VCÖ: Hälfte des Schienengüterverkehrs in der EU ist grenzüberschreitend, in Österreich sogar 80 Prozent

VCÖ-Fachkonferenz: Mehr europäisches Denken und Handeln im Schienenverkehr nötig

VCÖ (Wien, 14. März 2024) – Während im Schienengüterverkehr grenzüberschreitende Transporte in Europa einen sehr hohen Anteil haben, ist dieser im Personenverkehr niedrig, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse zeigt. In Österreich beträgt der Anteil internationaler Fahrten an der Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr sogar 80 Prozent. Tenor bei der heutigen VCÖ-Fachkonferenz: Es braucht im Schienenverkehr mehr europäisches Denken und Handeln. Der verstärkte Ausbau der Schieneninfrastruktur, die Beseitigung nationaler Hürden sowie ein einfaches Planen und Buchen von internationalen Bahnreisen in Europa, sind zentrale Aufgaben für die künftige EU-Kommission, für das EU-Parlament und auch für die einzelnen EU-Mitgliedstaaten, betont die Mobilitätsorganisation VCÖ.

Im Güterverkehr sind effiziente internationale Bahnverbindungen von besonders hoher Bedeutung. Die Hälfte des Schienengüterverkehrs in der EU sind grenzüberschreitende Transporte. In Griechenland, Dänemark, Lettland und den Niederlanden werden sogar über 90 Prozent der Tonnenkilometer bei grenzüberschreitenden Transporten erbracht, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Eurostat zeigt. In Österreich kommen 80 Prozent der Verkehrsleistung durch grenzüberschreitende Bahntransporte.

„Trotzdem gibt es in der EU auch 30 Jahre nach Beginn des gemeinsamen Binnenmarktes zahlreiche Hürden und Hindernisse bei grenzüberschreitenden Transporten und behindern damit das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen“, stellt VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky fest. Torben Holvad, von der ERA (European Union Agency for Railways) ergänzt: „Sofortige Maßnahmen sind erforderlich, um Hindernisse für den grenzüberschreitenden Schienenverkehr - sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr - zu beseitigen, damit der Anteil des Verkehrsträgers Schiene endlich wächst.“

Der Anteil der internationalen Bahnfahrten im Personenverkehr ist zwar deutlich geringer als im Güterverkehr, jedoch nimmt die Nachfrage stark zu. Im Jahr 2022 wurden in der EU insgesamt 21.112 Millionen Personenkilometer bei grenzüberschreitenden Fahrten mit der Bahn zurückgelegt. In Österreich betrug der Anteil im Jahr 2022 mit 598 Millionen Personenkilometer fünf Prozent, in der Schweiz und in Deutschland waren es jeweils sieben Prozent. Mit Ausnahme des Kleinstaates Luxemburg mit 44 Prozent und Tschechien mit 20 Prozent liegt der Anteil grenzüberschreitender Fahrten an der Schienenverkehrsleistung in den EU-Staaten unter zehn Prozent.

„Das nationale Denken ist im Schienenverkehr immer noch vorherrschend“, bringt es der Bahnexperte Jon Worth auf den Punkt. Bei der Reiseplanung, beim Buchen, bei den Echtzeit-Informationen und den Fahrgastrechten ist beim grenzüberschreitenden Reiseverkehr in Europa noch viel zu verbessern. „Nachdem ich im Rahmen meines #CrossBorderRail-Projekts 200 Eisenbahngrenzen überquert habe, ist mir klar, dass in Europa mit vergleichsweise wenig Geld viel für den internationalen Schienenverkehr getan werden kann. Vielerorts gibt es zwar Strecken, aber die Züge fahren nicht, oder es gibt Probleme mit dem Fahrplan oder dem Fahrkartenverkauf. Mit ein wenig politischen Willen der EU können diese Probleme behoben werden.“ Thomas Preslmayr von der Fachhochschule St. Pölten unterstreicht die Notwendigkeit, das Planen und Buchen grenzüberschreitender Bahnreisen zu erleichtern. „Der gute Wille zum nachhaltigen Reisen scheitert noch viel zu oft am Ticketkauf. Zeit, dass digitale Vernetzung und Europäische Integration auch bei den Fahrgästen im Bahnverkehr ankommt!“

Ein großes Potenzial für die Verlagerung auf die Bahn gibt es bei Geschäftsreisen, betonte bei der VCÖ-Fachkonferenz Hugo Houppermanns von der niederländischen Organisation „Anders Reizen“. 70 große Unternehmen mit insgesamt 550.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich das Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen ihrer Geschäftsreisen bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 2016 zu halbieren. Houppermanns empfiehlt den Unternehmen, in den Reiserichtlinien klar festzulegen, dass das Reisen mit der Bahn die Regel ist, insbesondere für Reisen bis 700 Kilometer. Auch in Österreich ist ein Wandel bei Geschäftsreisen erkennbar: Der Anteil der Flugreisen ist in den vergangenen zehn Jahren von 30 Prozent im Jahr 2014 auf 23 Prozent in den ersten drei Quartalen des Vorjahres gesunken, der Bahnanteil bei Geschäftsreisen (sowohl innerhalb Österreichs als auch international) im gleichen Zeitraum von 18 auf 22 Prozent gestiegen.

Die VCÖ-Fachkonferenz macht deutlich, dass die kommende EU-Kommission und das EU-Parlament stärker als bisher einen Schwerpunkt zur Verbesserung des Schienenverkehrs legen muss. Dazu zählen der forcierte Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur, das Vereinfachen des Planens und Buchens internationaler Bahnreisen sowie der Abbau nationaler Hürden und Barrieren. Im Güterverkehr ist zudem die Kombination von Lkw und Schiene zu vereinfachen. „Für den grenzüberschreitenden Verkehr braucht es leistungsfähige, europaweit koordinierte, einheitliche Prozesse. Die Kombination von Lkw und Schiene muss in Europa die beste und einfachste Lösung darstellen“, betont Sebastian Sperker von der Rail Cargo Group. Lukas Oberndorfer, Leiter der Abteilung Klima, Umwelt und Verkehr in der Arbeiterkammer Wien weist auf den Investitionsbedarf hin: „Wenn wir den grenzüberschreitenden Verkehr in der EU auf Schiene bringen und damit unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen unsere Maßnahmen der Größe der Herausforderungen entsprechen. Denn dazu braucht es bis zum Jahr 2050 europaweit Investitionen in der Höhe von 550 Milliarden Euro.“

Der Schienengüterverkehr ist ein zentraler Hebel für die Dekarbonisierung, Energieeffizienz und Versorgungssicherheit in Europa. Allerdings steht er mehr denn je vor enormen Herausforderungen und ist mit sehr ungleichen Wettbewerbsbedingungen auf der Straße konfrontiert. Um gezielt Anreize für Bahntransporte zu setzten, müssen Bahnunternehmen, Infrastruktur und Verkehrspolitik zusammen wirken. Diese Chance bietet sich aktuell mit der Überarbeitung von unterschiedlichen EU-Gesetzen, wie zum Beispiel der Richtlinie über höchstzulässige Maße und Gewichte von Straßenfahrzeugen oder der Kombinierte Verkehr-Richtlinie. Sie können die Zukunft des Schienengüterverkehrs in Europa maßgeblich beeinflussen“, betont Boglarka Mondvay-Nemeth (ÖBB Holding).

VCÖ: Hoher Anteil grenzüberschreitender Transporte im Bahngütertransport
(Anteil grenzüberschreitende Transporte am Schienengüterverkehr des Landes, Jahr 2022)

Griechenland: 98,9 %
Dänemark: 95,0 %
Lettland: 94,8 %
Niederlande: 92,3 %
Luxemburg: 88,6 %
Ungarn:  86,0 %
Slowenien: 85,4 %
Slowakei: 84,4 %
Kroatien: 80,9 %
Österreich: 80,6 %
Schweiz: 79,1 %
Tschechien: 67,0 %
Estland: 63,5 %
Litauen: 53,7 %
Deutschland: 51,0 %
Italien: 47,4 %
Bulgarien: 41,8 %
Frankreich: 40,6 %
Schweden: 38,3 %
Polen: 29,2 %
Rumänien: 29,0 %
Portugal: 26,9 %
Finnland: 16,7 %
Spanien: 15,6 %

Quelle: Eurostat, VCÖ 2024

Zurück zur Übersicht

Mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität

Ausreichend Platz für aktive Mobilität, öffentlicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität und sichere, attraktive Bereiche für das Gehen und Radfahren sind für unsere Gesundheit wichtig, um Bewegung in den Alltag zu integrieren. Die Publikation „Mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität“ zeigt in Text und Grafiken auf, was dringend umzusetzen ist, um Straßen für Gehende und Radfahrende neu zu denken. Good-Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland machen Mut zur Nachahmung.

Mehr dazu

Was der Öffentliche Verkehr aus der Covid-19-Krise lernen kann

Eigentlich sollte das Jahr 2021 als „Europäisches Jahr der Schiene“ eine europaweite Öffi-Offensive bringen. Doch die Covid-19-Pandemie stellt den Öffentlichen Verkehr angesichts der Fahrgastrückgänge vor große Herausforderungen. Nichtsdestotrotz ist der Öffentliche Verkehr das zentrale Rückgrat auf dem Weg zu einem klimaverträglichen Verkehrssystem. Wie kann der Öffentliche Verkehr gestärkt aus der Covid-19-Krise hervorgehen? Diesen Fragen ist der VCÖ gemeinsam mit der TU Wien nachgegangen und hat dazu sowohl eine repräsentative Befragung der Bevölkerung Österreichs, als auch eine Umfrage unter rund 500 Fachleuten durchgeführt. Allgemein bewertet die Bevölkerung Österreichs die konkreten Reaktionen der Verkehrsunternehmen auf die Covid-19-Pandemie rückblickend überwiegend positiv.


Mehr dazu
Grafik: VCÖ 2020