VCÖ-Fachkonferenz: Umfangreiche Steuervorteile für Flugverkehr sind in der Klimakrise kontraproduktiv
Steuerausnahmen beseitigen, Umweltschäden verursachergerecht verrechnen
Wien (17. März 2021) – Die Covid-19 Pandemie hat zu einem starken Rückgang des Flugverkehrs geführt. Welche Maßnahmen braucht es für einen nachhaltigen Neustart des Flugverkehrs nach der Coronakrise? Diese Frage wurde bei der heutigen online VCÖ-Fachkonferenz diskutiert. Dass trotz seiner großen Klimaschädlichkeit der Flugverkehr seit Jahrzehnten zahlreiche Steuerbegünstigungen genießt, ist angesichts der sich verschärfenden Klimakrise rasch zu ändern, betonten Expertinnen und Experten.
Vor der Covid-19 Pandemie wurde der Flugverkehr in der EU durch Steuerbefreiungen mit mehr als 70 Milliarden Euro pro Jahr indirekt subventioniert, weist der VCÖ auf eine Studie im Auftrag der EU-Kommission hin. „Der Flugverkehr genießt umfangreiche steuerliche Vorteile, die in Europa besonders ausgeprägt sind. Angesichts der wenig wirksamen existierenden CO2-Bepreisungsmechanismen besteht Raum für eine stärkere Besteuerung des Flugverkehrs. Diese sollte die Beseitigung der geltenden Steuerausnahmen und die stärkere Nutzung von Steuern auf den Flugverkehr umfassen", erklärte WIFO-Expertin Margit Schratzenstaller bei der VCÖ-Fachkonferenz, die in Zusammenarbeit mit der Rechtsanwältin Dr. Susanne Heger veranstaltet wurde.
Für internationale Flüge gilt laut EU-Mehrwertsteuer-Richtlinie der Nullsteuersatz, der den Flugtreibstoff Kerosin, Flugtickets und die Beschaffung von Flugzeugen betrifft. Seit dem Jahr 1944 (Chicagoer Abkommen) ist Kerosin für internationale Flüge von der Treibstoffsteuer ausgenommen. Zwar kann seit der Energiesteuerrichtlinie aus dem Jahr 2003 Kerosin in der EU in grenzüberschreitenden Flügen im Rahmen bilateraler Verträge und im Inlandflugverkehr besteuert werden. Aber erstere Möglichkeit nützt niemand, die Zweitere nur die Niederlande. In Österreich sind zudem die Flughafenflächen von der Grundsteuer ausgenommen, informiert die WIFO-Ökonomin.
Der Verkehrswissenschafter Günter Emberger von der TU Wien mahnte ein, dass „Studien, die auf Annahmen beruhen, welche die tatsächlich vom Flugverkehr verursachten Kosten nicht umfassend beinhalten und keine Alternativen berücksichtigen, als politische Entscheidungsgrundlage kritisch zu hinterfragen sind“. Die Bedeutung des Flugverkehrs für Arbeitsplätze und für den Wirtschaftsstandort werde überschätzt, die Klimaschädlichkeit hingegen unterschätzt.
Überschätzt wird auch die Anzahl der Personen, die Flugreisen machen. Schon vor Covid-19 war in Österreich die Anzahl der 18- bis 69-Jährigen, die gar nicht fliegen mit 39 Prozent doppelt so hoch wie die Anzahl jener, die mehrmals im Jahr und damit viel geflogen sind, macht der VCÖ aufmerksam. „Um die Erderhitzung bremsen zu können, ist der Flugverkehr nach Covid-19 auf ein ökologisch verträgliches Maß zu begrenzen. Kurzstreckenflüge sind verstärkt auf die Bahn zu verlagern, Videokonferenzen können einen Teil der internationalen Geschäftsreisen ersetzen. Steuerbefreiungen für den Flugverkehr sind rasch abzuschaffen“, stellte VCÖ-Expertin Ulla Rasmussen fest.
Für die Bewältigung der Klimakrise ist zudem ein beschleunigter Ausstieg aus fossilem Kerosin zentral, so Jekaterina Boening von "Transport & Environment", dem europäischen Dachverband des VCÖ. „Der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen sowie perspektivisch von grünem Wasserstoff in Brennstoffzellen-Flugzeugen ist zentral für eine effektive CO2-Minderung im Luftverkehr. Erst wenn die Klimaeffekte von fossilem Kerosin mit eingepreist werden, kann uns dieser technologische Wandel gelingen“. Die Expertin sprach sich für die Einführung einer Kerosinsteuer, einer Reform des europäischen Emissionshandels sowie einer EU-weiten Verpflichtung zur Nutzung klimaneutraler Kraftstoffe aus.
„Wir haben in den letzten 20 Jahren in der Luftfahrt die Entwicklung einer Hypermobilität erlebt. Sie wurde von der Politik stark gefördert. Mitten in diesem Hype hat ein Virus den Reset Knopf gedrückt. Der Neustart der Luftfahrt muss nachhaltig, das heißt klimagerecht und sozial verträglich sein“, betonte die Rechtsanwältin Susanne Heger, die im Verfahren zur 3. Piste am Flughafen Wien Bürgerinitiativen vertreten hat.
Dass eine massive Zunahme des Flugverkehrs nach Covid-19 sowohl für den Klimaschutz, als auch für Gesundheit der Bevölkerung negative Folgen hätte, daran erinnerte Prof. Dr. Thomas Münzel von der Universitätsmedizin Mainz: „Fluglärm ist ein anerkannter Herzkreislaufrisikofaktor, der langfristig Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, aber auch psychische Erkrankungen wie Depression und Angststörungen sowie bei Kindern kognitive Entwicklungsstörungen hervorruft. Die durch Fluglärm ausgelösten gesundheitlichen Nebenwirkungen werden durch Feinstaub bis hin zu Ultrafeinstaub weiter verstärkt.“