Transformation

Beate Littig Soziologin und Leiterin der Forschungsgruppe sozialökologische Transformationsforschung am IHS Institut für höhere Studien in Wien www.ihs.ac.at

»Um Routinen zu verändern, bedarf es niederschwelliger Gelegenheitsstrukturen und Anreize, Neues auszuprobieren.«

Um eine sozial-ökologische Transformation der Mobilitätspraktiken in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben, ist es notwendig, an vielen Stellschrauben gleichzeitig zu drehen. So braucht der Öffentliche Verkehr eine deutlich attraktivere Infrastruktur, was Angebot, Taktung oder Erreichbarkeit betrifft. Die Aufklärung über die sozialen und ökologischen Vorteile von Radfahren und Gehen – und über die Nachteile des Autoverkehrs – muss verbessert werden. Sowohl der Einsatz von Sanktionen für klimaschädliches Mobilitätsverhalten, wie Verteuerung des Autoverkehrs, des Parkens, als auch Belohnungen für die Nutzung umweltverträglicherer Alternativen, wie günstige öffentliche Verkehrsmittel, sind ebenso nötig wie ein positives Feedback über die Effekte dieses Verhaltens, wie CO2-Einsparungen oder Kalorienverbrauch durch Radfahren. Mobilitätspraktiken sind in der Regel routinierte Verhaltensweisen. Um Routinen zu verändern, bedarf es niederschwelliger Gelegenheitsstrukturen und Anreize, Neues auszuprobieren. Deshalb ist es die Aufgabe von Politik, nicht nur umwelt- und sozialverträgliche Rahmenbedingungen zu schaffen, sondern auch großflächige eventhafte Experimente zu ermöglichen, etwa autofreie Sonntage im Zentrum der Städte oder autofreie Zonen über mehrere Wochen. Appelle an den guten Willen oder die Vernunft allein sind keinesfalls ausreichend.

»Neue verbindende und ökologisch verträgliche Mobilitätslösungen für Nachbarschaften und Stadtteile schaffen.«

„Das selbstbestimmte Leben vieler älterer Menschen wird immer mehr durch unterschiedliche Ambient Assisted Living-Lösungen begleitet. Auch im Mobilitätsbereich ist diese Form der Unterstützung relevant, um im Alter möglichst lange am öffentlichen Leben teilhaben und erfüllt leben zu können. Im Projekt AALmobi Cargo etwa setzen wir gedanklich bei älteren Menschen an. Schwere Einkäufe zu tragen, zum richtigen Zeitpunkt eine Lieferung entgegenzunehmen oder einen kurzen Transportweg ohne Auto zu organisieren, betrifft auch viele andere Menschen. Deshalb arbeiten wir in diesem partizipativen F&E-Projekt an einem Plattform-Modell, wie mit einem Share-Economy- und Crowdlogistik-Ansatz neue verbindende und ökologisch verträgliche Mobilitätslösungen für Nachbarschaften und Stadtteile ins Spiel kommen können. In Gesprächen mit den beteiligten Alltagsexpertinnen und Alltagsexperten in unseren Testumgebungen wird immer wieder deutlich: Im Wohnumfeld ist das Vertrauen zu den Nachbarinnen und Nachbarn jenes wesentliche Kapital, das kluge Investitionen in die zukünftigen – dekarbonisierten – Verhältnisse erlaubt.“

Felix Ekardt Soziologe und Philosoph, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Professor an der Uni Rostock.

»Wandel gelingt nur im Wechselspiel der Agierenden, die wechselseitig voneinander abhängen.«

VCÖ-Magazin: Was braucht es, um eine Transformation in Richtung einer dekarbonisierten Gesellschaft zu schaffen, um uns von fossilen Treibstoffen unabhängig zu machen?

Felix Ekardt: Die 1,5- bis 1,8-Grad-Grenze zur Erhaltung der Klimastabilität im Paris-Abkommen verlangt, dass wir in 10 bis 20 Jahren global Nullemissionen bei Strom, Wärme, Mobilität, Kunststoffen und Dünger schaffen. Also auch null fossile Brennstoffe. Davon sind wir in Europa meilenweit entfernt. Zu oft stehen bei Bürgerinnen und Bürgern, in der Politik und bei Unternehmen Eigennutzenkalküle, Pfadabhängigkeiten, eingefahrene Normalitätsvorstellungen oder Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung im Wege. Wandel gelingt wie immer nur im Wechselspiel der verschiedenen Agierenden, die wechselseitig voneinander abhängen. Wissen und Werte allein reichen nicht – die davon am meisten haben, haben oft den größten ökologischen Fußabdruck. 

VCÖ-Magazin: Was braucht es, damit gefährliche Entwicklungen wie das Instabil-Werden des Klimas oder Tote durch Ultra-Feinstaub ähnliche Aufmerksamkeit gewinnen wie terroristische Aktivitäten? 

Felix Ekardt: Steigen wir aus der fossilen Energie aus, wird nicht nur der Klimawandel adressiert. Es werden damit auch weitere negative Auswirkungen wie Biodiversitätsverluste, Bodendegradation oder Feinstaub – und seine Folgen wie Krebs – stark eingebremst. Ohne fossile Kraftstoffe und unseren Hunger nach Öl wird auch der Frieden im Nahen Osten wahrscheinlicher, weil unsere ölhungerbasierte Förderung diverser Diktaturen terroristischen Aktivitäten immer neue Unterstützung bringt.

Michael Staudinger Direktor ZAMG Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik

»Verkehr hat ein deutlich größeres und kostengünstigeres Optimierungspotenzial als andere Sektoren.«

VCÖ-Magazin: Wie kann die Politik dazugebracht werden, ein langfristiges Thema wie die Erhaltung eines stabilen Klimas ernstzunehmen und darauf hinzuarbeiten? 

Michael Staudinger: Politik ist heute oft durch Probleme getrieben, die sehr kurzfristig gelöst werden sollen. Probleme, die sich nur langsam aufbauen, dafür umso schwerwiegendere Konsequenzen etwa für spätere Generationen haben, werden da oft in der medialen Aufmerksamkeit in den Hintergrund gedrängt. Der Zivilgesellschaft kommt hier für die Bewusstseinsbildung eine wichtige Rolle zu. Als Konsumentinnen und Konsumenten sind wir „Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger“ bei Tausenden von Entscheidungen im Laufe eines Jahres. Als Partner der Politik in Einzelgesprächen, durch die Arbeit der NGOs und durch mediale Aktivitäten kann die Politik durchaus dazu gebracht werden, Rahmenbedingungen für Wirtschaft, Planung und Konsumentinnen und Konsumenten zu setzen. 

VCÖ-Magazin: Welche Folgen wird ein instabil werdendes Klima für Österreich haben? 

Michael Staudinger: Mehr Hitzetage bis 40 Grad und dadurch mehr Hitzetote, mehr extreme Niederschläge und kleinräumige Überschwemmungen, längere Dürreperioden, Probleme für Wald und Landwirtschaft. 

VCÖ-Magazin: Welche Rolle spielt der Verkehr dabei? 

Michael Staudinger: Der Verkehr trägt fast ein Drittel zu den Treibhausgas-Emissionen in Österreich bei und hat ein deutlich größeres und kostengünstigeres Optimierungspotenzial als andere Sektoren.

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