VCÖ: StVO-Novelle tritt am 1. Juli in Kraft – In Gemeinden und Städten wird Tempo 30 leichter umsetzbar

VCÖ: Tempo 30 statt 50 halbiert den Anhalteweg, bringt weniger Unfälle, rettet Menschenleben

VCÖ (Wien, 30. Juni 2024) – Am Montag, dem 1. Juli, tritt die 35. StVO-Novelle in Kraft. Damit wird es leichter, in Gemeinden und Städten Tempo 30 umzusetzen. Die Mobilitätsorganisation VCÖ begrüßt die StVO-Novelle als wichtigen Schritt für mehr Verkehrssicherheit für die Bevölkerung in den Gemeinden und Städten. Im Vorjahr kamen in Österreich bei Verkehrsunfällen im Ortsgebiet 95 Menschen ums Leben, 27.178 Menschen wurden verletzt. Tempo 30 statt 50 halbiert den Anhalteweg, reduziert die Anzahl und die Schwere der Unfälle, stellt der VCÖ fest.

In Gemeinden und Städten wird es ab 1. Juli einfacher Tempo 30 umzusetzen, insbesondere dort, wo ein besonderes Schutzbedürfnis besteht, beispielsweise im Umfeld von Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Freizeiteinrichtungen oder Seniorenheimen. „In der Vergangenheit scheiterten Gemeinden immer wieder, wenn sie beispielsweise bei einer Schule entlang einer Durchzugsstraße Tempo 30 umsetzen wollten. Es ist für die Sicherheit der Kinder am Schulweg im Speziellen und für die Verkehrssicherheit der Bevölkerung im Ort insgesamt erfreulich, dass die Umsetzung von Tempo 30 nun erleichtert wird“, begrüßt VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky die StVO-Novelle. Zudem sind für Schulstraßen künftig nicht mehr die Bezirksverwaltungsbehörden zuständig, sondern die Gemeinden, was ebenfalls die Umsetzung erleichtert und somit für die Schulwegsicherheit positiv ist.

20 Kilometer pro Stunde klingen nach wenig, machen aber in der Verkehrssicherheit einen großen Unterschied. Tempo 30 statt 50 halbiert den Anhalteweg, der die Summe von Reaktionsweg und Bremsweg ist, macht der VCÖ aufmerksam. Damit sinkt die Zahl und die Schwere der Unfälle. Das belegen auch die Erfahrungen der Städte, wo großflächig Tempo 30 eingeführt wurde. Eine heuer veröffentlichte Evaluierung für die französische Stadt Lille zeigt, dass in den zwei Jahren nach großflächiger Einführung von Tempo 30 im Jahr 2022, die Zahl der Verkehrsunfälle um ein Drittel abnahm, die Zahl der Unfälle mit Schwerverletzten und Todesopfern sogar um 39 Prozent.

Wie wichtig mehr Verkehrssicherheit im Ortsgebiet ist, belegt auch die Unfallstatistik. Im Vorjahr passierten in Österreich 64 Prozent der Straßenverkehrsunfälle im Ortsgebiet. Dabei wurden 27.178 Menschen verletzt, 95 Menschen kamen ums Leben, informiert der VCÖ.

Tempo 30 statt 50 bringt zusätzlich zu mehr Verkehrssicherheit weitere Vorteile. Straßen, wo 50 Kilometer pro Stunde gefahren werden darf, sind für die Anrainerinnen und Anrainer lauter. Tempo 30 statt 50 wirkt für das menschliche Ohr wie eine Halbierung der Verkehrsmenge. Das Überqueren von Tempo 50 - Straßen ist schwieriger, vor allem für ältere Menschen oder für Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Die Barrierewirkung der Straße ist bei Tempo 50 größer als bei Tempo 30.

„Straßen im Ortsgebiet sind nicht nur ein Verkehrsweg für den Kfz-Verkehr, entlang der Straßen wohnen auch viele Menschen. Und es sind im Ortsgebiet auch viele zu Fuß oder mit dem Fahrrad mobil. Auf die Gesundheit und Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner ist stärker Rücksicht zu nehmen“, erinnert VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky.

Der VCÖ hat im Vorjahr eine Initiative für eine leichtere Umsetzung von Tempo 30 gestartet, die vom Österreichischen Städtebund und österreichweit parteiübergreifend von mehr als 280 Gemeinden und Städten unterstützt wurde. Auf die Frage, warum die erleichterte Umsetzung von Tempo 30 wichtig ist, sagte beispielsweise Max Oberleitner, Bürgermeister von Schwertberg (OÖ): „Bislang sind unsere Bemühungen zur Geschwindigkeitsreduktion leider an den gesetzlichen Vorgaben gescheitert.“ Und Stefan Helmreich, Bürgermeister von Lieboch (Steiermark): „Wir wollen seit Jahren, dass es auf der B70 rund um Kindergarten, Musikschule und Volksschule ein 30er-Limit gibt. Bisher vergebens.“

Natascha Matousek, Bürgermeisterin von Oberwaltersdorf (NÖ): „Wir haben in Oberwaltersdorf einen wunderschönen Europaplatz mit Kirche, Europabrunnen, Kindergarten und Schulcampus. Direkt vorbei verläuft die B210. Lärm und Tempo schmälern leider den Wunsch zu verweilen. Ich sehe hier mit Tempo 30 eine eindeutige Verbesserung.“ René Schwaiger, Bürgermeister von Westendorf (Tirol): „Ganz besonders in ländlichen Gemeinden ist eine Reduktion des Geschwindigkeitslimits längst an der Zeit: Für mich steht hierbei die Verkehrssicherheit unserer Schulwege im Mittelpunkt. Auch wird dadurch der Dorfkern attraktiver und für Einheimische und Gäste zu einem ruhigeren Treffpunkt.“

Silvia Häusl-Benz, Bürgermeisterin von Pörtschach am Wörthersee (Kärnten): „Es geht darum, dass wir uns eine bessere Lebensqualität und Sicherheit in den Ort holen und eine verringerte Fahrgeschwindigkeit ist dabei ein wesentlicher Hebel.“ Michael Ritsch, Bürgermeister von Bregenz: „Neben dem Klimaschutz sprechen auch die Verkehrssicherheit im Stadtgebiet und die reduzierte Lärmbelästigung für Tempo 30.“ Florian Küng, Bürgermeister von Vandans (Vorarlberg): „Unser Dorfzentrum ist ein wichtiger Begegnungs- und Lebensraum für die lokale Bevölkerung. Durch die hohe Verkehrsgeschwindigkeit leidet die Aufenthaltsqualität und die öffentliche Nutzung als Treffpunkt. Mit Tempo 30 kann auch der Fuß- und Radverkehr gesteigert werden.“

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Menschengerechtes Verkehrssystem heißt: Tempo 30 innerorts zum Standard machen

Im Jahr 1992 war die Stadt Graz mit der Umsetzung von flächendeckendem Tempo 30 mit Ausnahme der Hauptstraßen internationale Vorreiterin. Zahlreiche Städte in Österreich, etwa Dornbirn, Leoben und Mödling sowie international, wie Grenoble, Helsinki, Lille, Zürich oder Barcelona sind dem Beispiel gefolgt. Zuletzt setzte Brüssel zu Beginn des Jahres 2021 Tempo 30 im verbauten Gebiet als Standard, Tempo 50 wurde zur beschilderten Ausnahme. Im Jahr 2020 wurde in den Niederlanden im Parlament beschlossen, flächendeckend Tempo 30 einführen zu wollen. Seit 11. Mai 2021 ist dies in Spanien als erstem EU-Staat Realität, landesweit gilt Tempo 30 im Ortsgebiet auf Straßen mit einer Kfz-Fahrbahn je Richtung, Tempo 20 auf Straßen mit nur einer Fahrbahn. In Österreich wird derzeit an einer Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) gearbeitet. Es lässt sich mit Hinblick auf die lokale Lebensqualität sowie Verkehrssicherheit kaum begründen, warum Österreich dem spanischen Beispiel nicht folgen sollte.

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Grafik: VCÖ 2021

Mobilitätsinfrastruktur neu denken und neu nutzen

Den unerwünschten Auswirkungen des Autoverkehrs ist durch Einzelmaßnahmen nicht beizukommen. Es braucht Paradigmenwechsel, wie generelles Tempo 30 innerorts. Oder integrale Ansätze in der Stadtplanung, in der Raumplanung, bei der Mobilität – wie es nicht nur in Amsterdam der Fall ist.

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