Fachleute im Gespräch

"Das nächste große Ding werden technologiegestützte Plattformen sein"

Heinz Vögeli

#DenkfabrikMobilität; war bis August 2015 (35 Jahre lang) Geschäftsleitungsmitglied der Verkehrsbetriebe Zürich

VCÖ-Magazin: Was sind die strukturellen Knackpunkte, dass der Öffentliche Verkehr auch in Zukunft Mobilitätsplayer Nummer eins bleibt?

Vögeli: Um in einem disruptiven Umfeld erfolgreich zu bestehen, stimmen die Strukturen für die Unternehmungen des Öffentlichen Verkehrs nicht mehr. Sie sind von einer Kultur der Sicherheit geprägt, mit wenig Spielraum, kühne, vielleicht auch mit Risiken behaftete Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Die Aufmerksamkeit des Managements ist stark auf das operative Geschäft sowie die Wert-erhaltung der Anlagen konzentriert. Da bleibt wenig Zeit für Reflexion und das Gestalten von weitsich-tigen Zukunftsentwürfen. Ihre Mitbewerber, die neuen Wilden im Mobilitätsmarkt, haben Startvorteile: Klare Visio-nen, oft prallvolle Investitionskassen und hohe Gestaltungslust. Eine denkbar unvorteilhafte Situation für die traditionellen Unternehmen des Öffentlichen Verkehrs, auch in Zukunft Mobilitätsplayer Nummer eins zu bleiben.

VCÖ-Magazin: Schaffen die neuen Kommunikationstechnologien effizientere und ökologischere Mobilitätsformen?

Vögele: Auch wenn heute die selbstfahrenden Elektro-Autos einen medialen Hype produzieren, das nächste große Ding werden die technologiegestützten Plattformen sein. Stichworte On-Demand-Economy, Sharing Economy. Übers Smartphone bringen diese Plattformen Menschen, Mobilitätsangebote und Daten zusammen. Nicht mehr der Besitz, sondern der Zugang ist zentral. Damit werden Ressourcen effizienter genutzt und die Infrastruktur klüger ausgelastet. Für die Konsumentinnen und Konsumenten bewegen sich die Grenzkosten Richtung Null. Uber, Alibaba oder Airbnb machen uns vor, was auch ganzheitlich bei der Mobilität funktionieren könnte. Ich bin gespannt, von welcher Seite die erste global marktbeherrschende Plattform etabliert wird.

"Alle sollen ihren persönlichen Mobilitätsmix gestalten können"

Elena Just-Moczygemba

Holding Graz – Kommunale Dienstleistungen GmbH,
FEMtech-Expertin des Monats August 2016

VCÖ-Magazin: Die Graz Linien verstehen sich verstärkt als Mobilitätsanbieter und nicht bloß als Unternehmen des Öffentlichen Verkehrs. Was haben Sie konkret vor?

Just-Moczygemba: Die Grazer und Grazerinnen müssen keinen eigenen Pkw mehr besitzen, um all ihre Mobilitätsbedürfnisse abzudecken. Diese -Vision verwirklichen wir mit unserem Angebot „tim – täglich.intelligent.mobil“, gefördert durch das bmvit. Ziel ist es, dass alle individuell ihren persönlichen Mobilitätsmix gestalten können – ohne hohe Anschaffungs- oder laufende Erhaltungskosten. Um dies zu gewährleisten, werden ausgesuchte Haltestellen mit weiteren Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing elektrisch und fossil, einem Leihwagenangebot für längere Ausleihzeiten, Elektro-Taxi-Services, öffentliches Laden und Radabstellanlagen ausgestattet. Damit positio-nieren sich die Graz Linien vom reinen Anbieter des Öffentlichen Verkehrs hin zum umfassenden Mobilitätsdienstleister.

Barbara Muhr

Holding Graz, Vorstands-direktorin für Mobilität & Freizeit

VCÖ-Magazin: Was braucht es für einen erfolgreichen Wandel vom Verkehrsunternehmen zu einem Mobilitätsdienstleister?

Muhr: Das Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war mir immer sehr wichtig. Es ist auch die Voraussetzung, um ein derart innovatives Geschäftsfeld, wie es unser Angebot „tim – täglich.intelligent.mobil“ darstellt, zu verwirklichen. Zusätzlich braucht es die Mitwirkung starker Partnerinnen und Partner. Wir alle ziehen an einem Strang, denn es heißt umzudenken: Verkehr findet auf der Straße statt, Mobilität im Kopf.

"In Wien entfällt nur ein Prozent des ökologischen Fußabdrucks auf die Wiener Linien"

Markus Ossberger

Leiter der Stabstelle
Infrastruktur bei den Wiener Linien

VCÖ-Magazin: Welche Maßnahmen für mehr Ressourceneffizienz setzen die Wiener Linien?

Ossberger: Die Wiener Linien ermöglichen bereits 40 Prozent der Wege in Wien. Wir haben im Jahr 2014 den ökologischen Fußabdruck für die gesamten Wiener Linien und für mehrere Ausbauszenarien bis zum Jahr 2035 erstellt. Dabei hat sich gezeigt, dass wir jetzt bereits nur ein Prozent des ökologischen Fußabdrucks der Stadt Wien beanspruchen. Eine weitere Verbesserung ist möglich und unser Ziel.

VCÖ-Magazin: Welche erneuerbaren Energien setzen Sie ein? Und ist auch Recycling für die Wiener Linien ein Thema?

Ossberger: Bei der Energie setzen wir auf Geothermie im Bereich der U-Bahn und der Hauptwerkstätte, verwenden Erdwärmepumpen und Photovoltaik-anlagen. Recycling ist ein wichtiges Thema, unsere Fahrzeuge sind heute -bereits zu mehr als 90 Prozent recycelbar.

"Da weltweit immer mehr Menschen in Städten leben, gewinnen nachhaltige Verkehrslösungen an Bedeutung"

Hans Daxbeck

Gründer der Ressourcen Management Agentur (RMA) 

„Fläche ist vor allem in urbanen Regionen eine sehr kostbare, nicht erneuerbare Ressource, da sie praktisch nicht erweiterbar ist. Die Studie FESZ – Flächeneffizienz als Schlüssel zur Stadt der Zukunft hat gezeigt, dass der Öffentliche Verkehr gegenüber dem Pkw um ein Vielfaches effizienter ist. So nutzt beispielsweise die U-Bahn die Fläche 20-mal effizienter, die Straßenbahn ist etwa viermal effizienter. Die Notwendigkeit einer nachhaltigen Verkehrslösung gewinnt umso mehr an Bedeutung, wenn berücksichtigt wird, dass Städte weltweit mit wachsenden Einwohnerzahlen konfrontiert sind. 

Zurück zur Übersicht