VCÖ: Im Verkehr ist das Potenzial für Entsiegelung sehr groß

VCÖ: Groß-Parkplätze entsiegeln, Boden vor Versiegelung schützen, Treibhausgas-Emissionen rascher reduzieren

VCÖ (Wien, 18. September 2024) – Jetzt ist die Hilfe für die betroffenen Menschen und Regionen das Allerwichtigste. Künftig braucht es in Österreich den gleichen Schulterschluss für den Schutz der Böden, für verstärkte Entsiegelung und für die raschere Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, stellt die Mobilitätsorganisation VCÖ fest. Der VCÖ weist darauf hin, dass in Österreich auf eine Person 330 Quadratmeter versiegelte Fläche kommen, davon 142 Quadratmeter durch Verkehrsflächen. Mit Asphalt versiegelte Böden können kein Wasser aufnehmen, der Niederschlag fließt ab und das Kanalsystem wird dadurch bei Starkregen zusätzlich belastet. Das Entsiegelungspotenzial ist im Verkehrsbereich, insbesondere bei Groß-Parkplätzen, sehr groß und ist verstärkt zu nutzen, so der VCÖ.

 

„Die große Hilfsbereitschaft bei der Hochwasserkatastrophe ist vorbildlich. Jetzt steht die Hilfe für die betroffenen Menschen im Vordergrund. Diese Zusammenarbeit, diesen Schulterschluss braucht es auch künftig beim Schutz unserer Böden, bei der verstärkten Entsiegelung, damit Böden wieder Wasser aufnehmen können und auch bei der rascheren Reduktion der Treibhausgas-Emissionen“, stellt VCÖ-Experte Michael Schwendinger fest. Mit der Erderhitzung nehmen Häufigkeit und Intensität von extremen Wetterereignissen zu.

Insgesamt sind in Österreich fast 3.000 Quadratkilometer an Fläche versiegelt, allein 43 Prozent davon sind Verkehrsflächen. Pro Einwohnerin bzw. Einwohner sind 142 Quadratmeter Fläche alleine für den Verkehr versiegelt, das ist dreimal so viel wie pro Person als Wohnnutzfläche zur Verfügung steht, verdeutlicht der VCÖ. Entsiegelung ist insbesondere bei größeren Parkplätzen, wie beispielsweise bei Unternehmen, Freizeiteinrichtungen, Ausflugszielen, Supermärkten, Fachmarktzentren oder Einkaufszentren möglich. Allein die Parkplätze und Zufahrtsstraßen der Fachmärkte, Supermärkte und Shopping Center machen gemeinsam eine Fläche von rund 1.560 Hektar aus, das entspricht der Fläche von rund 2.600 Fußballfeldern, macht der VCÖ aufmerksam.

Während bei asphaltierten Parkplätzen bei Regen kein einziger Liter Wasser im Boden versickern kann, sind es bei Rasengittersteinen pro Hektar im Schnitt rund 825 Liter Wasser pro Sekunde. Zudem sind bei Groß-Parkplätzen Bäume im Schwammstadt-Prinzip zu pflanzen. Dabei wird den Bäumen ein großer Wurzelraum gegeben, wo viel Wasser gespeichert werden kann. Zusatznutzen für die Autofahrerinnen und Autofahrer: Werden ausreichend Bäume vorgeschrieben, gibt es an heißen Tagen mehr schattige Parkplätze. „Es braucht für die klimafitte Sanierung von größeren Parkplätzen rasch gesetzliche Vorgaben“, betont VCÖ-Experte Michael Schwendinger. In Tulln wurde beispielsweise der Nibelungenplatz, der früher ein Parkplatz für mehr als 200 Pkw war, Großteils begrünt und in einen Park umgewandelt. Während vorher 80 Prozent der Fläche versiegelt waren, sind es jetzt nur noch sieben Prozent. Hochgerechnet hat sich die Wasserspeicher-Kapazität des Platzes dadurch mehr als vervierfacht. In Amstetten wiederum wurde der Hauptplatz entsiegelt.

Der VCÖ hat mehr als 240 Fachleute von insgesamt rund 180 Organisationen und Instituten zum Entsiegelungspotenzial im Verkehrsbereich befragt. Das größte Potenzial sehen die Fachleute bei den Parkplätzen, einerseits durch eine Reduktion der Parkplatzflächen und andererseits durch ihre Entsiegelung. Das zweitgrößte Potenzial sehen die Fachleute beim Rückbau überdimensionierter Straßen. Ein Beispiel ist die B83 Kärntner Straße bei Arnoldstein, wo ein eineinhalb Meter breiter Streifen entsiegelt und begrünt wurde.  

Tempo 30 statt 50 im Ortsgebiet ermöglicht wiederum etwas schmälere Fahrbahnen und damit breitere Grünstreifen. „Auch wenn eine um 30 Centimeter schmälere Fahrbahn scheinbar wenig ist, auf einen Kilometer kann so eine zusätzliche versickerungsfähige Grünfläche von 300 Quadratmetern entstehen. Es sind viele kleine Schritte, die in Summe viel bewirken“, erklärt VCÖ-Experte Schwendinger. Auch die Förderung von Entsiegelungsprojekten sehen die Fachleute als wichtige Maßnahme. Das Land Niederösterreich fördert beispielsweise die Entsiegelung mit dem „blau gelben Bodenbonus“.

Eine zentrale Aufgabe der künftigen Bundesregierung sowie der neun Landesregierungen sieht der VCÖ im Schutz der Böden vor Versiegelung. Wichtig ist eine verkehrssparende Siedlungsentwicklung. Zersiedelung führt zu mehr Bodenverbrauch, auch durch zusätzliche Erschließungsstraßen. Die Stärkung der Ortskerne reduziert umgekehrt den Bodenverbrauch. Österreich hat bereits eines der dichtesten Straßennetze Europas mit insgesamt mehr als 128.000 Kilometer Straßen.

Auch wenn die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs seit dem Jahr 2019 um rund vier Millionen Tonnen reduziert wurden, mit 19,8 Millionen Tonnen verursacht der Verkehr als einziger Sektor in Österreich deutlich höhere Emissionen als im Jahr 1990. Der VCÖ weist darauf hin, dass viele Klimaschutz-Maßnahmen im Verkehr nicht nur die Emissionen, sondern auch die Kosten für die Haushalte und die Gesellschaft reduzieren.  

Zurück zur Übersicht

Öffentlicher Verkehr – Mobilität und Klimaschutz

Europa soll bis zum Jahr 2050 erster klimaneutraler Kontinent werden. Der Öffentliche Verkehr ist ein zentraler Faktor, um auch den Verkehr auf Klimakurs zu bringen. Die VCÖ-Publikation „Öffentlicher Verkehr – Mobilität und Klimaschutz“ zeigt sowohl aus Klimaperspektive als auch in wirtschaftlicher Hinsicht wie wichtig im Nahverkehr und im Fernverkehr die Verlagerung des Pkw-Verkehrs auf Öffentlichen Verkehr ist.

Mehr dazu

Menschengerechtes Verkehrssystem heißt: Tempo 30 innerorts zum Standard machen

Im Jahr 1992 war die Stadt Graz mit der Umsetzung von flächendeckendem Tempo 30 mit Ausnahme der Hauptstraßen internationale Vorreiterin. Zahlreiche Städte in Österreich, etwa Dornbirn, Leoben und Mödling sowie international, wie Grenoble, Helsinki, Lille, Zürich oder Barcelona sind dem Beispiel gefolgt. Zuletzt setzte Brüssel zu Beginn des Jahres 2021 Tempo 30 im verbauten Gebiet als Standard, Tempo 50 wurde zur beschilderten Ausnahme. Im Jahr 2020 wurde in den Niederlanden im Parlament beschlossen, flächendeckend Tempo 30 einführen zu wollen. Seit 11. Mai 2021 ist dies in Spanien als erstem EU-Staat Realität, landesweit gilt Tempo 30 im Ortsgebiet auf Straßen mit einer Kfz-Fahrbahn je Richtung, Tempo 20 auf Straßen mit nur einer Fahrbahn. In Österreich wird derzeit an einer Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) gearbeitet. Es lässt sich mit Hinblick auf die lokale Lebensqualität sowie Verkehrssicherheit kaum begründen, warum Österreich dem spanischen Beispiel nicht folgen sollte.

Mehr dazu
Grafik: VCÖ 2021