszonen wird die Straße wieder zum sozialen Ort. Insbesondere in der wärmeren Jahreszeit treffen die Anwohnerinnen und Anwohner sich für einen Plausch vor dem Haus, Kinder haben mehr Platz zum Spielen.

Gut für die Gesundheit

Weniger und nicht so schneller Autoverkehr hilft auch der Gesundheit: „Vor allem Feinstaub durch Reifen- und Bremsabrieb belastet die Atemwege und kann zu Entzündungsreaktionen führen“, sagt Hanns Michael Moshammer, Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Verkehrslärm sei zudem eine Ursache für Stress, Schlafstörungen sowie Herz- und Kreislauferkrankungen.

Die Einrichtung von Begegnungs- oder Fußgängerzonen wirkt sich nachweislich positiv auf die Gesundheit und Lebensqualität aus. „Die Reduktion von Lärm und Schadstoffen geht auch einher mit einer Zunahme an körperlicher Aktivität, da viele vom Auto aufs Fahrrad umsteigen oder zu Fuß gehen“, so Moshammer. Tempo 30 reduziert die Gefahr tödlicher Verletzungen bei einem Unfall um 75 Prozent im Vergleich zu Tempo 50. Ähnliches gilt für Begegnungszonen: Wie eine Studie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zeigt, sinkt für schwächere am Verkehr Teilnehmende wie Kinder oder ältere Menschen das Unfall- und Verletzungsrisiko.

Gut für die Wirtschaft

Auch die Wirtschaft profitiert vom zurückgewonnenen Lebensraum: „Ich habe meinen Bio-Laden vor acht Jahren in der Marktstraße eröffnet, aber seit der Umwandlung in eine Begegnungszone im Jahr 2018 kommen viel mehr Kundinnen und Kunden“, sagt Daniela Eiterer,
Besitzerin des Bio-Ladens und Cafés „Frida“ in Hohenems.

Auch die Wiener Herrengasse wurde im Jahr 2016 zur Begegnungszone umgestaltet und ist heute eine beliebte Flaniermeile nicht nur für Touristinnen und Touristen. Die geschichtsträchtige Gasse bildet eine wichtige Verbindung zwischen Schottentor, Burgtheater und Staatsoper. Gehende, Autofahrende, Taxis, Fiaker und Radfahrende sind gleichgestellt, gegenseitige Rücksichtnahme wird vorausgesetzt. Dazu kommen Citybusse für jene, die öffentliche Verkehrsmittel bevorzugen. Schanigärten laden zum Verweilen ein, rund 20 Pkw-Stellplätze wurden zu diesem Zweck aufgelöst. „Die Herrengasse ist nun eine für Touristinnen und Touristen attraktive Fußwegverbindung, von der gleichsam die ansässigen Unternehmen und Bewohnerinnen und Bewohner profitieren“, sagt Alexander Biach, Standortanwalt der Wiener Wirtschaftskammer, und verweist auf eine jährliche Wertschöpfung von 1,1 Millionen Euro durch die Umgestaltung in eine Begegnungszone. Die Parkplatzfrage verliere in Städten dagegen zunehmend an Bedeutung.

Umdenken in Wien

Die regional- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Umwandlung in Areale zum Verweilen sind so positiv, dass die Wirtschaftskammer ihre Haltung geändert hat: Sprach sie sich bei der Umgestaltung der Mariahilfer Straße noch dagegen aus, plädiert der Standortanwalt nun für zahlreiche weitere Begegnungszonen in der Stadt. Einige Wiener Projekte für Verkehrsberuhigung wurden bereits umgesetzt: Die Rotenturmstraße etwa, früher eine stark befahrene Einbahnstraße zwischen Innenstadt und Schwedenplatz, ist nun eine Begegnungszone, die gerne genutzt wird. Radfahrende dürfen gegen die Einbahn fahren, die Oberfläche der Straße wurde größtenteils auf ein Niveau angehoben. Bäume mit begrünten Baumscheiben und viele – konsumfreie – Sitzgelegenheiten laden zum Ausruhen ein und auch der Handel floriert.

In der Zollergasse in Wien Neubau wurden zusätzlich zur Verkehrsberuhigung Maßnahmen für Abkühlung und ein besseres Mikroklima gesetzt: Acht große Bäume sorgen für Schatten, im Boden installierte Quelldüsen erzeugen einen kleinen Bachlauf, der für angenehme Temperaturen sorgt. Die Botschaft ist klar: Verkehrsberuhigung ist gut für den Menschen und wichtig fürs lokale Klima.

Zurück zur Übersicht

Zukunftsorientierte kommunale Mobilitätsverordnung

„Angebot schafft Nachfrage“ war das Motto, nach dem in Feldkirchen bei Graz im Mai 2024 eine neue Mobilitätsverordnung für den Wohnbau beschlossen wurde. Erstmals vorgegeben wird, dass je Wohnung drei Fahrrad-Stellplätze mit Mindestqualitätsvorgaben zu errichten sind. Die Anzahl der verpflichtenden Pkw-Stellplätze hängt ab von der Größe des Bauvorhabens, dem Angebot des Öffentlichen Verkehrs sowie der Bereitstellung von Car-, Bike- und Transportrad-Sharing.

Mehr dazu
Symbolbild

VCÖ: Jeder 3. Verkehrstote außerhalb des Ortsgebiets wegen nicht angepasster Geschwindigkeit

VCÖ (Wien, 7. November 2024) – 108 Todesopfer, 1.200 schwer Verletzte und 5.138 leicht Verletzte – das ist die Opferbilanz von Verkehrsunfällen in Österreich, die im Vorjahr wegen nicht angepasster Geschwindigkeit verursacht wurden, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt. Auf Österreichs Straßen herrscht eine Schnellfahrkultur. Der Anteil der Überschreitungen von Tempolimits ist in Österreich deutlich höher als beispielsweise in der Schweiz. In der Schweiz ist die Toleranzgrenze beim Überschreiten von Tempolimits niedriger als in Österreich. Die Einhaltung von Tempolimits hängt neben den Toleranzgrenzen und der Anzahl der Kontrollen auch von der Straßengestaltung ab, betont die Mobilitätsorganisation VCÖ.

Mehr dazu
Foto: Kleines Kreuz mit Kerzen neben einer Freilandstraße