Lebensereignisse beeinflussen das Mobilitätsverhalten

Das Mobilitätsverhalten ändert sich meist bei Lebensumbrüchen. Mit der Geburt des ersten Kindes steigt oft die Autonutzung, im Alter kommt es mitunter zum Rückzug und zu weniger Mobilität. Frühe Mobilitätsbildung beeinflusst die Einstellungen zu den Verkehrsmitteln.

Es wird die Verkehrsmittelwahl werktags für Schul- und Ausbildungswege in verschiedenen Landeshauptstädten Österreichs dargestellt. Der Anteil des Gehens ist in Bregenz am höchsten und in Graz am niedrigsten, am meisten Radgefahren wird in Salzburg.
Der Weg zur Schule oder zum Ausbildungsort ist eine gute Gelegenheit, Bewegung in den Alltag zu integrieren. In Bregenz und in der Stadt Salzburg wird das schon oft gemacht.

Unser Mobilitätsverhalten ist meist stabil. Neben der vorhandenen Infrastruktur beeinflussen es Bedürfnisse und Erfahrungen. Bereits in der Kindheit und Jugend wird der Grundstein persönlicher Einstellung zu den verschiedenen Arten der Fortbewegung angelegt. Eltern sind dabei die ersten Vorbilder, aber auch andere Erwachsene, insbesondere über Mobilitätsbildung in der Schule, können hier wirken.62 Veränderungen in der Mobilität gehen oft mit Umbrüchen im Leben einher. Biographische Schlüsselerlebnisse verändern das Verhalten: Nach einem Umzug ist neue Infrastruktur verfügbar, nach der Geburt eines Kindes werden die täglichen Wege komplexer.26 Neben diesen individuellen Schlüsselereignissen spielt das fortschreitende Alter eine große Rolle bei der Verkehrsmittelwahl. Kinder bis 14 und Personen über 65 Jahre sind am häufigsten zu Fuß unterwegs. Legen Kinder noch 26 Prozent ihrer Wege zu Fuß zurück, sind es bei Jugendlichen ab 15 Jahren nur noch zwölf Prozent. Erst bei den über 65-Jährigen steigt der Fußweganteil wieder auf 26 Prozent. Bei Kindern und über 65-Jährigen ist zudem mit zehn beziehungsweise acht Prozent aller Wege der Radfahr-Anteil höher als bei anderen Altersgruppen. Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 19 Jahren nutzen mit Abstand am häufisten den Öffentlichen Verkehr. Sie legen zwischen 30 und 40 Prozent aller Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Den größten Anteil an Pkw-Fahrten – selbstlenkend und mitfahrend – weisen mit rund 68 Prozent die 35- bis 54-Jährigen auf.31

Jugendliche brauchen mehr Bewegung

Sechs bis 14-Jährige legen 35 Prozent ihrer Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück, der Spitzenwert bei der bewegungsaktiven Mobilität unter allen Altersgruppen. Weitere 30 Prozent der Wege legen sechs bis 14-Jährige mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Auf 34 Prozent ihrer Alltagswege fahren sie im Auto mit. Bei Jugendlichen von 15 bis 19 Jahren sinkt der Anteil der bewegungsaktiven Mobilität auf 17 Prozent. Mit rund 40 Prozent legen die 15- bis 19-Jährigen bereits doppelt so viele Wege im Auto sitzend zurück als sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad mobil sind. Bewegungsmangel ist bei Jugendlichen ein zunehmendes Problem. Eine Verkehrsplanung, die Gehen und Radfahren forciert, würde es auch Jugendlichen erleichtern, sich regelmäßig zu bewegen.54 Der abnehmende Anteil an Fuß- und Radwegen in der Verkehrsmittelwahl hat negative gesundheitliche Konsequenzen. Verglichen mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO bewegen sich in Österreich 71 Prozent der Buben und rund 85 Prozent der Mädchen zu wenig.27 Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2018 bewegen sich nur 22 Prozent der elf- bis 13-jährigen Schülerinnen und Schüler täglich mindestens wie von der WHO empfohlen eine Stunde. Mit zunehmendem Alter nimmt das Aktivitätslevel weiter ab, bei den 15- bis 17-Jährigen sind es unter zehn Prozent. In beiden Altersstufen sind dabei weniger Mädchen als Burschen körperlich aktiv.22 Die Folgen des Bewegungsmangels reichen von Übergewicht über mangelnde körperliche Fitness und Haltungsschäden bis zu geringerer geistiger Leistungsfähigkeit. Spätfolgen im Erwachsenenalter sind der frühere Beginn von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rückenleiden.35

Junge sehen Angebote für aktive und nachhaltige Mobilität positiv

Unabhängig von den Eltern unterwegs sein zu können, ist für Jugendliche sehr wichtig. Angebote für aktive und nachhaltige Mobilität werden von ihnen positiv gesehen und auch genutzt. Unterwegs sein soll für sie leistbar sein. Jugendliche legen Wert auf einen sauberen öffentlichen Raum und begrüßen es, sich auf die Einhaltung der Verkehrsregeln verlassen zu können. Sie schätzen Orte, an denen sie ausreichend Platz zum Hinsetzen, Erholen und Ausruhen finden. Welche Verkehrsmittel im Jugendalter bevorzugt werden, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Verfügbarkeit des Verkehrsmittels, Erreichbarkeit, Kosten-Nutzen-Abwägung, Sicherheit, Verlässlichkeit des Verkehrsmittels, Wissen und Erfahrung bezüglich Nutzung, Selbstwirksamkeit und Einstellung, sowie die Wertschätzung, die mit dem Verkehrsmittel verbunden ist. Pünktlichkeit ist der wichtigste Aspekt bei der Bewertung des Öffentlichen Verkehrs. In öffentlichen Verkehrsmitteln spielen zudem die Freundlichkeit des Personals, in erster Linie ein Umgang auf Augenhöhe, sowie Sauberkeit und der Wunsch nach kostenlosem WLAN eine wichtige Rolle. Vor allem das Gefühl als Verkehrsteilnehmende nicht respektiert zu werden – etwa wenn ihnen der Vorrang am Zebrastreifen verwehrt wird oder sie in öffentlichen Verkehrsmitteln beiseitegeschoben werden – bereitet Unbehagen und beeinflusst das Verhältnis zu einer Fortbewegungsart negativ.25 Besonders in Städten ist das Thema Sicherheit, beispielsweise Angst vor unangenehmen Begegnungen mit anderen Personen, präsenter als am Land. Unter Kindern in der Stadt sind neben der Sicherheit – etwa Angst vor unbekannten Personen, älteren Jugendlichen und Mobbern – besonders Umstiege und überfüllte Verkehrsmittel ein Thema.

#gemmason: Jugendliche gestalten Mobilität

Unter dem Namen #gemmason wurde in Osttirol ein Jugendbeteiligungsprozess zur Zukunft des Bezirks gestartet. Es zeigte sich, dass Mobilität ein zentrales Thema bei Jugendlichen ist. Daraufhin wurden in der „gemmasonchallenge“ Vorschläge gesammelt, wie die zukünftige Mobilität für Jugendliche aussehen kann. In einem Mobilitätsmonat konnten sie einen Monat lang die unterschiedlichen Mobilitätsarten in der Region testen. Manche entdeckten dadurch den E-Scooter als geeignetes Verkehrsmittel für die erste und letzte Meile zur Bushaltestelle und können so eigenständiger mobil sein. Über einen Fragebogen wurden die Hürden und Lücken der unterschiedlichen Mobilitätsformen erhoben. Die Jugendlichen erfahren damit, dass ihre Stimme gehört wird und sie Zukunft mitgestalten können.

Frühe Mobilitätsbildung legt den Grundstein

Die primäre Verkehrssozialisation erfahren Kinder meist von den Eltern. Wenn Kinder älter werden und selbständig unterwegs sein können, erfahren sie eine zweite Verkehrssozialisation auf Basis eigener Erfahrungen zu Fuß, mit dem Rad und dem Öffentlichen Verkehr.62 Pädagoginnen und Pädagogen stellen eine wichtige Zielgruppe dar, die es als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu erreichen gilt. Sie können Mobilität in Bildungs- und Freizeiteinrichtungen verstärkt zum Thema machen und Mobilitätsbildung den Kindern zielgruppengerecht näherbringen. Die Initiative „klimaaktiv mobil“ des Klimaministeriums unterstützt dabei Schulen und Kindergärten und stellt Unterrichtsmaterial für alle Altersgruppen bereit. So wurden bis zum Jahr 2022 mehr als 500 Bildungseinrichtungen in ganz Österreich erreicht.40 Das in diesem Rahmen angebotene Mobilitätsmanagement-Programm zeigte sich in einer Evaluierung höchst effektiv. Im Schuljahr 2020/21 wurden dadurch 700.000 Pkw-Kilometer auf andere Mobilitätsformen verlagert und 50 Prozent der teilnehmenden Schulen und Kindergärten setzten Maßnahmen zur Verbesserung der Mobilität rund um die Bildungseinrichtung – etwa indem sie Fahrrad-Abstellplätze schufen oder Schulbeginn und Schulende mit den Fahrplänen des Öffentlichen Verkehrs abstimmten.30 Aber auch außerschulische Kinder - und Jugendeinrichtungen fördern klimaverträgliche Mobilität. So beraten ausgebildete Jugendmobil Coaches gefördert von klimaaktiv mobil Gemeinden, Städte und Regionen wie Jugendliche bei der Umsetzung von Verkehrsmaßnahmen vor Ort einbezogen werden können. Im Jugendzentrum ECHO in Graz eröffnete zum Beispiel eine Fahr-
radwerkstatt als freizeitpädagogisches Angebot. Jugendliche haben die Möglichkeit technisches Wissen zu erwerben, Fahrradreparaturen durch-
zuführen und setzen sich auch gleichzeitig mit vielfältigen Aspekten des Klimaschutzes auseinander, wie Recycling, Upcycling, klimaneutrale Fortbewegung mit dem Fahrrad.  Solche Maßnahmen binden Kinder und Jugendliche aktiv in einen Partizipations- und Gestaltungsprozess ein und fördern das Bewusstsein für klimafreundliche Mobilität.53

App Soulmate hilft älteren Menschen selbständig mobil zu sein

Älteren Menschen selbständige Mobilität ermöglichen ist das Ziel der App „Soulmate“. Der digitale Begleiter am Smartphone hilft älteren Menschen sicher am Ziel anzukommen, auch wenn die Orientierung vielleicht schwerfällt. Die App wurde speziell für und mit älteren Menschen entwickelt. Sie bietet Routenplanung fürs Gehen, Radfahren und den Öffentlichen Verkehr und gibt Bescheid, wenn die geplante Route verlassen wird. Es können unter anderem Rastmöglichkeiten, öffentliche Toiletten oder Taxis angezeigt werden. Wird Hilfe gebraucht, können über den integrierten SOS-Button ausgewählte Kontakte per Videotelefonie verständigt werden. Diese sehen dann den Aufenthaltsort und die geplante Route und können rasch helfen.

Schlüsselereignisse können das Mobilitätsverhalten verändern

Durch relevante Schlüsselerlebnisse ändern sich oft Anforderungen, Bedingungen und Bedürfnisse und damit einhergehend wandelt sich häufig auch das Mobilitätsverhalten.26 Diese Ereignisse umfassen in den meisten Fällen: Haushalts- und Familienbiografie, Bildungs- und Erwerbsbiografie oder Wohnbiografie.61 Eine britische Haushaltsbefragung zeigte, dass das Eingehen einer Beziehung, der Erwerb des Führerscheins oder der (Wieder)Eintritt ins Erwerbsleben zu mehr Autonutzung führen. Lebensereignisse, die zu weniger Wegen mit dem Auto führen, sind der Verlust des Partners oder der Partnerin sowie Arbeitslosigkeit. Ein Wechsel des Arbeits- oder Wohnorts sowie die Geburt eines Kindes kann sowohl mehr als auch weniger Autonutzung auslösen.12 Ein zentrales Schlüsselereignis, das oftmals mit der Anschaffung eines (weiteren) Pkw einhergeht, ist die Geburt des ersten Kindes.60 Solche Schlüsselereignisse lassen sich nutzen, um eingefahrenes Mobilitätsverhalten zu verändern. Entscheidend dafür sind die Vorbereitungsphase sowie eine kurze Periode nach der Veränderung. Eltern und insbesondere (angehende) Mütter sind etwa während der Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt besonders offen für Informationen zu einem gesunden und nachhaltigen Lebensstil.59 Teilnehmende eines Projekts, bei dem sie in persönlichen Umbruchsphasen zur Nutzung von Alternativen zum Auto motiviert wurden, legten nach dem Schlüsselereignis monatlich um vier Prozent mehr Fußwege zurück als davor. In einer unbeeinflussten Kontrollgruppe sank hingegen der Anteil der Fußwege um fünf Prozent.78

Der Anteil der Personen in Österreich, die eine bestimmte Mobilitätsform häufig nutzen, wird für verschiedene Altersgruppen dargestellt. Dazu wird auf Lebensereignisse wie den Führerscheinerwerb hingewiesen, die das Mobilitätsverhalten beeinflussen.
Je nach Lebenssituation haben Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Das zeigt sich auch in der Wahl der Mobilitätsform.

Attraktive Infrastruktur für Gehen im Alter besonders wichtig

Ältere Menschen  – laut Weltgesundheitsorganisation WHO Personen ab 60 Jahren – stellen eine sehr inhomogene Gruppe dar. In Bezug auf Mobilität lassen sich im Wesentlichen zwei Typen unterscheiden: Mobile ältere Menschen, die aktiv und bewusst den öffentlichen Raum nutzen und immobile ältere Menschen, die sich in den privaten Raum zurückziehen.57 Untersuchungen zeigen, dass mit zunehmendem Alter die Anzahl der Wege abnimmt.6 Mit einer Verringerung der Aktivitäten reduziert sich auch der Aktionsradius auf bis zu unter einen Kilometer um den Wohnort. Ob und mit welchen Verkehrsmitteln ältere Menschen unterwegs sind, hängt insbesondere von den Rahmenbedingungen ab, die sie vorfinden.2 Gehen wird mit zunehmendem Alter immer wichtiger, alle anderen Verkehrsarten nehmen kleinere Anteile an der Mobilität ein. Eine barrierefreie, attraktive Gehinfrastruktur ist daher besonders wichtig, um älteren Menschen eine selbständige Mobilität zu ermöglichen.31 Lebenswerter öffentlicher Raum für ältere Menschen berücksichtigt altersbedingte Veränderungen: nachlassende Sehkraft, erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Blendung, schlechteres Richtungshören, verminderte Beweglichkeit und Gelenkigkeit oder reduzierte Gehgeschwindigkeit.56 Neben den genannten Beeinträchtigungen steigt mit zunehmendem Alter auch das Risiko von weiteren einschränkenden Erkrankungen wie Demenz betroffen zu sein. Eine barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Raumes gewinnt daher zunehmend an Bedeutung.2

Aktive Mobilität von Jung bis Alt ermöglichen

  • Ansprüche von Kindern und Jugendlichen an Mobilität in der Planung von Mobilitätsangeboten berücksichtigen und Mobilitätsbildung etablieren.

  • Schlüsselereignisse und Lebensumbrüche nutzen, um Mobilitätsverhalten zu ändern und zielgerichtet über nachhaltige Mobilität zu informieren.

  • Attraktive und sichere Infrastruktur für Gehen und Radfahren schafft die Voraussetzung für nachhaltige und gesunde Mobilität für Jung und Alt.