VCÖ-Factsheet: Mobilität und Wohnen gemeinsam planen
Wie Menschen wohnen und welche Infrastrukturen sie im Wohnumfeld vorfinden, bestimmt, wie viel Kosten und Energie für ihre täglichen Wege anfallen. Gemeinden und Unternehmen können im Wohnbau Maßnahmen für nachhaltige Mobilität umsetzen.
VCÖ-Factsheet 2015-09 als PDF (745,0 KiB)
Ein Niedrigenergiehaus in einer ländlichen Region hat einen über 60 Prozent höheren Primärenergieverbrauch als in zentraler Lage. Kommt ein Haushalt ohne eigenes Auto aus, sinkt der Energieverbrauch für Wohnen und Mobilität um ein Drittel bis die Hälfte. Ein vierköpfiger Haushalt ohne Auto hat um rund 80 Prozent geringere Wohn- und Mobilitätskosten, als wenn zwei Autos nötig sind.
Die Zahl der autofreien Ein-Personen-Haushalte wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Im Wohnbau werden qualitätsvolle Freiflächen, Anschluss an Öffentlichen Verkehr, Radfahr-Infrastruktur und ergänzende Mobilitätsangebote wichtiger.
Vom Energie- zum Verkehrsparhaus
Die Weiterentwicklung vom Energiesparhaus zum„Verkehrsparhaus“ sichert Mobilität bei möglichst wenig Verkehrsaufwand. Der Wohnbau ermöglicht dabei für jeden Weg das passende Mobilitätsangebot ohne Zwang zum eigenen Auto. Stadt- und Raumplanung sorgen für kurze Wege und ein dichtes Angebot an Öffentlichem Verkehr.
Immer noch wird in Österreich laufend neues Bauland gewidmet, obwohl ein Überhang vorhanden ist. Raumordnung und Wohnbauförderung sind auf flächensparende Innenentwicklung auszurichten, die Bauordnungen zu reformieren.
Flächenverbrauch und Bevölkerungsdichte beeinflussen stark den Aufwand für Mobilität in einer Stadt oder Region. In dicht besiedelten Gebieten verwenden etwa 30 Prozent der Menschen für tägliche Fahrten öffentliche Verkehrsmittel, in niedrig besiedelten Gebieten nur 6 Prozent, während 85 Prozent täglich oder mehrmals wöchentlich das Auto nutzen. In dicht besiedelten Gebieten sind es nur 61 Prozent. Im ländlichen Raum sind die täglichen Wegstrecken von Erwerbstätigen, die in Streusiedlungen leben, im Durchschnitt um mindestens 20 Prozent länger als im Ortskern Wohnenden.
Ein neu errichtetes Niedrigenergiehaus in einer ländlichen Region hat verglichen mit einem ähnlichen Bauwerk in zentraler Lage allein durch das standortinduzierte Mobilitätsverhalten einen über 60 Prozent höheren Primärenergieverbrauch als die Wege jener, die im Ortskern wohnen.
Raumordnung und Wohnbau bestimmen, wie wir mobil sind
Der Flächenverbrauch pro Wohnfläche beträgt bei Streusiedlungen etwa das Zehnfache des mehrgeschoßigen Wohnbaus.
Nutzungsmischung und verdichtete Bauformen können auch in ländlichen Regionen gute Bedingungen für das Radfahren und Gehen schaffen. Ab einer Bevölkerungsdichte von 40 Personen pro Hektar sind für die Alltagswege Gehen, Radfahren und Öffentlicher Verkehr wichtiger als der Autoverkehr. Ab einer Dichte von 80 Personen pro Hektar ist das Gehen die wichtigste Fortbewegungsart.
Kompakte Siedlungen reduzieren Verkehr
Während die Bevölkerungszahl vom Jahr 2001 bis 2014 um sechs Prozent gewachsen ist, stieg der Flächenverbrauch um 13 Prozent. Für Bau- und Verkehrsflächen wurden im Jahr 2014 pro Tag 7,4 Hektar verbraucht– dreimal mehr als das Ziel der Österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie. Der Zuwachs der innerörtlichen Brachflächen wird in Österreich auf rund drei Hektar pro Tag geschätzt. Für mehr Effizienz in der Flächennutzung ist ungenutztes Bauland abzubauen und die Mobilisierung der erforderlichen Baulandflächen in geordneter Bebauung von „innen nach außen“ voranzutreiben.
Verkehrsparhaus und Mobilitätssanierung umsetzen
In jedem Neubauprojekt ist verkehrsparende Mobilität von Beginn an mitzuplanen und ein kontinuierliches Mobilitätsmanagement umzusetzen. Dazu gilt es, ergänzend zum Öffentlichen Verkehr eine breite Palette an multimodalen, individualisierten Mobilitätsangeboten wie Carsharing, E-Leihräder, Transporträder oder Mitfahrgelegenheiten direkt vor der Haustür zur Verfügung zu stellen.
Im Bestand braucht es eine Mobilitätssanierung durch Verbesserung der Radfahr-Infrastruktur, Carsharing und Aufwertung des Wohnumfeldes. Auf Ebene der Stadt- und Raumplanung ist dafür Sorge zu tragen, dass kompakte Siedlungen mit Nutzungsmischung vorherrschen.
Mobilität ohne Zwang zum Auto anbieten
Günstigen Wohnraum zu schaffen wird immer herausfordernder. Eine gute Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Anbindung an das Radwegenetz sowie gezielte Maßnahmen im Wohnbau fördern die Wahlfreiheit und helfen, hohe Fixkosten für den eigenen Pkw zu sparen.
Haushalte mit vier Personen und zwei Pkw geben durchschnittlich 1.860 Euro im Monat für Wohnen und Mobilität aus, davon entfällt rund die Hälfte auf Kfz-Kosten. In gleich großen Haushalten ohne Pkw betragen die Gesamtkosten nur 1.010 Euro.
Leistbarer Wohnbau durch nachhaltige Mobilität
Bei den Wohnbaukosten können rund 15.000 Euro pro Tiefgaragenplatz eingespart werden, wenn die Zahl der verpflichtend zu errichtenden Stellplätze durch die Gemeinde reduziert wird. Der Anteil einer Tiefgarage an den Gesamtkosten für eine durchschnittliche Wohnung beträgt etwa 11 Prozent.
Bereits eine Vorschreibung von 1,75 Pkw-Stellplätzen statt einem pro Wohnung bewirkt eine um zehn Prozent höhere Miete.
Autoreduziertes Wohnen wird immer populärer
Im „Wohnprojekt Wien“ auf dem Nordbahnhofgelände verringerte die gemeinschaftliche Nutzung von Pkw Kosten und Flächenverbrauch für das Parken. Einsparungen von rund einer halben Million Euro wurden etwa in attraktive Freiflächen und Gemeinschaftseinrichtungen investiert.
Beim Wohnprojekt Gaswerkgasse in Salzburg wurden statt 1,2 Pkw-Stellplätze pro Wohnung nur 0,5 errichtet. Pro Wohnung wird ein Öffi-Ticket für drei Jahre zur Verfügung gestellt.
Das Projekt „Kalkbreite“ in Zürich hat für jede der 97 Wohneinheiten nur 0,08 Pkw-Stellplätze, dafür 300 ebenerdige Fahrrad-Abstellplätze. Dank der eingesparten Kosten gibt es Service-s wie einen E-Rad-Verleih und einen ganztags besetzten Empfang.
Wohnbauförderung und Bauordnung anpassen
Um den Anforderungen einer zukunftsfähigen Mobilität beim Wohnen gerecht zu werden, ist in Österreich eine Reform der Wohnbauförderungen überfällig. Bei Berechnung der Förderhöhe sind klimarelevante Energieeffizienzfaktoren und ökologische Mindestkriterien mittlerweile Standard.
Raumplanerische und verkehrsrelevante Kriterien fehlen jedoch meist oder sind nur gering gewichtet. Standortwahl, verdichtete Bauweise und ergänzende Mobilitätsangebote müssen Vorrang haben. Bei Wohnprojekten ist die Mindestanforderung ein Fahrrad-Abstellplatz pro 40 Quadratmeter Wohnnutzfläche bei Einfamilienhaus-Neubau und -Sanierung oder pro 50 Quadratmeter bei Mehrfamilienhaus-Neubau oder pro 75 Quadratmeter Wohnnutzfläche bei Mehrfamilienhaus-Sanierung – überdacht, absperrbar und einfach zugänglich.
Wohnbau nach Stadt der Zukunft ausrichten
In Österreich waren im Jahr 2014 rund 37 Prozent aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte, bis zum Jahr 2030 soll ihre Zahl um 17 Prozent auf 1,6 Millionen steigen. Entsprechend wächst der Bedarf an Wohnraum, vor allem an kleineren Wohnungen – und sinkt der Bedarf am„Familienauto“. Statt teurer Pkw-Stellplätze gilt es im Wohnbau, Mobilität durch Öffentlichen Verkehr, Carsharing und eine gute Radinfrastruktur sicherzustellen. Besonders am Stadtrand sind ergänzende Mobilitätsangebote gefragt, die die Lücke zwischen Wohnungstür und Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs schließen beziehungsweise das private Angebot ergänzen.
Nachhaltige Mobilität schafft Lebensqualität
Das Bevölkerungswachstum in der Stadt und der Trend zu weniger Pkw in den Haushalten schaffen die Grundlage für ein nachhaltiges Verkehrssystem.
Damit Städte und Gemeinden auch in Zukunft noch lebenswert sind, ist es wichtig, das Bevölkerungswachstum mit Investitionen in nachhaltige Mobilität zu begleiten.
Hohe Aufenthaltsqualität im Straßenraum, großzügiger Platz zum Gehen und Radfahren laden ein, Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen. Frei- und Grünräume haben eine wichtige soziale, ökologische und klimatische Funktion in der Wohnumgebung. Durch die Attraktivierung des Verweilens, Gehens und Radfahrens kann die Aufenthaltsqualität für alle Nutzenden gesteigert und die Lärm- und Abgasbelastung im Wohnumfeld reduziert werden.
VCÖ-Empfehlungen
Verkehrsparende Raumordnung umsetzen
• Flächenkonkurrenz zwischen Gemeinden vermeiden: Konsequente Anwendung der bestehenden Vorgaben und effizientere Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde
• Innen- vor Außenentwicklung vermeidet Verkehr: Wiedernutzung bereits erschlossener Brachflächen in Ortskernen, Einsatz von Bebauungsplänen (Nutzung, Bauweise, Stellplatzreduktion) und aktives Bodenmanagement durch Gemeinden
• Mobilität in die Wohnbauförderung integrieren: Lage, dichte Bauweise und Erschließung mit Öffentlichem Verkehr als hoch gewichtete Förderkriterien
• Mobilitätssanierung im Wohnumfeld einleiten: Investitionen und Flächenverteilung zugunsten von Gehen, Radfahren und Öffentlichem Verkehr. Niedrige Geschwindigkeiten im motorisierten Verkehr, Rückbau von Parkplätzen
Mobilität im Wohnbau mitplanen
• Kontinuierliches Mobilitätsmanagement im Wohnbau, Förderung von Carsharing-Angeboten, gut sichtbare Stellplätze für Sharing-Fahrzeuge im öffentlichen Raum
• Zwang zur Pkw-Stellplatz-Errichtung verteuert das Wohnen und verursacht mehr Autoverkehr. Trennung des Wohn- und Parkplatz-Marktes, Sammelgaragen statt Hausstellplätze
• Abschaffung der Pkw-Stellplatzverpflichtung, Obergrenzen für die Anzahl der Stellplätze in den -Bauordnungen abhängig von der Erreichbarkeit zu Fuß, per Rad und im Öffentlichen Verkehr
• Verankerung einer Mindestzahl und Qualität von Fahrrad-Abstellplätzen in allen Bauordnungen
Mag. Markus Gansterer, VCÖ-Verkehrspolitik:
„Zukunftsfähige Mobilität im Wohnumfeld kann Kosten sparen und Aufenthaltsqualität wie Wohnzufriedenheit steigern. Das ist vor allem angesichts wachsender Städte eine wesentliche Aufgabe.“
Die VCÖ-Publikation -„Wohnbau, Wohnumfeld und Mobilität“ macht deutlich, wie eng Wohnen und Mobilität zusammenhängen und zeigt, wie Verkehr und Kosten vermieden werden können. Die Publikation kann hier bzw. unter (01) 893 26 97 um 30 Euro bestellt werden.
Quelle: VCÖ, „Wohnbau, Wohnumfeld und Mobilität“, Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“, Wien 2015