Lukas kommt zum Studieren in eine fremde Stadt

Herzschlag und Körpertemperatur messen: Beim Projekt Urban Emotions wird sichtbar, wo sich Radfahrende gefährdet fühlen – hier am Beispiel von Boston.

Orientierung, Information, Mitsprache – via Smartphone jederzeit greifbar, eröffnen sich ständig
neue Möglichkeiten, das Leben einfach und gezielt klimaverträglicher zu gestalten.
Doch es gilt, auch Sackgassen in eine neue Unmündigkeit zu vermeiden.

>> Von Christian Höller

Nächste U-Bahn in 3 Minuten! Digitale Anzeigen an Haltestellen, wann das nächste Fahrzeug kommt, der Sekundenzähler bis zum nächsten Grün an der Ampel, die Echtzeit-Fahrplanauskunft am Smartphone – digitale Informationen, die Daten als Entscheidungsgrundlagen zugänglich machen, sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.

»Digitale Informationen, die Daten als Entscheidungsgrundlagen zugänglich machen, sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.«

Öffentliche Erreichbarkeit statt Kilometer messen
Nina und Paula wollen sich in einem Café treffen, das für beide binnen 15 Minuten öffentlich erreichbar ist.
Der zutreffende Bereich wird auf dem Stadtplan am Smartphone angezeigt, inklusive möglicher Cafés. Die Stadt nach Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu vermessen – das ist die Grundidee von „Mapnificent“, das Stefan Wehrmeyer aus Bonn entwickelt hat. Mapnificent integriert alle Routen des Öffentlichen Verkehrs, Haltestellen sowie Fahrzeiten. Anderes Beispiel: Lukas kommt zum Studieren in eine fremde Stadt und sucht eine Wohnung. Mapnificent zeigt ihm, aus welchen Bereichen der Stadt seine Uni binnen einer halben Stunde öffentlich erreichbar ist und die daher als Gegend für die gesuchte Wohnung besonders attraktiv wären. Mittlerweile sind auf Mapnificent knapp 100 Städte weltweit entsprechend abfragbar – in Österreich bisher nur Wien.

Einen Ausflug machen wollen, ohne Idee wohin? Aber Baden, Bootfahren oder doch Museum wäre schön? In Berlin und Brandenburg hat www. naturtrip.org binnen Sekunden Vorschläge parat.

Den eigenen Standort und „Wellness in maximal 40 Minuten“ eingeben und auf der digitalen Landkarte werden genau die passenden Ausflugsziele angezeigt, die jetzt gerade in der gewünschten Zeit klimaverträglich mit Zug, S-Bahn, Straßenbahn, Bus oder Fahrrad zu erreichen sind. „Anders als bei Routinewegen im Alltag, sind die Menschen bei Ausflügen flexibler bei der Wahl des Verkehrsmittels und lassen auch gern mal das Auto stehen“, ist Hermann Weiß von naturtrip.org überzeugt.

Warum nur in Berlin und Brandenburg? „Wir sind gerade in Gesprächen mit mehreren Destinationen und Verkehrsverbünden in Österreich und Deutschland, die unseren naturtrip-Ausflugsplaner auf ihren Internetseiten einbauen wollen. Damit möglichst viele Urlaubsgäste auch ohne Auto anreisen“, zeigt sich Hemann Weiß hoffnungsfroh, mit dem Auskunftstool bald auch anderswo ins Geschäft zu kommen.

Selbst aktiv Straßen und Plätze mitgestalten
Smartphone-App oder Computer können kurze und direkte Kommunikationswege schaffen. Das Klima- Bündnis Deutschland macht sich das für die Meldeplattform RADar! zunutze. „Die RADar!-App ist ein Bürgerbeteiligungsinstrument für bessere Radfahrinfrastruktur“, präzisiert André Muno vom Klima-Bündnis. „Ein Schlagloch oder Glasscherben am Radweg gefährden die Reifen, dort eine gefährliche Kreuzung. Via GPS wurde auf dem elektronischen Stadtplan an der Problemstelle ein Pin gesetzt, der Grund der Beschwerde eingetippt und per Klick abgeschickt. Binnen weniger Sekunden wird aus dem Ärgernis ein dem Zuständigen vorliegender Verbesserungsvorschlag. Und sobald der Missstand bearbeitet wird, wird das automatisch rückgemeldet.“

Die App ist kostenlos, die Software für Kommunen gegen eine geringe Gebühr erhältlich. Rund 200 Kommunen und Landkreise in Deutschland nutzen das Tool bereits. Ähnlich arbeitet die Kampagne „PING if you care“, die Bike Citizens zusammen mit Mobiel 21 Ende Mai 2017 in Brüssel lanciert hat. Wird beim Radfahren eine Gefahrensituation wahrgenommen, wird per PING-Button am Fahrradlenker die GPS-Position und ein Kommentar abgeschickt. Die gesammelten Daten helfen der Stadtverwaltung bei der Verbesserung der Fahrradinfrastruktur.

 

Wie die Umgebung unser Verhalten beeinflusst
Der bekannte dänische Architekt und Städteplaner Jan Gehl fand heraus, dass Menschen vor langweiligen Fassaden schneller gehen und seltener anhalten als bei abwechslungsreicher Gestaltung. Die neuen Technologien helfen Forschenden, genauer zu verstehen, wie unsere Umgebungen unsere Gefühle und unser Verhalten beeinflussen, schreibt Colin Ellard, kanadischer Neurowissenschaftler und Experimentalpsychologe in seinem Buch „Psychogeografie“. Wissenschaftler wie er machen Reaktionen auf unsere Umgebung transparent, indem sie etwa Veränderungen der Hautleitfähigkeit, Augenbewegungen und Herzfrequenz vor Ort in der Stadtumgebung messen.

Diese Daten können zur Gestaltung einer menschengerechteren Umwelt genutzt werden – aber, was nicht übersehen werden darf, auch zur Optimierung der kommerziellen Nutzbarkeit des öffentlichen Raums. Messen, wo sich Radfahrende wohlfühlen Auch beim interdisziplinären Projekt Urban Emotions, für das Bernd Resch von der Universität Salzburg kürzlich beim VCÖ-Mobilitätspreis ausgezeichnet wurde, wird über am Körper getragene Sensoren Herzschlag und Körpertemperatur Fahrradfahrender gemessen. Erlebt die radfahrende Person eine Gefahrensituation, wird dies durch die Messung der Körperemotion sichtbar. Umgekehrt wird auch sichtbar, wo sich beispielsweise Radfahrende oder Gehende wohlfühlen. Diese Ergebnisse fließen dann in die konkrete Mobilitätsplanung ein. Auch Apps werden eingesetzt. Das Projekt wurde bereits in Kaiserslautern und in Boston umgesetzt. „Die Möglichkeiten der Digitalisierung erleichtern es, Menschen auf einer viel breiteren Ebene in Stadtplanungsprozesse einzubinden, Planende und Fachleute ebenso wie Politik und Stadtverwaltung und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen“, ist Reinhard König, Experte für nachhaltige Stadt- und Raumplanung am AIT, überzeugt. „Digitalisierung schafft neue Entwurfs- und Kommunikationsmittel, Planungsvarianten können virtuell viel anschaulicher durchgespielt werden. Beispielsweise können Menschen über Apps bewerten und Vorschläge machen. Damit werden Türen geöffnet, denn generativen Algorithmen ist es egal, ob Anforderungen von Laien kommen oder von planenden Fachleuten“, sagt König.

Doch es müsse bewusst bleiben, dass Computer per se nicht eine bessere, sondern nur eine andere Art von Planung ermöglichen. Trivial sei das nicht. Denn es ist darauf zu achten, dass nicht Ungleichheit, etwa zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, digital einzementiert wird. Auch kulturelle Zusammenhänge müssen berücksichtigt werden. So würde etwa in Singapur oder Äthiopien, wo König bereits mit computerbasierter Stadtplanung gearbeitet hat, oft Anderes als gut oder schlecht bewertet als in Europa.

>> Linkliste:
www.mapnificent.net
www.naturtrip.org
www.radar-online.net
www.bikecitizens.net

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