VCÖ: Verkehrssystem nimmt auf ältere Fußgängerinnen und Fußgänger viel zu wenig Rücksicht
VCÖ: Anteil des Gehens an der Mobilität bei älteren Menschen höher als bei jüngeren

VCÖ (Wien, 5. August 2025) – Mit dem demografischen Wandel ändern sich die Anforderungen an das Verkehrssystem. Diese gilt es bereits heute in der Verkehrsplanung zu berücksichtigen, betont die Mobilitätsorganisation VCÖ. Der Anteil der über 65-Jährigen wird in Österreich in den kommenden zehn Jahren von heute 20 auf 25 Prozent steigen. Die Zahl der über 85-Jährigen wird sich in den kommenden 20 Jahren von heute 230.000 auf 465.000 verdoppeln. Im Alter steigt die Bedeutung des zu Fuß gehens für die Mobilität stark an, informiert der VCÖ. Personen ab 65 Jahren legen mehr als ein Viertel der Wege zu Fuß zurück. Die aktuelle Mobilitätserhebung für Salzburg zeigt, dass dort über 85-Jährige im Schnitt vier von zehn ihrer Alltagswege zu Fuß gehen.
„Unser heutiges Verkehrssystem nimmt auf die Bedürfnisse älterer Menschen zu wenig Rücksicht und vielerorts auch auf Fußgängerinnen und Fußgänger insgesamt. Da das Gehen für ältere Menschen eine besonders wichtige Mobilitätsform ist, leiden sie unter dieser Ignoranz doppelt“, stellt VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky fest. Über 65-Jährige gehen im Schnitt täglich etwa 15 Minuten zu Fuß, fast 50 Prozent mehr als der Durchschnitt aller Altersgruppen. Eine Studie aus Deutschland zeigt: Ist kein Pkw verfügbar werden besonders viele Wege zu Fuß gegangen. In Österreich trifft das bei vier von zehn über 65-Jährigen zu. Mobil zu sein und zu bleiben ist für ältere Menschen zentral für die soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben, weist der VCÖ auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin.
Zudem hat die Mobilität zu Fuß vielfache positive Gesundheitswirkungen, insbesondere für ältere Menschen. Studien zeigen, dass schon 30 Minuten moderate tägliche Bewegung Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Krebs und Osteoporose vorbeugen. Eine umfassende Metastudie zeigt, dass besonders bei Personen ab 60 Jahren mit einer höheren täglichen Schrittanzahl die Wahrscheinlichkeit eines längeren Lebens steigt. Dabei wirken sich bereits weniger als 10.000 Schritte pro Tag positiv aus, schon bei rund 5.000 bis 8.000 Schritten kann eine starke positive Wirkung erreicht werden. Auch das Risiko für chronische Rückenschmerzen sinkt. Neben den körperlichen Vorteilen verbessert die Bewegung durch das Gehen Schlaf, Gedächtnis und kognitive Leistungen und reduziert zudem das Demenzrisiko.
Verkehrssicherheit für ältere Fußgängerinnen und Fußgänger erhöhen: Im Zeitraum 2021 bis 2024 verunglückten in Österreich 107 über 65-jährige Fußgängerinnen und Fußgänger bei Verkehrsunfällen tödlich, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt. Die tödlichen Unfälle passierten überwiegend im Ortsgebiet auf Straßen mit Tempolimit 50 . „Werden über 60-jährige Fußgängerinnen und Fußgänger mit 50 km/h von einem Auto angefahren, ist ihr Risiko tödlich verletzt zu werden doppelt so hoch wie von 15- bis 60-Jährigen. Bei einer Kollision mit 50 km/h liegt das Risiko tödlich verletzt zu werden für Fußgängerinnen und Fußgänger über 60 Jahre bei 70 Prozent, bei Tempo 30 sinkt es auf 30 Prozent. Temporeduktion ist eine wirksame Maßnahme zur Verringerung von Unfallschwere und Unfallrisiko. Tempo 30 statt 50 halbiert den Anhalteweg.
Seniorengerechtes Verkehrssystem umsetzen: Im Alter nehmen kognitive und körperliche Funktionseinbußen zu. Typische Einschränkungen sind verlängerte Reaktionszeiten, geringere Belastbarkeit, schnellere Ermüdung sowie eine Abnahme des Seh- und Hörvermögens. Entfernungen und Geschwindigkeiten anderer Verkehrsteilnehmender können schlechter eingeschätzt werden. „Die veränderten Anforderungen im Alter erfordern angepasste Infrastrukturen. Gehwege sollten mindestens zwei Meter breit, rutschfest und frei von Hindernissen sein, damit sie auch für Rollatoren gut geeignet sind“, erklärt VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky.
Verkehrsberuhigende Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen, Bodenschwellen für den Kfz-Verkehr und Zebrastreifen erhöhen die Sicherheit. Seit Juli 2024 können Städte und Gemeinden einfacher Tempo 30 in Bereichen mit besonderem Schutzbedarf einführen. Dazu zählen auch Senioren- und Pflegeeinrichtungen, erinnert der VCÖ.
Ein wichtiger Punkt sind seniorengerechte Schaltungen bei Fußgängerampeln. Das Geh-Tempo nimmt mit dem Alter ab. „Bei Fußgängerampeln wird üblicherweise eine Geschwindigkeit von 1,2 Metern pro Sekunde angenommen, was für ältere Personen oder Personen mit Rollatoren und anderen Gehhilfen Stress verursachen kann. Damit auch langsamere Personen die Straße in der vorgesehenen Zeit queren können, sollte die allgemeine Bemessungsgeschwindigkeit auf 0,8 Meter pro Sekunde reduziert werden“, stellt VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky fest.
Verbesserungsbedarf gibt es auch bei Bus-Haltestellen in den Regionen, die oft an Freilandstraßen liegen. Hier braucht es ein reduziertes Tempolimit für den Kfz-Verkehr sowie Mittelinseln, damit ältere Menschen, aber auch Kinder, die den Bus für den Schulweg nutzen, die Straße sicher überqueren können, fordert der VCÖ.
Auch der Klimawandel erfordert verstärkte Maßnahmen, um das Verkehrssystem seniorengerecht zu gestalten. Eine Zunahme der Hitzetage stellt für viele ältere Personen ein erhebliches Risiko dar. Gehsteige sollen daher nicht in der prallen Sonne liegen, sondern durch Bäume mehr Schatten bieten. Wichtig ist auch, dass es bei Warteflächen bei Fußgängerampeln Schatten gibt ebenso bei jeder Bus- und Straßenbahn-Haltestelle.