Eins fügt sich zum anderen

Im Bezirk Korneuburg holt ein Anruf-Sammeltaxi die Pendlerinnen und Pendler ab. In Bremen ist Carsharing Kristallisationspunkt für Mobilitätsvielfalt. In der Steiermark werden S-Bahn und E-Bike im Kombipack angeboten. Verschmelzen die Verkehrsmittel zu einer variantenreichen Gesamtmobilität?

>> Von Christian Höller

Schaue ich beim Schreiben dieses Artikels aus dem Fenster in die Einfamilienhaus-Straße einer Kleinstadt in Niederösterreich, zähle ich zwölf Autos, vor jedem Haus steht mindestens eines. Ein halbes Auto gehört zu unserem Vier-Personen-Haushalt – wir teilen eines mit unseren Nachbarn. Im Keller stehen sechs Fahrräder. In der Brieftasche steckt die Österreichcard der ÖBB. Der Bahnhof ist in Gehweite. Für die beiden fast erwachsenen Jugendlichen im Haus ist ihr Top-Jugendticket des Verkehrsverbund-Ost-Region eine Selbstverständlichkeit, St. Pölten und Wien gehören zu ihrem vertrauten Aktionsradius. Das Blickfeld vor dem Fenster beherrschen die Autos, die Mobilität der hier wohnenden Menschen ist längst diverser.

Mobilität wird zur Dienstleistung

„Der neu gestaltete Bahnhof Korneuburg in Niederösterreich“, sagt Michael Szeiler von Rosinak & Partner, nach einem guten Beispiel für gelungene Multimodalität gefragt. „Er ist nicht nur architektonisch ansprechend, sondern hat auch 500 überdachte Radabstellplätze in unmittelbarer Nähe zum Bahnsteig. Wenn dort werktags um sieben Uhr morgens 300 Fahrräder stehen, zeigt das, dass da etwas gelungen ist. Ein Busbahnhof gleich neben den Bahnsteigen, eine Kiss&Ride-Zone, eine Nextbike-Fahrradverleihstation und Park&Ride-Stellplätze runden das multimodale Verkehrsangebot ab. Seit April 2015 gibt es mit dem ISTmobil zusätzlich ein Anruf-Sammeltaxisystem, das alle Gemeinden des Bezirks an die Bahnhöfe anbindet und speziell auch Menschen anspricht, die zur Arbeit pendeln.“ ISTmobil, ein Pilotprojekt des Landes Niederösterreich in einer ländlichen Gegend, fährt fahrplan- und linienunabhängig und bezieht mit 800 Sammelhaltepunkten alle 17 Gemeinden des Bezirks Korneuburg sowie einige Bahnhöfe außerhalb ein. Es ist sieben Tage die Woche unterwegs, während der Woche von 6 bis 22 Uhr. Wer regelmäßig pendelt, kann werktags zwischen 6 und 9 Uhr eine fixe Route zum Bahnhof zum Verbundtarif von 2,20 Euro buchen. Solche Angebote schaffen auch in der Region Wahlmöglichkeiten und ersparen die Anschaffung eines Zweit- oder Drittautos.

Mobilität löst sich vom eigenen Auto und wird zur Dienstleistung. Zahlen der Statistik Austria bestätigen diesen Trend. Im Jahr 2013 gaben private Haushalte im Vergleich zum Jahr 2010 rund fünf Prozent weniger für den Kauf von Fahrzeugen aus, rund zwei Prozent weniger für Waren und Dienstleistungen rund ums Auto. Die Ausgaben für Verkehr insgesamt gingen um rund eineinhalb Prozent zurück. Doch die Ausgaben für Verkehrsdienstleistungen stiegen um mehr als vier Prozent.

Carsharing-Plätze als Mobilitätsknoten

Multimodalität lebt von funktionierenden Verknüpfungspunkten, die das Kombinieren einzelner Mobilitätsmöglichkeiten zu Wegeketten einfach machen. Das können Bahnhöfe und Haltestellen sein. Und auch Carsharing-Plätze. Carsharing entkoppelt Autonutzung vom Autobesitz. Verkehrsunternehmen wie ÖBB und Wiener Linien integrieren Carsharing in ihr Mobilitätsangebot und werten so ihre Busse und Züge auf.

Die Freie Hansestadt Bremen setzt auf „Mobil-Punkte“ als Kristallisationspunkte für Multimodalität. Das sind Carsharing-Plätze, die mit Halte-stelle und Radabstellanlagen kombiniert sind. Ergänzt werden die bereits zehn „mobil.punkte“ durch weitere „mobil.pünktchen“, kleinere Stationen mit zwei oder drei Carsharing-Fahrzeugen, die in Wohnquartieren eingerichtet werden. Rund 10.000 Personen nutzen in Bremen bereits Carsharing. „Wir haben gelernt, dass die Nachfrage nach Carsharing-Stationen zuerst in den Wohngebieten besteht. Hier müssen die am stärksten nachgefragten Fahrzeuge der Kompaktklasse stehen. Die eher unregelmäßig genutzten Fahrzeugarten wie Minibusse und Transporter sollten eher an zentralen, auch mit dem Öffentlichen Verkehr gut erreichbaren Stationen stehen. Zur guten Erreichbarkeit zählen vor allem auch Fahrradbügel an diesen Stationen“, erklärt Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität im Senat der Freien Hansestadt Bremen das Carsharing-Konzept der Stadt. Diese Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel als Basis für den individuellen Mobilitätsmix bewährt sich: über 2.200 private Pkw wurden bereits abgeschafft.

Information schafft Gesamtmobilitätssystem

Erleichtert wird solches Vernetzen durch immer genauere Informationen über Mobilitätsoptionen, die jederzeit etwa am Smart-phone verfügbar sind.  

Auch kombinierte Zahlsysteme erleichtern Integration und Verknüpfung von Verkehrsmitteln. Etwa wenn mit dem Bahnticket auch gleich das Ticket für den Stadtverkehr am Zielbahnhof mitgekauft werden kann. Oder wenn beim Projekt Ubi:Go im schwedischen Göteborg Öffentlicher Verkehr, Carsharing, Taxi, Mietwagen und Leihräder zu einer Mobilitätsdienstleistung verbunden werden, die monatlich abgerechnet wird.

Infrastruktur ergänzen und entlasten

Die Staus auf der Straße und volle Züge zur morgendlichen Verkehrsspitze zeigen, dass Infrastrukturen einzelner Verkehrsmittel an die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen. Hier schafft verkehrsmittelübergreifendes Ausschöpfen der spezifischen Vorzüge jedes Verkehrsmittels Ergänzung und Entlastung. Mit E-Bikes werden durchschnittlich neun Kilometer zurückgelegt, mehr als bei einem Großteil der Autofahrten. Sie erhöhen den Einzugsbereich von Bahnhöfen und Haltestellen und erschließen neue Mobilitätsmöglichkeiten.

Gute Radfahrinfrastruktur entlastet den Öffentlichen Verkehr auf kürzeren Strecken. Das ist etwa die systematische Öffnung von Einbahnen fürs Radfahren sowie gute Abstell-anlagen an Bahnhöfen und Haltestellen und die Möglichkeit der Radmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln und Taxis. In rund 600 Städten weltweit bewähren sich mittlerweile Leihradsysteme als Ergänzung zum Öffentlichen Verkehr. In Wien wurden die 1.500 Räder von Citybike im Jahr 2014 fast eine Million mal entlehnt. In Kopenhagen hat jedes Taxi einen Fahrrad-Träger.

Vernetzen schafft neue Mobilitätsmöglichkeiten.

 

>>Zum Autor:
Christian Höller, freier Journalist, Redaktion VCÖ-Magazin

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