Gesunde Städte durch gesunde Mobilität

Der Kfz-Verkehr ist in Städten noch immer ein zentraler Verursacher gesundheitsschädlicher Schadstoffe wie Stickoxide und auch Feinstaub-Partikel, die beim Auspuff sowie aus dem Abrieb aus Reifen und Fahrbahn als Mikroplastikpartikel in die Luft gelangen. Darüber hinaus führt auch dauerhafter Verkehrslärm zu Gesundheitsschäden. Zusätzlich führt der Kfz-Verkehr durch Verkehrsunfälle zu Verletzten und Todesfällen. In der Vergangenheit wurden dadurch in den Städten viele Fußgängerinnen und Fußgänger schwer oder gar tödlich verletzt. Und nicht zuletzt führen das dichte Straßennetz und die großen Parkplatzflächen an heißen Tagen, die durch die Klimakrise zunehmen werden, zu gesundheitsgefährdendem Hitzestau.

Die VCÖ-Publikation „Gesunde Städte durch gesunde Mobilität“ bespricht neben diesen negativen Effekten auch, welchen Beitrag Mobilität zur Gesundheitsförderung leisten kann: Durch bewegungsaktive Mobilität wie Gehen und Radfahren wird die Gesundheit gestärkt. Aktive Mobilität vermeidet gesundheitsschädliche Emissionen, kann als regelmäßige Bewegung gut in den Alltag integriert werden und stärkt unter anderem das Herz-Kreislauf-System. Kompakt gebaute, grüne und nutzungsgemischte Stadtteile eignen sich besonders gut für Fuß- und Radwege. Durch die E-Mobilität werden sowohl Schadstoff- als auch Lärm-Emissionen verringert. Kombiniert man dies mit niedrigen Geschwindigkeiten wie zum Beispiel flächendeckend Tempo 30 statt 50 verbessert das die Gesundheit der Stadtbevölkerung.

In vielen Städten Europas und Österreich zeigen Beispiele, wie die Mobilitätswende nicht nur die Klimakrise, sondern auch die Gesundheit im Blick hat: Die Healthy Streets in London, die Superblocks in Barcelona, flächendeckendes Tempo-30 in Brüssel sind nur ein paar Good-Practice-Beispiele, die in dieser VCÖ-Publikation vorgestellt werden.

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Vorwort
Ulla Rasmussen, VCÖ-Geschäftsführung: "Gesunde Mobilität in gesunden Städten ist möglich und es ist nicht zu viel verlangt!"

Ist es zu viel verlangt, nicht durch das Wohnumfeld krank zu werden? Weder von Kleinstpartikeln, die über die Luft bis in die Blutbahnen dringen, noch vom Lärm, der Nachtruhe und Konzentration stört. Ist es zu viel verlangt, dass auch ältere oder gesundheitlich angeschlagene Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner an heißen Tagen am Leben draußen teilhaben können? Ist es zu viel verlangt, dass wir unsere Kinder den selbstständigen Schulweg zutrauen können, ohne um ihre Sicherheit zu bangen?

Städte sind von der Erderhitzung stark betroffen und müssen viel für Anpassung an Hitzetage, an Tropennächten und an Starkregen tun. Gleichzeitig muss sich auch der Mobilitätssektor von fossilen Energieträgern lösen. Die gute Nachricht ist, dass es sich meist um Win-Win-Situationen handelt. Stadtbäume beispielsweise filtern nicht nur die Luft und sorgen für erträglichere Sommertemperaturen, sondern sie machen auch den öffentlichen Raum fürs Gehen und Radfahren attraktiver. Das wiederum ist nicht nur gut für die eigene Gesundheit, sondern verringert auch Abgase und Lärm.

Niedrigere Tempolimits in den Städten ermöglichen es auch ansprechender zu Fuß, mit dem Rad oder multimodal mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Erfahrungen zeigen, dass Verkehrsberuhigung auch für die Wirtschaft gut ist. Es ist durch eine Umverteilung des öffentlichen Raums in der Stadt viel für die Menschen zu gewinnen. Weniger Abstellflächen für Pkw, mehr Platz für Bäume und Bänke und dadurch mehr Bewegung und ein erträglicheres Stadtklima.

Städte sind Orte, wo sich viele Menschen, Wege und Meinungen kreuzen, es wimmelt und wuselt und das ist gut so. Dies ist möglich, ohne durch Luftverschmutzung oder Lärm zu erkranken. Es ist machbar, dass Kinder selbstständig zur Schule gehen können und dass ältere Menschen auch im Sommer uneingeschränkt draußen im öffentlichen Raum sein können. Gesunde Mobilität in gesunden Städten ist möglich und es ist nicht zu viel verlangt!


 

Urbane Mobilität ist ein wichtiger Gesundheitsfaktor

Kompakte Stadtstrukturen ermöglichen kurze Wege, die bewegungsaktiv zurückgelegt werden können. Städte verstärken durch versiegelte Verkehrsflächen und viel Kfz-Verkehr gesundheitsgefährdende Effekte wie urbane Hitze, Lärmbelastung und Abgase. Städte müssen in Zukunft gesünder und klimaverträglicher gestaltet werden.

Gesundheit und Mobilität sind eng miteinander verknüpft. Einerseits fördert bewegungsaktive Mobilität wie Gehen, Radfahren und Rollern die Gesundheit. Regelmäßige Bewegung reduziert beispielsweise das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 20 Prozent.147 Andererseits gefährdet der Kfz-Verkehr unsere Gesundheit. Abgase aus Verbrennungsmotoren zählen zu den Hauptverursachern von Luftschadstoffen wie Stickoxide oder Feinstaub, der zusätzlich auch unabhängig vom Antrieb bei allen Fahrzeugen durch Reifenabrieb entsteht. Der hohe Versiegelungsgrad durch Straßen und Pkw-Abstellplätze resultiert im Sommer in Hitzeinseln. Zudem sind Kraftfahrzeuge für Lärm und Verkehrsunfälle verantwortlich, verbunden mit einem hohen Risiko für schwere Verletzungen und Todesfälle.

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Gesunde Mobilität ist in Österreichs Gesundheitszielen verankert

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte schon im Jahr 1998 in ihren Gesundheitszielen die Förderung bewegungsaktiver Mobilität für ein gesundes Leben und als Prävention nicht-übertragbarer Krankheiten. Zudem werden auch Präventionsmaßnahmen gegen Verkehrsunfälle sowie Umweltsteuern als für die Gesundheitsförderung relevant genannt.200 Im Jahr 2012 wurden in Österreich bundesweite Gesundheitsziele beschlossenen, die sich auf die WHO-Ziele beziehen und bis zum Jahr 2032 der Politik als Handlungsrahmen dienen sollen.41 Drei der zehn Gesundheitsziele Österreichs haben unmittelbar mit Mobilität zu tun: Ziel 1 „Gemeinsam gesundheitsförderliche Lebens- und Arbeitsbedingungen schaffen“, Ziel 4 „Luft, Wasser und Boden und alle Lebensräume für künftige Generationen sichern“ und Ziel 8 „Gesunde und sichere Bewegung im Alltag fördern“. Letzteres bezieht sich direkt auf die Förderung aktiver Mobilität wie Gehen, Rad- oder Rollerfahren. Zudem inkludieren die Gesundheitsziele Messgrößen, die mit den Klimazielen Hand in Hand gehen, beispielsweise die Reduktion von lokalen Treibhausgasen, die durch den Verkehrssektor entstehen.38

Luftschadstoffe als Herausforderung in Städten

Die verkehrsbedingte Luftbelastung in Großstädten ist aufgrund der Bevölkerungsdichte sowie hoher Bebauungsdichten besonders kritisch. Luftschadstoffe führen zur Beeinträchtigung der Atemwege, der Lungenfunktion und des Herz-Kreislauf-Systems.143 Fast die Hälfte der in Österreich anfallenden Stickstoffoxide werden vom Kfz-Verkehr verursacht.184 Vor allem an den Hauptverkehrsadern großer Städte wie Wien, Graz, Linz, Salzburg oder Innsbruck, aber auch in Städten wie Hallein oder Feldkirch, werden die Grenzwerte des Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) für Stickstoffdioxid mit einem Jahresmittel von 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Durchschnitt überschritten. Dabei ist dieser in Österreich gesetzlich festgeschriebene Grenzwert deutlich toleranter als die Richtwerte der WHO, die im Jahr 2021 auf den Stand aktueller umweltmedizinischer Forschung reagiert hat und Stickoxide bereits ab 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als gesundheitsgefährdend einstuft.179 In Wien allein könnten jährlich 576 vorzeitige Todesfälle vermieden werden, wenn die WHO-Grenzwerte für Stickoxide eingehalten würden. Damit befindet sich Wien im schlechtesten Drittel von 856 untersuchten Städten Europas mit über 100.000 Einwohnenden.18

Feinstaub ist besonders gesundheitsschädlich

Vor allem Feinstaub mit sehr kleiner Partikelgröße PM2,5 ist besonders gesundheitsgefährdend. Aufgrund der geringen Größe bleibt er länger in der Atmosphäre und ist für die Lunge besonders schädlich, da die Partikel tiefer in die Atemwege eindringen können.178 Ultrafeinstaub mit 0,1 Mikrogramm Körnung ist sogar noch gefährlicher und kann über die Blutbahnen auch ins Gehirn gelangen. Die WHO hat den Jahres-Richtwert für PM2,5 im Jahr 2021 von zehn auf fünf Mikrogramm pro Kubikmeter reduziert. Auch der WHO-Jahresmittelwert für die etwas gröbere Körnung von Feinstaub PM10 wurde von 20 auf 15 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft herabgesetzt.179 Bei Standard-Messungen ist derzeit Feinstaub PM2,5 die kleinste Körnung. Die großen Städte in Österreich hielten im Jahr 2019 mit Emissionen zwischen neun und 13 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel zwar den Grenzwert der EU und Österreichs von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter ein, überschritten den WHO-Richtwert jedoch deutlich. Im Jahr 2020 in dem aufgrund der Covid-19-Pandemie die Verkehrsbelastung zurückging, lagen die PM2,5 Jahresmittelwerte bei rund 10 Mikrogramm pro Kubikmeter.181 Dies schlägt sich in den gesellschaftlichen Folgekosten der Luftverschmutzung durch Verkehrsemissionen nieder: Ein Kilo Feinstaub PM2,5 verursacht im EU-Durchschnitt in einer ländlichen Region einen Schaden von 70 Euro, in einer Stadt mit 500.000 Menschen dagegen rund 120 Euro und in einer Metropole mit über 500.000 Menschen sogar rund 380 Euro.62

Staubemission Mikroplastik aus Reifenabrieb

Im Kfz-Verkehr entstehen durch den Abrieb von Reifen, aus Bremsvorgängen und durch Straßenoberflächen aus Asphalt (Bitumen) Staubpartikel aus Mikroplastik, die in die Luft, in den Boden und das Oberflächenwasser gelangen. In einer im Jahr 2021 veröffentlichten Studie wurden erstmals alle Kfz-Klassen inklusive Transitverkehr im Hinblick auf Mikroplastik-Emissionen untersucht.136 Demnach stammten im Jahr 2018 in Österreich etwa 21.000 Tonnen Mikroplastik-Partikel nur aus dem Reifenabrieb, sechs Prozent davon als Feinstaub. Etwa 1.200 Tonnen des Reifenabriebs gelangten in die Luft. Gemeinsam mit dem Abrieb aus Bremsvorgängen und Straßenoberflächen waren es insgesamt sogar 3.600 Tonnen Mikroplastik-Emissionen in der Luft aus dem Verkehr, was etwa neun Prozent der Staubpartikel, die in Österreich in die Luft gelangen, entspricht. 57 Prozent dieser Staubemissionen gingen auf Lkw-Transporte zurück, 41 Prozent stammen aus dem Pkw-Verkehr und zwei Prozent von Bussen. Da Mikroplastik-Partikel im Verkehr aus Abrieben und nicht aus Verbrennungsvorgängen stammen, wird durch den Umstieg auf Pkw und Lkw mit Elektro-Antrieb kein Effekt erzielt.

Luftverunreinigung, Hitze und Lärm potenzieren Gesundheitsrisiken in Städten

Menschen in Ballungsräumen sind durch Luftschadstoffe ständiger Gesundheitsbelastung ausgesetzt. Auch die Verkehrsinfrastruktur in Städten und der daraus resultierende hohe Versiegelungsgrad mit im Sommer hoher Abstrahlungswärme und urbanen Hitzeeffekten wirkt sich gesundheitsbelastend aus. In Wien hat sich die Anzahl der Hitzetage mit über 30 Grad Celsius seit dem Jahr 1961 auf über 20 Tage pro Jahr mehr als verdoppelt. Die zunehmende Hitze belastet das Herz-Kreislauf-System und verstärkt die schädlichen Effekte von Luftschadstoffen.132 133 In Städten ist auch Lärm ein wichtiger gesundheitsbelastender Faktor, der maßgeblich durch den Verkehr verursacht wird. Lärm kann unter anderem zu Schlaf- und Konzentrationsstörungen führen. Neben der mentalen Gesundheit verursacht die chronische Belastung mit Lärm auch physische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Typ 2 Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.35 Rund ein Drittel der Bevölkerung Österreichs war im Jahr 2019 in ihrer Wohnung von Lärm betroffen, bei 40 Prozent davon war Kfz-Verkehr die Hauptlärmquelle.168

Gesunde Städte sind klimafitte Städte

Den städtischen Verkehr auf Gesundheit auszurichten, schützt auch die Umwelt, denn gesundheitsbelastende Luftschadstoffe und Treibhausgas-Emissionen werden vor allem von Verbrennungsmotoren verursacht. Werden mehr Wege bewegungsaktiv zurückgelegt, geht der Pkw-Verkehr zurück und damit auch Abgase und Emissionen. Autofreie Tage können einen Rückgang von Stickstoffdioxid von über 20 Prozent bewirken.117 Wenn es Städte schaffen, die lokalen Werte für Feinstaub, Stickstoffdioxid oder bodennahes Ozon zu reduzieren, stärken sie kurzfristig die Gesundheit ihrer Bevölkerung. Langfristig betrachtet werden auch Treibhausgase reduziert, die sich auf das globale Klima auswirken.78

Auch kompakte Bauweisen ermöglichen ausreichende Nutzungsmischungen mit flächendeckend verteilten, kleinräumigen, und damit gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbaren, sozialen Infrastrukturen. In kompakten Siedlungsstrukturen können auch Öffentlicher Verkehr und Sharing-Angebote viel effizienter multimodal mit aktiver Mobilität integriert werden.41 Multimodale Mobilitätsknoten schaffen zudem Aufenthaltsorte für Begegnung und soziale Aktivität.92

Die Aufteilung des öffentlichen und privaten Raums hat Auswirkung auf die Weglängen, die zurückgelegt werden, um Alltagsbedürfnisse zu decken. Kompakte Raumstrukturen bieten dabei Potenzial für bewegungsaktive Mobilität.23 Tatsächlich sind viele Wege bereits jetzt schon kurz. In Wien ist rund ein Drittel der Autofahrten kürzer als fünf Kilometer, im Schnitt der Städte Graz, Linz, Innsbruck, Klagenfurt und Salzburg sind sogar fast die Hälfte der Autofahrten kürzer als fünf Kilometer.28 Insgesamt werden im Schnitt rund 40 Prozent aller Wege in den Großstädten Österreichs nach wie vor mit dem Auto zurückgelegt.28 Österreichweit sind 40 Prozent der Autofahrten kürzer als fünf Kilometer – eine mit dem Fahrrad bewältigbare Distanz – jede zehnte Autofahrt ist in fußläufiger Distanz.28

Bewegungsaktive Mobilität kommt der Gesundheit, dem Klima wie auch der Lebensqualität in den Städten zugute und hat auch infrastrukturelle Vorteile. Gehen, Radfahren und Rollern benötigen weniger Platz als der Pkw-Verkehr. Durch Redimensionierung und Rückbau von Straßen für den Kfz-Verkehr können freiwerdende Flächen entsiegelt und begrünt werden. Das wirkt der Hitzeentwicklung in der Stadt entgegen und steigert die Lebensqualität der Menschen.142

Gesundheitsziele in den Städten umsetzen

Um die Gesundheitsziele in Österreich optimal umzusetzen, hat sich im Jahr 1992 das Netzwerk „Gesunde Städte“ gegründet. Es umfasst aktuell 21 Städte. So hat beispielsweise die Stadt Linz im Jahr 2012 zehn Gesundheitsziele mit einem besonderen Augenmerk auf Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen beschlossen. Wien hat sich im Jahr 2015 Gesundheitsziele für die Stadt bis zum Jahr 2025 gesetzt, die Bewegung durch aktive Mobilität inkludieren.80 Auch die Stadt Salzburg setzt auf aktive Mobilität als Gesundheitsmaßnahme, sowohl im betrieblichen Gesundheitsmanagement als auch durch den Ausbau des städtischen Radwegenetzes.157, 116

Urbane Mobilitätspläne als EU-Standard

Auf EU-Ebene gibt es für große Städte seit dem Jahr 2005 die Strategie auf Basis evaluierbarer Qualitätskriterien „nachhaltige urbane Mobilitätspläne“ auszuarbeiten. Diese werden von Städten als individuelle Positionspapiere entwickelt, um als Leitlinie für die Verkehrsplanung Mobilität klimaverträglicher und menschenorientierter zu gestalten. Nachhaltige urbane Mobilitätspläne werden von den Städten freiwillig erstellt. Es ist jedoch für Städte in der Europäischen Union immer wichtiger mit einem derartigen Mobilitätsplan ausgestattet zu sein, da die EU diesen immer öfter als Voraussetzung für finanzielle Förderungen, für die Teilnahme an gewissen Ausschreibungen oder für die Aufnahme von Städten als Knotenpunkt im hochrangigen transeuropäischen Verkehrsnetz handhabt.164 In Österreich haben Wien, Graz, Salzburg, Klagenfurt, Schwechat und Perchtoldsdorf einen nachhaltigen urbanen Mobilitätsplan erstellt, in Europa sind es bereits mehr als tausend Städte.132

Städte am Weg zur gesunden Mobilität

Paris soll zu einer „15-Minuten-Stadt“ werden, also zu einer Stadt, in der alle Wege des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind.70 Damit setzt Paris internationale neue Standards zur Förderung aktiver Mobilität in der Stadt. In London arbeiteten in den Jahren 2013 bis 2019 der Gesundheits- und Mobilitätssektor verstärkt zusammen. Ergebnis der Zusammenarbeit ist ein Zehn-Punkte-Programm für „Healthy Streets“. Die zehn Indikatoren für „Gesunde Straßen“ inkludieren unter anderem Verkehrssicherheit, Luftqualität, Lärmbelastung, aktive Mobilität, Hitzeschutz und Erholungsmöglichkeiten. Seit dem Jahr 2014 werden Straßenumgestaltungen in London als „Healthy Streets“ umgesetzt. Zusätzlich begrenzt die Stadt London die Einfahrt von Pkw und Lkw mit hohen Emissionswerten durch die Einführung einer flächendeckenden Ultra Low Emission Zone seit dem Jahr 2017. Durch die Verringerung des Pkw-Verkehrs ist die Konzentration von Stickstoffdioxid in der Luft um 44 Prozent zurückgegangen und 12.300 Tonnen CO2-Äquivalente konnten pro Jahr verhindert werden.146 Ähnliche Umweltzonen gibt es auch in Brüssel und in mehreren schwedischen, niederländischen und italienischen Städten. In Wien wurde ein Klimafahrplan beschlossen.164 Die im März 2022 eingeführte flächendeckende Parkraumbewirtschaftung soll bis zum Jahr 2040 in eine Umweltzone weiterentwickelt werden.

Rotterdam schafft Platz für mehr Grün

Wiesen und Parks sowie mehr Raum für Gehende und Radfahrende, wo bisher Autos dominierten – seit 15 Jahren wandelt sich das Zentrum von Rotterdam in den Niederlanden in eine moderne „City Lounge“. Seit dem Jahr 2020 entstehen in sieben Bereichen der Innenstadt begrünte Plätze, die bei Starkregen Wasser speichern und bei Hitze die Umgebung kühlen. Die Infrastruktur für aktive Mobilität wird zügig ausgebaut. Auf dem „Coolsingel“, rund 700 Meter lang und eine der Hauptverkehrsachsen der Innenstadt, fuhren im Jahr 2018 täglich noch rund 22.000 Pkw. Dann wurden zwei der vier Fahrspuren in einen 4,5 Meter breiten Zweirichtungs-Radweg und Gehweg umgebaut, Bäume gepflanzt und Sitzgelegenheiten geschaffen sowie Tempo 30 eingeführt. Das Ergebnis sind weniger Autos – Ziele sind eine Reduktion auf 10.000 Pkw, weniger Verkehrslärm, ein attraktiveres Stadtbild und mehr Anreiz zu gehen und Rad zu fahren.

Vor allem der Kfz- Verkehr wirkt sich negativ auf Atemwege, Herz-Kreislauf oder die Psyche aus. Bewegungsaktive Mobilität hingegen fördert die Gesundheit.

London setzt gesunde Straßen um

London verbindet mit der Herangehensweise „Healthy Streets“ seit dem Jahr 2014 Gesundheit und Mobilität. Zehn Indikatoren, wie Verkehrssicherheit, Luftqualität, Lärmbelastung, aktive Mobilität, Hitzeschutz und Erholungsmöglichkeiten, werden regelmäßig an 1.500 Standorten erhoben. Begleitend nutzen alle Londoner Stadtbezirke zur Verfügung gestellte Methoden-Sets und haben bereits Maßnahmen umgesetzt. Erhebungen aus dem Jahr 2021 zeigen, dass mittlerweile zwei Drittel aller Wege in London autofrei zurückgelegt werden – im Jahr 2019 waren es erst 58 Prozent. Bezirke wie Hackney und Islington haben in den letzten Jahren viele Maßnahmen umgesetzt, wie Schulstraßen bei etwa 40 Prozent aller Schulen. In Straßen mit signifikanten Veränderungen zeigen Erhebungen, dass die allgemeine Zufriedenheit stark angestiegen ist. London erwartet sich von mehr bewegungsaktiver Mobilität in den nächsten 25 Jahren auch eine Reduktion der Gesundheitskosten um rund zwei Milliarden Euro.

Der Verkehr ist Mehrfach- Verursacher von Staubpartikeln aus Mikroplastik in der Luft. Über neun Prozent der Staubemissionen stammen aus Reifenabrieb, Abrieb von Bremsvorgängen und von der Fahrbahn etwa durch Bitumen im Asphalt oder Farbmarkierungen.

Gesunde Mobilität in Europas Städten

Die aktuelle Analyse der europäischen Umweltorganisation Transport & Environment zeigt, dass europäische Städte noch viel zu tun haben auf dem Weg zu einem klimaverträglichen Mobilitätsystem. Im Ranking der „Clean Cities“ schafften es folgende Städte unter die Top 10: Oslo (1), Amsterdam (2), Helsinki (3), Kopenhagen (4), Paris (5), Stockholm (6), Gent (7), München (8), Brüssel (9) und Barcelona (10). Keine der Städte erreichte jedoch die Bestnote. Helsinki, Amsterdam und Kopenhagen punkten als Top 3 Städte, die dem Gehen und Radfahren viel Platz geben. Wien landet insgesamt auf Platz 13 von 36 untersuchten Städten und kommt mit geringeren Verkehrsunfällen auf Top 2. Die wenigsten Verkehrsunfälle verzeichnet Oslo, das sich insgesamt den ersten Platz der klimaverträglichsten, urbanen Mobilität sichert. Auch in den Kategorien starke stadtpolitische Ziele und Maßnahmen, beste Luftqualität und höchste Zahl an Ladestationen für E-Kfz schafft es Oslo unter die Top 3.

Der VCÖ setzt sich als gemeinnützige Organisation für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Der Einsatz des VCÖ ist nur Dank der Unterstützung durch Spenden möglich - jetzt spenden

Mehr gesunde Mobilität in die Städte bringen

  • In Städten sind die Luft- und Lärmemissionen durch Kfz, das Unfallrisiko im Straßenverkehr sowie urbane Hitze durch starke Bodenversiegelung besonders hoch.

  • Die Gestaltung gesunder Städte bedarf einer Vielzahl an Maßnahmen, die insbesondere mehr Verkehrsberuhigung, Umgestaltung von Straßenräumen und die Schaffung von Grünräumen umfassen.

  • Umweltzonen und autofreie Innenstädte sind eine international erprobte Maßnahme zur Steigerung der Luftqualität und sollten auch in Österreichs Städten umgesetzt werden.

 

Gesunde Luft durch mehr klimaverträgliche Mobilität

Emissionen aus Verbrennungsmotoren gehören zu den Hauptursachen von Luftverschmutzung und gefährden die Gesundheit. Die Zunahme des Kfz-Verkehrs verschärft die Situation in Ballungsräumen. Parkraumbewirtschaftung, betriebliches Mobilitätsmanagement und Umweltzonen können die Luftqualität der Städte verbessern.

Luftschadstoffe sind der größte umweltbedingte Risikofaktor für unsere Gesundheit. Laut Europäischer Umweltagentur sterben in Österreich jährlich rund 6.100 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Anstrengungen für eine gesunde Luft erhöhen folglich die Lebensqualität. Sie erhöhen die Lebenserwartung beziehungsweise die gesunden Lebensmonate.64 Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) in Lyon, eine Einrichtung der WHO, hat im Jahr 2013 Luftverschmutzung durch Feinstaubpartikel als Krebsursache eingestuft.82 Luftverschmutzung verursacht darüber hinaus Schäden für die Wirtschaft beispielsweise durch Arbeitsausfall sowie in der Natur beispielsweise durch den Verlust an Biodiversität.

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In Städten ist Luftverschmutzung besonders schwerwiegend

Die Gesundheitsgefährdung durch Luftverschmutzung gilt besonders für urbane Ballungsräume, wo viele Menschen leben. Vor allem Emissionen aus Verbrennungsvorgängen im Verkehr sowie durch Hausbrand und Industrie beeinträchtigen die menschliche Gesundheit. Luftschadstoffe bestehen aus einem hochkomplexen Gemisch aus Partikeln und Gasen. Sie können vor Ort bei Verbrennungs-, Abrieb- oder Aufwirbelungsprozessen, zum Beispiel Stickstoffdioxid im Einzugsbereich von Straßen, wirken, oder aber, zum Beispiel Feinstaub, über hunderte Kilometer durch Luftverfrachtungen vertragen werden. Beispielsweise haben 70 Prozent der PM2,5-Belastung in Wien ihren Ursprung außerhalb der Stadt.10 Luftschadstoffbelastung ergibt sich also aus lokal verursachten Emissionen und Hintergrundbelastung aus dem Umland. Auch meteorologische Bedingungen und die zeitliche Variation nach Tagen, Wochen und Jahren sind zu beachten. Starke Luftbewegungen sorgen durch Austausch für saubere Luft in Ballungsräumen. Bei austauscharmen Wetterlagen sind Städte in Kombination mit Inversionslagen gefährdet. Der berüchtigte „Wintersmog“ konnte für Städterinnen und Städter noch bis in die 1960er-Jahre den Tod bedeuten.87 Ballungsräume in Tal- oder Kessellagen wie etwa Graz sind noch heute besonders in den Wintermonaten stark von verunreinigter Luft betroffen. Auch die Bebauungsstrukturen entscheiden über die Belüftung in einer Stadt. Sie können die Emissionen aus Verkehr und Hausbrand verdünnen, wenn überregionale Winde schwach ausgeprägt sind. Straßenschluchten müssen unbedingt vermieden werden, wenn der vertikale Luftaustausch sichergestellt werden soll. Zudem sollten Großemittenten wie manche Gewerbe- oder Industriebetriebe nur an der windabgewandten Seite einer Stadt angesiedelt werden.85

Städte müssen WHO-Richtwerte einhalten

Luftverschmutzung schadet der Gesundheit mehr als bisher angenommen. Die WHO hat deshalb die Richtwerte bei allen Luftschadstoffen stark herabgesetzt. Beim Feinstaub soll demnach die Langzeitbelastung mit kleinen Partikeln (PM2,5) bei höchstens fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. Der empfohlene Jahreswert für Stickstoffdioxid (NO2) liegt bei zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Diese Werte sind für alle Städte eine große Herausforderung. Die Europäische Kommission wird auf Basis der WHO-Empfehlungen einen neuen Richtlinien-Vorschlag für EU-Grenzwerte vorlegen.

EU-Recht ist für Luftreinhaltung maßgeblich

Die rechtlichen Grundlagen für die Luftreinhaltung in Österreich stammen im Wesentlichen aus der EU-Gesetzgebung um das Jahr 2000, die für die wesentlichen Luftschadstoffe vor allem Feinstaub PM10, Stickstoffdioxid und Ozon geschaffen wurde.141, 142 Österreich hat diese Vorschriften im Immissionsschutzgesetz-Luft, kurz IG-L, umgesetzt und kann diese bei Feinstaub – PM10 und PM2,5 – sowie seit kurzem auch bei Stickstoffdioxid einhalten. Die Festsetzung der EU-Grenzwerte erfolgte aufgrund politischer Kompromisse. Dagegen entstehen Richtwerte der WHO aus gesundheitlichen Gesichtspunkten. Sie legen auf Basis wissenschaftlicher Untersuchungen einen Wert fest, dessen Einhaltung eine signifikante Gesundheitsbelastung der Bevölkerung ausschließt. Darüber hinaus gibt es für Stoffe wie zum Beispiel Ruß, die erwiesenermaßen krebsverursachend sind, keinen Richtwert, sondern ein absolutes Minimierungsgebot.

Standort von Messstellen ist wichtig

EU-Grenzwerte für eine gesunde Luft sind aber nur so lange effektiv wie sie korrekt gemessen, kontrolliert und, sofern Grenzwerte überschritten werden, Sanierungsmaßnahmen wie etwa IG-L-Fahrverbote und -einschränkungen eingeleitet werden. Grundsätzlich können dies auch betroffene Bürgerinnen und Bürger sowie Umweltorganisationen initiieren.59 In der Praxis haben die Mitgliedstaaten Freiräume zum Beispiel bei der Situierung von Messstationen, die repräsentativ für einen Staat sein müssen. So erhebt beispielsweise eine verkehrsnahe Messstation in Niederösterreich keine Stickstoffdioxid-Belastung an Autobahnen, während dies andere Bundesländer sehr wohl tun. Ein EuGH-Urteil hat inzwischen festgehalten, dass dort gemessen werden muss, wo die Luftgüte am schlechtesten ist.85

Wer sorgt für das Lebensmittel Luft?

Die Luftverschmutzung ist grenzenlos, Grenzwerte für eine gesunde Umgebungsluft dagegen müssen in den meisten EU-Staaten von Städten und regionalen Gebietskörperschaften eingehalten werden. So auch in Österreich, wo die Landeshauptleute für den Vollzug des Immissionsschutzgesetz-Luft zuständig sind. Diese Kompetenzlage ist nicht immer optimal, weil viele Emissionsregelungen in Landwirtschaft, Industrie und Verkehr nicht von Städten getroffen werden. Kfz-Emissionen werden beispielsweise direkt oder indirekt durch die EU-Abgasnormen oder über den Bund in den Bereichen Besteuerung oder periodische Kfz-Abgasüberprüfung beeinflusst. Für Grenzwertüberschreitungen von Stickstoffdioxid in Städten sind vor allem Diesel-Pkw verantwortlich, weil sie im realen Fahrbetrieb ihre Abgasnormen um das Vielfache überschreiten.83 Städte sind auch bis heute machtlos, wenn Abgasvorrichtungen zum Beispiel durch Chiptuning manipuliert werden. Hier braucht es abgestimmte Regelungen und wirksame Kontrollen.190

Baustellen- und Lieferverkehr als zusätzliche Belastung für die Luftqualität in Städten

Der Baustellenbetrieb wirbelt im wahrsten Sinn des Wortes viel Staub auf. Rund zwei Drittel der transportierten Tonnage, des Güterverkehrs in Tonnen, entfallen in einer Großstadt wie Wien auf den Baustellenverkehr.161 An der Baustellenlogistik sollte also bei ressourcenschonendem Wirtschaften und der Vermeidung von Verkehrs- aufkommen, Lärm und Luftverschmutzung kein Weg vorbeiführen. In Wien gibt es dazu bereits einen reichen Fundus an Musterbaustellen.8 Initiiert wurde dies durch die Richtlinie für umweltfreundliches Bauen, kurz Rumba. Ziele sind Reduktion von Lkw-Schwerverkehr und Staub im Bau, eine Vorsortierung von Baurestmassen sowie institutionelle Rahmenbedingungen für eine umweltorientierte Baustellenlogistik. Bei der Errichtung der Seestadt Aspern wurden dadurch rund 100.000 Lkw-Fahrten eingespart.54 Das Projekt CMA+ wiederum zielte darauf ab, auf den Straßen und Baustellen in Klagenfurt, Bruneck und Lienz die Wiederaufwirbelung der PM10-Feinstaubpartikel mit einem „Feinstaubkleber“ zu reduzieren. Das Ergebnis zeigt eine Verringerung der Feinstaubbelastung auf stark befahrenen Straßen und Baustellen um bis zu 30 Prozent.61 Das Beispiel Norwegen zeigt aber auch, dass Baumaschinen batterieelektrisch auf Baustellen eingesetzt werden können. Wenn Bauunternehmen öffentliche Ausschreibungen gewinnen möchten, geht dies in Norwegen nur mit elektrischem Antrieb. Laut Regierungsbeschluss sollen in Norwegen bis zum Jahr 2025 fossile Brennstoffe auf Baustellen gänzlich verschwinden.167

Einen überproportional großen Anteil an umwelt- und gesundheitsschädlichen Belastungen verursachen auch Lieferdienste.14 Immer mehr Waren werden über das Internet bestellt – im Jahr 2021 verzeichnete Österreich mit rund 347 Millionen transportierten Paketen einen Anstieg um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was sich in der steigenden Verkehrsmenge des Güterverkehrs in Städten widerspiegelt.53 Es braucht eine rasche Umstellung der Fuhrparks der Transportunternehmen auf E-Mobilität sowie die Errichtung von City-Hubs und Mikrodepots, um die Verteilung der Waren auf der letzten Meile beispielsweise auf Transport-Fahrrädern zu ermöglichen. Die Stadt Graz entwickelte beispielsweise das kooperative City-Logistik-Modell „GrazLog“ für die letzte Meile in der Innenstadt. Statt mit Diesel-Transportern werden die Waren vom Mikro-Hub mit E-Transport-Fahrrädern und E-Lkw zugestellt.193 Auch das Projekt „Emissionsfreie Citylogistik in Graz“ wird in Kooperation mit der Österreichischen Post die Brief- und Paketlogistik auf E-Mobilität umstellen.191

Gesundheitsfaktor Pendelverkehr

Fast 60 Prozent der 3,8 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen in Österreich arbeiteten im Jahr 2019 außerhalb ihrer Wohngemeinde. Wien ist in Österreich mit rund 275.000 Pendlerinnen und Pendlern mit Abstand das größte Einpendelzentrum, gefolgt von Linz mit rund 108.000 und Graz mit rund 90.000 Einpendelnden. Auf Platz zehn liegt Schwechat mit rund 26.000 Einpendelnden. Und in noch 20 weiteren Städten in Österreich pendeln jeweils mindestens 8.000 Erwerbstätige ein.74 Durch günstigere Bodenpreise fürs Wohnen im Stadtumland steigt die Bereitschaft längere Arbeitswege auf sich zu nehmen mit den bekannten Folgen wie mehr Pkw-Verkehr, Staus, mehr Lärm sowie Abgas- und CO2-Emissionen.27 Die Siedlungsentwicklung erfolgt oftmals nicht entlang der Achsen des Öffentlichen Verkehrs. Zersiedelung führt zu Flächenverbrauch und mehr Pkw-Verkehr. Pendelpauschale, die Steuerbegünstigung von Firmenautos und Kilometergeld-Abgeltung weisen zudem eine problematische soziale, gesundheitliche und ökologische Schieflage auf.

Gesunde Arbeitswege

Schon ab einem bis zweieinhalb Kilometer sitzt die Mehrheit der Beschäftigten im Auto. Eigentlich eine ideale Distanz für aktive Mobilität.135 Damit mehr Beschäftigte zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, sind attraktive und sichere Geh- und Radwege sowie gute Radverbindungen zwischen den Gemeinden wichtig. Die Stadtbevölkerung ist aufgrund vielfältigerer Mobilitätsangebote klimaverträglicher unterwegs als Menschen, die im Umland wohnen. Verbesserungen beim Öffentlichen Verkehr führen zum verstärkten Umstieg vom Auto auf Bahn oder Bus.120  Auch die steirische S-Bahn konnte seit Beginn der Attraktivierung im Jahr 2007 ein starkes Fahrgast-Plus von 54 Prozent, auf zwei Linien überhaupt beinahe eine Verdoppelung einfahren.192 Dass mehr Beschäftigte klimaverträglich zur Arbeit kommen, können Unternehmen wesentlich beeinflussen, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Betriebliches Mobilitätsmanagement soll daher für Unternehmen verpflichtend werden.

Pendelpauschale ökosozial reformieren

Eine wichtige Maßnahme ist die im Regierungsprogramm der aktuellen Bundesregierung Österreichs angekündigte Ökologisierung des Pendelpauschales. Unternehmen können Arbeitszeiten an Öffi-Fahrpläne anpassen, Home-Office-Möglichkeiten einräumen oder auch Jobtickets vergeben. Radabstellplätze, Umkleiden und Duschmöglichkeiten erleichtern zudem das Radfahren zur Arbeit. Arbeitszeitgutschriften für aktiv zurückgelegte Arbeitswege wären ein Anreiz und sind zudem im Sinne betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Auch Schulen können durch gestaffelte Beginnzeiten helfen verkehrliche Nachfragespitzen zu entzerren. Denn Engpässe entstehen oft nur in kleinen Zeitfenstern.

Umweltzonen und Aktionspläne – internationale Vorbilder

Amsterdam vergibt mittlerweile nur mehr sehr beschränkt Anwohnerparkausweise.192 Umweltzonen gibt es bereits in mehr als 250 EU-Städten mit beachtlichen Rückgängen der Stickoxid-Emissionen. In London ging die Zahl der Diesel-Pkw seit Ankündigung der Umweltzonen-Erweiterung im Jahr 2017 sechsmal schneller zurück als im Rest des Vereinigten Königreichs. Seit Einführung ist die Stickstoffdioxidbelastung im Zentrum Londons um 44 Prozent gesunken. Auch die seit dem Jahr 2018 geltende Umweltzone in Brüssel veränderte die Autoflotte. Der Anteil der Diesel-Pkw sank Ende des Jahres 2020 unter 50 Prozent verglichen mit 62 Prozent vor der Schaffung der Umweltzone.50 Die Schweiz wiederum erreichte mit der Umsetzung eines Aktionsplanes bereits im Jahr 2006 eine deutliche Senkung der Feinstaubmenge durch die konsequente Ausstattung von Diesel-Fahrzeugen mit Partikelfiltern.81, 193

100 klimaneutrale EU-Städte bis zum Jahr 2030

Die Europäische Kommission hat für das Projekt „Klimaneutrale und intelligente Städte“ für die Periode der Jahre 2021 bis 2023 als Teil eines EU-weiten Förderprogramms 350 Millionen Euro für Forschung und Innovation in den Bereichen Mobilität, Energie und Stadtplanung budgetiert.61 Die Städte Klagenfurt, Linz und Graz in Österreich haben es in einer ersten Stufe in den Pool der 360 potenziell förderbaren europäischen Städte geschafft. Aus diesem Pool werden 100 Städte in einer nächsten Auswahlstufe für die Förderung vorgeschlagen. Ziel der Europäischen Kommission ist bis zum Jahr 2030 in diesen 100 Städten Klimaneutralität zu erreichen. Städte sind derzeit für 65 Prozent des Energieverbrauchs und für mehr als 70 Prozent der CO2-Emissionen global verantwortlich.

Feinstaub ist sehr gesundheitsschädlich. Große Städte in Österreich überschreiten die Richtwerte der WHO.

Vom City-Hub klimaverträglich auf die letzten Meile

Seit dem Jahr 2017 setzt die Firma DHL in Frankfurt, Utrecht und Den Haag zur Paketauslieferung in Innenstädten auf City-Hubs. Transporter liefern Pakete in Containern in der Größe einer Standard-Palette mit bis zu 125 Kilogramm Ladekapazität zu den Mikrodepots. Dort werden sie auf „Cubicycles“, Transport-Fahrräder mit Containerboxen, umgeladen und zugestellt. Staus können flexibel umfahren werden, pro Stunde sind bis zu doppelt so viele Zustellstopps wie mit dem Auto möglich. In Den Haag werden adaptierte Street-Scooter als E-Transporter eingesetzt, die bis zu drei Container befördern können. Ersetzt ein Cubicycle ein herkömmliches Transportfahrzeug, wird jährlich der Ausstoß von bis zu acht Tonnen CO2 verhindert. Die Zustelllogistik mittels City-Hubs bietet so eine klimaverträgliche sowie leise Lösung für die steigende Zahl von Warenzustellungen im Stadtgebiet.

Durch Einhaltung der WHO-Richtwerte könnten in allen Großstädten Österreichs über 1.300 frühzeitige Todesfälle durch Feinstaub PM2,5 und fast 800 Todesfälle durch Stickstoffdioxid vermieden werden.

Partikelfilter reduzieren Feinstaubbelastung

In der Schweiz besteht seit dem Jahr 2006 ein Aktionsplan gegen Feinstaubemissionen. So müssen seit dem Jahr 2007 in öffentlichen Verkehrsbetrieben Diesel-Pkw mit Partikelfilter ausgerüstet sein. Die Rückerstattung der Mineralölsteuer an Verkehrsunternehmen ist seit dem Jahr 2008 an die Ausstattung der Busse mit Partikelfilter geknüpft. Bis zum Jahr 2018 wurden für alle in der Schweiz zugelassenen Kfz inklusive schwerer Nutzfahrzeuge strenge Grenzwerte festgelegt, die de facto nur mit einem geschlossenen Partikelfilter zu erreichen sind. Lkw mit geringerem Schadstoffausstoß (Euro-Klasse 6) wurden in die günstigste Abgabenkategorie der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) aufgenommen. Durch geschlossene Partikelfilter können die krebserregenden Partikel in den Dieselrußabgasen um 99 Prozent reduziert werden. Seit Einführung der Maßnahmen haben in der Schweiz die Feinstaubemissionen deutlich abgenommen.

Der VCÖ setzt sich als gemeinnützige Organisation für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Der Einsatz des VCÖ ist nur Dank der Unterstützung durch Spenden möglich - jetzt spenden

Supermarktkette setzt auf Schiene statt Stau

Mit dem Projekt „CityCargo Genf“ setzt der Lebensmittelhandelskonzern Coop in der Schweiz seit dem Jahr 2013 für die tägliche Belieferung der 45 Coop-Verkaufsstellen im Großraum Genf auf den kombinierten Verkehr von Schiene und Straße. Das Besondere dabei ist die Kürze der Bahndistanz von 67 Kilometer von dem Coop-Verteilzentrum Aclens zu dem Zielbahnhof Genève-La Praille entlang des Genfer Sees. Dabei werden die Staus auf der stark befahrenden Straße entlang des Genfer Sees vermieden und so die Zuverlässigkeit der Anlieferung erhöht. Am Zielbahnhof werden mittels Einsatz von Horizontalumschlagtechnik die Waren für den Transport auf der letzten Meile auf Lkw umgeladen. Durch die Verlagerung der Anlieferung auf die Bahn werden jährlich 1,4 Millionen Lkw-Kilometer eingespart und damit rund 1.100 Tonnen CO2 vermieden. Das Projekt zeigt, dass unbegleiteter kombinierter Verkehr auch auf kurzen Bahnstrecken wirtschaftlich tragbar sein kann.

 

Umweltzonen bringen saubere Luft in die Städte: Wie Messungen der realen Abgase aus dem Jahr 2019 ergeben, verursachen nur wenige alte Lkw hohe Stickoxid-Emissionen innerorts.

Maßnahmen für saubere Luft

  • Die gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung in Städten ist durch effektive Maßnahmen rasch zu reduzieren, die Grenzwerte sollten an die WHO-Richtwerte angepasst werden.

  • Die Bebauungsstruktur ist maßgeblich für die Belüftung einer Stadt. Frischluftschneisen sind wichtig, um die Luftqualität zu verbessern.

  • Die Einführung von Abgastests am Auspuff bei der Kfz-Prüfung kann Manipulation vorbeugen.

  • Beschränkte Einfahr-Erlaubnis für den Wirtschaftsverkehr in Städten ausschließlich für emissionsfreie Fahrzeuge um die Luftqualität in der Stadt zu verbessern. Für Baufahrzeuge Dieselfilter vorschreiben.

  • Verpflichtendes Mobilitätsmanagement für Betriebe zur Verlagerung der Pendlerströme auf aktive Mobilität und öffentliche Verkehrsmittel.

 

Durch Verkehrsberuhigung Lärm reduzieren

Dauerhafter Lärm ist eine ernstzunehmende Gesundheitsbelastung. Vor allem der Pkw- und Lkw-Verkehr, aber auch Motorräder und Mopeds werden als belastend wahrgenommen. Begegnungszonen, Tempo 30 und intelligente Logistik eignen sich besonders zur Lärmreduktion.

Ein Drittel der Bevölkerung in Österreich fühlt sich von Lärm belästigt, 40 Prozent davon durch Kfz-Verkehrslärm. Von Straßenverkehrslärm beeinträchtigte Menschen stören sich zu 46 Prozent vor allem an Pkw sowie zu 35 Prozent an Lkw und Bussen. Angesichts des geringen Modal-Split-Wegeanteils von einspurigen Kfz mit nur 1,6 Prozent wird die Lärmstörung mit 19 Prozent durch Motorräder und Mopeds als Hauptlärmquelle überdurchschnittlich oft genannt. Weniger Menschen fühlen sich durch den Flug- und Schienenverkehr gestört – rund fünf beziehungsweise vier Prozent.170 Beim Flugverkehr beispielsweise sind es vor allem Gebiete unter Einflugschneisen in Flughafennähe, wo lokal große Teile der Wohnbevölkerung betroffen sind. Auf Basis von in Österreich erstellten Lärmkarten sollen Aktionspläne für ein Sinken dieser Zahlen sorgen. Aufgrund der angewandten Methode werden aber schätzungsweise rund 30 Prozent der von Lärm Betroffenen mit den Aktionsplänen nicht erfasst.81

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Lärm gefährdet die Gesundheit vielfältig

Aus Sicht der öffentlichen Gesundheitsvorsorge ist Verkehrslärm nach Feinstaub der zweitgrößte quantifizierbare Umweltrisikofaktor. Lärm beeinträchtigt sowohl Gesundheit als auch Wohlbefinden. Das beginnt bei vergleichsweise harmlosen psychischen Beeinträchtigungen, wenn wir kurzfristig einer Lärmquelle ausgesetzt sind. Stresshormone werden dann ausgeschüttet und gehen einher mit schlechter Laune, erhöhter Gereiztheit, schlechter Konzentrationsfähigkeit und Nervosität. Bei langfristiger Belastung können auch chronische psychische Störungen wie Depressionen verstärkt werden.49 Menschen, die während der Nacht Lärm ausgesetzt sind, sind unter anderem mit einer Verflachung der Schlaftiefe, Aufwachreaktionen und wiederum mit der vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen konfrontiert. Sie leiden in Folge häufig unter verminderter Leistungsfähigkeit, Tagesmüdigkeit und psychosomatischen Symptomen.94 Allerdings können laute Geräusche nicht generell mit Lärm gleichgesetzt werden. Vielmehr ist es kontextabhängig, ob wir uns dadurch belästigt fühlen. Viele Alltagsgeräusche – etwa Vogelgezwitscher, aber auch laut spielende Kinder oder jubelnde Menschen – werden individuell nicht als Lärm empfunden, wenn sie stimmig zur Situation passen.111 Ein konstant hoher Dauerschallpegel wie etwa entlang von verkehrsreichen Straßen ist daher jene Messgröße, die für die negativen Gesundheitseffekte von Lärmbelastung verantwortlich gemacht wird. Die WHO empfiehlt aufgrund der starken gesundheitlichen Risiken den durch Straßenverkehr verursachten Dauerschallpegel auf unter 53 Dezibel im Tagesmittel und auf unter 45 Dezibel während der Nacht zu begrenzen.199 Laut Europäischer Umweltagentur sind in den urbanen Gebieten Europas jedoch im Tagesmittel rund 82 Millionen und während der Nacht 57 Millionen Menschen höheren Belastungen durch Kfz-Verkehrslärm ausgesetzt. Lärm durch Schienenfahrzeuge sind wiederum fast elf Millionen im Tagesmittel beziehungsweise acht Millionen während der Nacht ausgesetzt.64 Dauerhaft Verkehrslärm ausgesetzte Menschen leiden überdurchschnittlich oft an Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie erhöhtem Blutdruck, das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall ist erhöht. In einer Untersuchung in Großstädten Deutschlands wurde in Zonen mit hohem Straßenverkehrslärm ein sprunghafter Anstieg von Schlaganfällen festgestellt. Insgesamt kann in derartigen Zonen sogar mit einer Verringerung von 200 gesunden Lebensjahren pro 100.000 Menschen gerechnet werden.49

Verkehrsdichte und Tempo sind entscheidend

Ausschlaggebend für die Höhe der dauerhaften Lärmbelastung entlang von stark befahrenen Straßen sind Verkehrsdichte und gefahrene Geschwindigkeit, neben dem Abstand zur Lärmquelle, dem Untergrund und dem Fahrstil. Eine Autokolonne wird etwa viermal so laut wahrgenommen wie ein einzelnes Auto.21 Ebenso gilt: Je schneller gefahren wird, desto höher die Lärmbelastung. Straßen im Ortsgebiet, in denen Pkw mit 50 Kilometer pro Stunde unterwegs sind, sind um etwa drei Dezibel lauter als Lärmemissionen in Straßen mit Tempo 30. Drei Dezibel mehr werden vom menschlichen Ohr als Verdoppelung der Verkehrsmenge wahrgenommen.36 Zudem haben niedrige Geschwindigkeiten wie Tempo 30 den Vorteil, dass der Verkehr flüssiger wird und Brems- und Beschleunigungsvorgänge abnehmen.34 Aus Lärmkarten lässt sich die unterschiedlich hohe Belastung bei verschieden hohem Tempo ablesen. In Wohngebieten mit einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern und mit geringem Verkehrsaufkommen ist die Lärmbelastung am geringsten. So fällt etwa die Gobergasse im 13. Wiener Gemeindebezirk mit 55 bis 60 Dezibel im Tagesmittel entlang der Hausfassaden in die Kategorie der geringsten Lärmbelastung, überschreitet allerdings trotzdem die von der WHO vorgegebenen Lärm-Grenz-werte. Im Gegensatz dazu fällt der sehr dicht und mit bis zu 50 Stundenkilometern befahrene Wiener Gürtel in die lauteste Kategorie. Hier herrscht entlang der Häuser eine dauerhafte Lärmbelastung von mehr als 75 Dezibel im 24-Stunden-Durchschnitt.44 Der Verkehrslärm am Gürtel wird daher um rund vier- bis fünfmal so laut wahrgenommen. Im Vergleich dazu ist in Österreich die Asfinag verpflichtet Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn durch Autobahnen die Belastung in Wohngebäuden 60 Dezibel im Tagesmittel übersteigt.45 Noch wesentlich lauter als der Fließverkehr sind oftmals Straßenbaustellen. Ein Presslufthammer entwickelt einen Schallpegel von mehr als 90 Dezibel.101

Öffentliche Verkehrsmittel verursachen in Summe weniger Lärm

Auch öffentliche Verkehrsmittel verursachen Lärm. Diesel-Busse verursachen Motoren- und Rollgeräusche und bei Straßenbahnen oder S-Bahnen entsteht durch den Kontakt zwischen Rädern und Schienen Lärm. Moderne Straßenbahnen verursachen allerdings um 60 bis 75 Prozent weniger Lärmbelastung als ältere Modelle. Ältere Garnituren lassen sich mit Schallschürzen bei den Rädern und mit schallschluckenden Unterböden nachrüsten.159 Darüber hinaus sind Lärmemissionen von Schienenfahrzeugen vom Untergrund abhängig. Der klassische Gleisaufbau mit Schotterbett und Holz- oder Betonschwellen ist schalltechnisch um fünf Dezibel günstiger als in Straßenfahrbahnen eingebettete Gleise. Gleiskörper mit Raseneindeckung für Straßenbahnen reduzieren den Lärmpegel um zwei Dezibel.109 Die Lärmbelastung durch öffentliche Verkehrsmittel relativiert sich durch ihre hohe Transporteffizienz. Vollbesetzte Straßenbahnen verursachen bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern einen Lärmpegel zwischen 48 (Rasengleis) und 55 Dezibel (straßenbündiges Gleis) pro 1.000 beförderte Personen und Stunde. Fahren 1.000 Menschen pro Stunde hingegen mit dem Pkw, so entsteht bei einer realistischen Besetzung von 1,15 Personen pro Pkw ein Schallpegel von mehr als 60 Dezibel. Der Verkehrslärm der Pkw für 1.000 Menschen ist damit rund eineinhalb bis zwei Mal so laut wie straßenbündige Straßenbahnen und rund dreimal so laut wie Straßenbahnen auf Rasengleisen.20 Eine Straßenbahngarnitur mit 35 Meter Länge transportiert bei 80 Prozent Auslastung rund 170 Personen. Damit ersetzt eine einzige Straßenbahnfahrt im Frühverkehr die Lärmemissionen von 148 Pkw mit einem durchschnittlichen Besetzungsgrad von 1,15 Personen.196

Fluglärm ist lokal ein großes Problem

Ein in 1.000 Metern Entfernung vorbeifliegendes Flugzeug kann Schallpegel von mehr als 90 Dezibel verursachen, was dem Lärm eines Presslufthammers in nur sieben Metern Entfernung gleichkommt. Dennoch nimmt der Flugverkehr eine Sonderstellung bei der Lärmbelastung ein, da nur die im Steig- und Sinkflug relativ niedrig fliegenden Flugzeuge als störend wahrgenommen werden. Europaweit leben mehr als vier Millionen Menschen in von Fluglärm betroffenen Gebieten, mehr als eine Million davon sind auch während der Nacht einer Lärmbelastung oberhalb der von der WHO empfohlenen Grenzwerte ausgesetzt. Flugzeuge, die etwa in Schwechat bei Wien starten und landen, benötigen einen bis zu 30 Kilometer langen Steig- oder Sinkflug. Das vom Fluglärm betroffene Gebiet rund um Schwechat ist mit etwa 1.000 Quadratkilometern zweieinhalb Mal so groß wie ganz Wien.156, 96, 52, 64 Im Nordteil des Wiener Umlands werden so mehr als 27 Prozent der Bevölkerung vom Fluglärm belastet, im Südteil knapp 24 Prozent. Aber auch die Regionalflughäfen in Österreich wirken sich negativ aus. Rund 26 Prozent der Menschen in Innsbruck und mehr als 17 Prozent in und um die Stadt Salzburg geben an, dass ihre Lebensqualität durch Fluglärm beeinträchtigt wird.170

Weniger Lärm durch elektrifizierte Fahrzeuge

Die Umstellung auf E-Mobilität unterstützt die Lärmvermeidung im Verkehr. Elektro-Motoren verursachen anders als Verbrennungsmotoren kaum Lärm.183 Neue Elektro- und Hybridfahrzeuge müssen daher seit dem Jahr 2021 bei niedrigem Tempo sogar extra Geräusche erzeugen, wobei es sich zumeist um ein Summen handelt. Manche Modelle spielen eine Melodie, damit Radfahrende und Gehende das sich nähernde Fahrzeug nicht überhören. Erst ab einer Geschwindigkeit von mehr als 30 Stundenkilometern verursachen Elektro-Pkw durch das Rollgeräusch der Reifen vergleichbaren Lärm wie Benzin- oder Diesel-Pkw.56 Bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern können Elektro-Fahrzeuge ihren Lärmvorteil daher voll ausspielen. Noch größeres Potenzial liegt in der Elektrifizierung von Bussen und Lastkraftwagen, denn deren heute üblichen Dieselmotoren werden erst ab 50 Stundenkilometern von den Reifen übertönt.97 Um den Umstieg auf Elektro-Fahrzeuge zu beschleunigen, greifen manche Städte auch zu Ordnungsmaßnahmen. So werden etwa Amsterdam und Paris ab dem Jahr 2030 die Einfahrt nur noch Fahrzeuge mit Elektro- oder Brennstoffzellenantrieb gestatten. Das gilt auch für Motorräder und Mopeds. Gerade Mopeds verursachen überdurchschnittlich viel Lärm, weshalb bereits rund 200 italienische Kommunen Einfahrt-Beschränkungen für die besonders lauten Benzin-Zweitakter erlassen haben.114

Stadt der kurzen Wege und intelligente Logistik vermeiden Lärm

Um die Belastung durch Verkehrslärm in Städten zu verringern, bietet sich ein Mix von Maßnahmen an. Vor allem in Italien weit verbreitet sind komplett oder weitgehend autofreie Innenstädte, im spanischen Barcelona wird mit Superblocks darauf gesetzt, den Durchzugsverkehr auf einige wenige Straßen zu beschränken und dazwischen flächendeckend jeweils mehrere Blöcke umfassende Begegnungszonen zu schaffen.77, 18 Eine am Konzept der „Stadt der kurzen Wege“ orientierte Stadtplanung bietet eine ausreichende Dichte an Nahversorgung und Freizeitmöglichkeiten in Wohngebieten, der öffentliche Raum ist ansprechend und sicher für Gehen und Radfahren sowie gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen.158 Durch die Verschmälerung von bestehenden Fahrstreifen für Kraftfahrzeuge lassen sich freiwerdende Flächen rasch, kostengünstig und ressourcenschonend für Radfahrende und Gehende umwidmen.194 Dieses Modell der Stadt der kurzen Wege wird schon seit dem Jahr 2015 in Oslo vorangetrieben, auch Paris geht in diese Richtung.58 Weniger Lärm durch bessere City-Logistik Innerstädtischer Lkw-Verkehr lässt sich durch die Schaffung von Umschlag- und Mikro-Hubs reduzieren. Dort werden Lieferungen entweder für die letzte Meile auf Kleintransporter und Transport-Fahrräder umgeladen oder mehrere Lieferungen an dieselbe Empfangsadresse gebündelt und dann mit einer einzigen Lkw-Fahrt zugestellt.58

19 Prozent der vom Kfz- Lärm belasteten Menschen fühlen sich von Motorrad und Moped gestört. Dem gegenüber stehen nur zwei Prozent der mit einspurigen Kfz gefahrenen Personenkilometer.

Mit Schilf Lärm und CO2-Ausstoß reduzieren

Das Start-up REEDuce setzt mit Lärmschutzwänden aus natürlichen Materialien wie Schilf, Lehm und Thermoholz auf nachhaltige Lärmschutzlösungen. Dieser Lärmschutz senkt den krank machenden Kfz-Lärm auf Österreichs Schnellstraßen und Autobahnen. Schilf weist nicht nur sehr gute Werte bei der Schallabsorption auf, es ist auch sehr langlebig. Vermehrter Anbau und Nutzung von langem Schilf würde auch dem Naturschutz entgegenkommen, etwa als Unterschlupf für Insekten und Vögel, sowie als CO2-Senke. Konventionelle Lärmschutzwände führen sowohl bei der Produktion als auch bei der Entsorgung als Sondermüll zu hohem CO2-Ausstoß. Bereits im Jahr 2022 sollen die ökologischen Lärmschutzwände in Produktion gehen.

Der Kfz-Verkehr auf Hauptverkehrsachsen in Großstädten überschreitet den empfohlenen WHO-Richtwert von 53 Dezibel im Tagesmittel deutlich.
Erst ab einer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern verursacht das Rollgeräusch der Reifen eines E-Autos vergleichbare Lärmemissionen wie Benzin- oder Diesel-Pkw.
Sowohl bei Lärm als auch bei Abgasen fühlen sich jeweils fast die Hälfte der Betroffenen vor allem durch Verkehr belästigt.

 

Verkehrslärm vermeiden

  • Reduktion der Standardgeschwindigkeit in Städten auf Tempo 30 reduziert den Verkehrslärm und erhöht die Verkehrssicherheit.

  • Umgestaltung von Straßen und Schaffung von Begegnungszonen, um Geschwindigkeit zu reduzieren und mehr Rücksicht zwischen den Verkehrsteilnehmenden zu schaffen.

  • Umstieg auf E-Fahrzeuge reduziert Lärm, insbesondere bei niedrigen Geschwindigkeiten.

  • Einfahrbegrenzungen und -verbote für Motorräder und Mopeds mit Benzin- und Dieselmotor in Stadtzentren und Wohngebieten bis zum Jahr 2025 umsetzen.

Tempo 30 und Begegnungszonen reduzieren Lärm

Eine einfache Maßnahme zur Lärmreduktion ist die Verringerung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. In Zonen mit Tempo 30 sinkt die Lärmbelastung in der Praxis um zwei bis vier Dezibel, was lärmtechnisch einer Verkehrsreduktion um bis zur Hälfte gleichkommt.40, 100 Begegnungszonen sind eine Möglichkeit beide Ansätze zur Lärmreduktion zu kombinieren: Das Tempo ist auf maximal 20 Stundenkilometer reduziert, die Ausgestaltung des öffentlichen Raums anhand der Bedürfnisse von Gehenden und Radfahrenden macht die Einfahrt mit Kraftfahrzeugen unattraktiver. Gute Begegnungszonen sind automatisch lärmschutzoptimiert gestaltet. Die geringe optische Breite der Fahrbahn und Barrieren bedingen Langsamfahren.40 Hingegen sind Umfahrungsstraßen zur effektiven Lärmentlastung aufgrund des von den Umfahrungen induzierten Verkehrs ohne Begleitmaßnahmen nicht geeignet. Beispiele zeigen, dass durch den auf die Umfahrung verlagerten Verkehr die Attraktivität des Zentrums für den Kfz-Verkehr wieder steigt und so neuen Auto-Verkehr anzieht. Die Entlastungseffekte der Umfahrung für das Zentrum werden so weitgehend wieder aufgehoben.40 Aus unter anderem diesem Grund wurde im Jahr 2020 in der französischen Metropole Lyon der Bau der jahrzehntelang geplanten Stadtautobahn L’Anneau des Sciences abgesagt. Der Lückenschluss im Autobahnring der Stadt hätte nicht nur auf dem entsprechenden neuen Straßenabschnitt, sondern auch im Zentrum zusätzlichen Verkehr induziert.103, 104

Schallschutz als letzte Option

Schallschutzwände reduzieren die Lärmbelastung für dahinterliegende Gebäude deutlich – allerdings funktioniert der Lärmschutz hauptsächlich bis auf die Höhe der Wand und nimmt nach oben hin ab. Höher gelegene Etagen in Gebäuden profitieren daher nicht.21 Schallschutzwände sind vor allem entlang von Lärm-Hotspots wie sehr stark befahrenen Straßen oder Bahnstrecken sinnvoll. Durch Begrünung oder als Träger für Photovoltaikanlagen lässt sich zudem ein doppelter Nutzen erzielen.16, 125 Bäume und Sträucher bieten zwar erst ab mindestens 100 Meter breiten Waldstreifen einen tatsächlichen Schallschutz, aber Bepflanzungen entlang städtischer Verkehrswege mindern zumindest psychologisch die Belästigungswirkung des Verkehrslärms.109


 

Öffentlichen Raum für alle sicher gestalten

Gehen und Radfahren wirken Bewegungsmangel entgegen, sind jedoch durch die Bevorzugung des Kfz-Verkehrs oft Gefährdungen ausgesetzt. Flächendeckendes Tempo 30, mehr Begegnungszonen sowie sichere und barrierefreie Infrastrukturen schaffen ausreichend Platz für bewegungsaktive Mobilität.

In Städten sind viele Strecken kurz genug, um sie auch ohne Kfz innerhalb von nur 15 Minuten zurücklegen zu können.195 Die Zahl der zu Fuß zurückgelegten Wege sinkt jedoch seit Jahrzehnten und auch im Berufsleben dominieren immer stärker sitzende Tätigkeiten.176 Dabei senkt ausreichend Bewegung beispielsweise das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ 2 Diabetes und es entstehen positive psychische Auswirkungen durch besseren Schlaf und Verminderung von depressiven Störungen.148

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Der individuelle gesundheitliche Nutzen durch mehr Bewegung spiegelt sich auch in betriebswirtschaftlichen Kennzahlen auf Unternehmensseite wider. So fehlen Radfahrende im Durchschnitt krankheitsbedingt um zwei Tage weniger in der Arbeit als jene, die für den Arbeitsweg vor allem das Auto nutzen.88 Die aus dem Bewegungsmangel resultierenden Kosten durch ärztliche Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Arzneimittel, Produktionsverluste infolge von Krankenstandstagen und verminderter Leistungsfähigkeit belasten die Volkswirtschaft im Allgemeinen und das Gesundheitssystem im Besonderen. Nach sehr konservativen Schätzungen liegen die Folgekosten bei mehr als 180 Millionen Euro jährlich.68 Die WHO betrachtet Bewegungsmangel als einen der schwerwiegendsten Risikofaktoren für die Gesundheit.201 Regelmäßiges Gehen und Radfahren wirkt Bewegungsmangel entgegen.

Zu hohes Tempo und schlechte Infrastruktur für Gehen und Radfahren schrecken ab

Rund ein Drittel aller Alltagswege in Österreich sind kürzer als zweieinhalb Kilometer. Aber viele Kurzstrecken werden mit dem Auto zurückgelegt. Im Jahr 2018 wurden weniger als ein Viertel aller Wege in Österreich mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt.39 Zu den häufigsten Hürden für aktive Mobilität zählen zu hohes Tempo und zu viel Kfz-Verkehr sowie fehlende oder zu schmale Geh- und Radwege, die oftmals auch noch durch Verkehrsschilder, Werbetafeln oder Verteilerkästen weiter eingeengt werden.195 Während in den Niederlanden 50 Prozent der Jugendlichen mit dem Fahrrad zur Schule fahren, waren es in Österreich vor der Covid-19-Pandemie lediglich sechs Prozent.95 Gerade für die sichere Mobilität von Kindern ist eine niedrige erlaubte Höchstgeschwindigkeit unerlässlich.

Hohes Tempo und Ablenkung als Hauptunfallursache im Kfz-Verkehr

Eine Gesundheitsgefahr ist für Gehende und Radfahrende die oftmals zu hohe Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs. Als Hauptursachen für tödliche Verkehrsunfälle gelten neben den zu hohen Geschwindigkeiten auch Unachtsamkeit und Ablenkungen beim Autofahren wie das Hantieren mit Smartphones. Im Jahr 2021 waren diese beiden Kategorien für mehr als die Hälfte aller tödlichen Verkehrsunfälle in Österreich verantwortlich, weit vor Vorrangverletzungen oder Alkohol am Steuer.43

Tempo 30 rettet Leben

Bei Tempo 30 statt 50 sinkt das Risiko tödlicher Verletzungen bei einem Unfall um 75 Prozent.95 Das spiegelt sich in der Unfallstatistik von Städten wider, die Tempo 30 zum Standard gemacht haben. Das in vielen Städten nach wie vor zu hohe Tempo auf den Straßen, das durch breite Fahrbahnen gefördert wird, der allgemein starke Kfz-Verkehr sowie die vielerorts mangelhafte Infrastruktur für Radfahren und Gehen verleiten in Folge viele Eltern dazu, ihre Kinder mit dem Auto zur Schule und zu Freizeitaktivitäten zu bringen, wodurch noch mehr Kfz-Verkehr entsteht.95

Hier ist Besserung in Sicht, vielerorts in Europa ist innerstädtisches Tempo 30 mittlerweile die Norm. In Graz, wo mit wenigen Ausnahmen seit dem Jahr 1992 flächendeckend Tempo 30 gilt, ging die Zahl der Verkehrstoten stark zurück, von im Schnitt 16 Todesopfer pro Jahr drei Jahre vor der Einführung auf durchschnittlich neun Todesopfer drei Jahre nach der Einführung.99 Im Jahr 2021 wurde das System in Graz noch grundlegend vereinfacht: Im gesamten Stadtgebiet – ausgenommen auf Vorrangstraßen – gilt Tempo 30. Das wird durch Verkehrstafeln bei den Ortstafeln angezeigt, es wird nicht mehr jeder Tempo 30-Bereich eigens beschildert.151

Immer mehr Städte reduzieren Verkehrsgeschwindigkeit

Paris hat im August 2021 flächendeckend Tempo 30 eingeführt, Ausnahmen bilden nur die Hauptverkehrsstraßen.2 Im Jahr 2024 sollen in der französischen Hauptstadt sieben innerstädtische Arrondissements (Stadtbezirke) weitgehend autofrei werden.77, 174 Derselbe Trend ist in Brüssel zu beobachten. Dort wurde schon davor mit Jänner 2021 großflächig Tempo 30 umgesetzt. Im ersten Jahr seit der flächendeckenden Einführung von Tempo 30 hat sich die Zahl der Verkehrstoten in Belgiens Hauptstadt halbiert.197 Die Zahl der Schwerverletzten ist um 22 Prozent gesunken, die Lärmbelastung um bis zu 4,8 Dezibel zurückgegangen.29

In Deutschland haben sich im Jahr 2021 mehr als 60 Städte einer Initiative angeschlossen, die Tempo 30 zum Regelfall und Tempo 50 zur Ausnahme im Ortsgebiet machen soll. Aachen, Augsburg, Freiburg im Breisgau, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm haben angekündigt, in einem Pilotprojekt großflächig Tempo 30 zu testen. Bisher können Gemeinden in Deutschland Tempo 30 nur auf Gemeindestraßen verordnen, nicht aber auf Landes- und Bundesstraßen – es ist hier aber eine Änderung angekündigt.119

In Helsinki wurde im Jahr 2018 Tempo 30 umgesetzt. Nur auf großen Verkehrsachsen darf 40 Stundenkilometer gefahren werden. Auch in Oslo wurden viele neue Tempo 30-Zonen eingerichtet und mehr Flächen für Gehende und Radfahrende freigemacht. In beiden Städten sind im Jahr 2019 erstmals weder Gehende noch Radfahrende im Straßenverkehr ums Leben gekommen.72 In den Niederlanden hat das Parlament im Jahr 2020 beschlossen, Tempo 30 innerorts als Regelgeschwindigkeit einzuführen. Tempo 50 kann nur mehr als zu begründende Ausnahme weiterhin verordnet werden.5 Auch in Spanien gilt seit Mai 2021 innerorts standardmäßig Tempo 30 auf Straßen mit einer Fahrspur je Richtung, auf Straßen mit insgesamt nur einer Fahrspur Tempo 20.3

Autotüren und Sichtbehinderungen als Gefahren

Aber nicht nur hohes Tempo ist ein Risiko. Eine Erhebung der deutschen Versicherungswirtschaft hat ergeben, dass fast jeder fünfte Unfall mit Beteiligung von Radfahrenden oder Gehenden in Zusammenhang mit geparkten Kraftfahrzeugen steht. Etwa durch plötzliches Öffnen von Autotüren in ihrer Fahrspur. In Österreich waren bereits drei Viertel der Radfahrenden aufgrund von plötzlich geöffneten Autotüren in einen Unfall oder in eine kritische Situation verwickelt.140

Für Gehende sind Sichtbehinderungen durch geparkte Kraftfahrzeuge gefährlich, die indirekt dann zu Unfällen führen.73, 145 Vor allem hohe Autos wie Lieferwagen, Pick-up oder SUV behindern die Sicht auf das Verkehrsgeschehen und umgekehrt der Kraftfahrzeuglenkenden auf Gehende, die die Fahrbahn queren möchten. Deshalb ist es wichtig, das Halte- und Parkverbot vor Schutzwegen von derzeit fünf auf mindestens zehn Meter auszuweiten.55

Barrierefreiheit und Wohlbefinden für die Teilhabe aller an gesunder Mobilität

Insgesamt leben 1,3 Millionen Menschen mit einer Behinderung in Österreich.22 Viele davon benötigen barrierefrei gestalteten öffentlichen Raum, um sicher, selbstbestimmt und bewegungsaktiv mobil zu sein. Für gehbehinderte Menschen erhöhen etwa Stufen oder Bordsteinkanten als Hindernisse das Risiko für Stürze. Traditionelle Kopfsteinpflaster senken zwar die gefahrene Geschwindigkeit, erschweren aber die Mobilität von Rollstuhlfahrenden und Menschen mit Rollator. Deshalb kommen in Begegnungszonen in der Regel barrierefreie Pflasterungen zum Einsatz, etwa in der Wiener Mariahilfer Straße oder in der Schmidgasse in Graz.

Sowohl für viele Ältere als auch für Menschen mit Gehbehinderungen sind Sitzgelegenheiten von großer Bedeutung, die ihnen regelmäßige Erholungspausen und damit überhaupt erst Fußwege ermöglichen. Eine Gestaltung des öffentlichen Raums nach den Bedürfnissen von Menschen mit Gehbehinderung erleichtert auch die Mobilität mit Kinderwägen. Sitzgelegenheiten und das Beseitigen von Stolperfallen nutzen allen.

Menschen mit Sehbehinderung profitieren davon, wenn sich Fahrbahnen und Gehbereiche durch starke Kontraste voneinander abheben. Dasselbe gilt für Bepflanzungen, Sitzgelegenheiten oder Poller: je besser der Kontrast zum Untergrund, desto geringer die Gefahr von Zusammenstößen. Für blinde Menschen ist es notwendig, dass sie sich in den Gehbereichen taktil orientieren können – insbesondere in Begegnungszonen, wo keine Orientierung durch Gehsteigkanten vorhanden ist. Entsprechende Leitsysteme sind eine große Hilfe. Wichtig ist, dass die Leitsysteme nicht unterbrochen werden, etwa durch Mistkübel, Pflanztröge oder Schanigärten.128 In Graz entstand aus der Zusammenarbeit mit sehbehinderten Menschen das „Grazer T“ genannte Leitsystem aus Rillen und Noppen. Diese führen zu Überquerungen für Gehende und lassen den Beginn der Fahrbahn erkennen. Da blinde Menschen deshalb nicht mehr die Gehsteigkante als Markierung benötigen, kann der Gehsteig in diesen Bereichen auf das Fahrbahnniveau abgesenkt werden. Davon profitieren vor allem Menschen im Rollstuhl sowie Menschen mit Kinderwägen oder Rollator.150

Nicht zuletzt ist auch der barrierefreie Zugang zum Öffentlichen Verkehr ein Kriterium dafür, dass körperlich beeinträchtigte Menschen zumindest Teilstrecken problemlos zu Fuß bewältigen können. Die Wiener Linien haben unter Einbeziehung der Behindertenverbände neue Regelpläne erstellt, um Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs künftig für alle Menschen mit Behinderung sicherer zu gestalten.189, 129

In der Wiener Mariahilfer Straße ging die Zahl der Verkehrsunfälle mit Personenschaden seit der Fertigstellung der Begegnungszone im Jahr 2014 um drei Viertel zurück.

Fahrradstädte sind für Kinder gut

Den Zusammenhang zwischen Radfahren und der Entwicklung von Kleinkindern unter drei Jahren analysiert die Studie „Cycling Cities for Infants, Toddlers & Caregivers”, die die internationale Fahrrad-Organisation BYCS mit Sitz in Amsterdam im Jahr 2020 gemeinsam mit der Bernard van Leer Foundation veröffentlicht hat. Neben positiven Gesundheitseffekten fördert die Fahrradnutzung auch motorische und räumliche Fähigkeiten von kleinen Kindern. Es zeigt sich, dass gemeinsames Radeln mit Kindersitz am Fahrrad einem Kind auch die Chance gibt, eine engere Verbindung zu seinen Bezugspersonen und dem lokalen Umfeld aufzubauen. Der Bericht liefert Empfehlungen und Handlungsanleitungen für Betreuungspersonen, die Kinder am Rad mitnehmen möchten. Und ebenso für Städte, wie das Radfahren mit Kindern gefördert werden kann – durch infrastrukturelle oder bewusstseinsbildende Maßnahmen.

Nach nur einem Jahr flächendeckendes Tempo 30 wurden in Brüssel um die Hälfte weniger Verkehrstote und um ein Fünftel weniger Schwerverletzte als in den den Vorjahren verzeichnet.

Der VCÖ setzt sich als gemeinnützige Organisation für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Der Einsatz des VCÖ ist nur Dank der Unterstützung durch Spenden möglich - jetzt spenden

Tempo 30 als Regel statt Ausnahme

In der belgischen Hauptstadt Brüssel gilt seit 1. Jänner 2021 auf fast allen Straßen Tempo 30 als Regel und nicht als Ausnahme. Nur wenige Hauptverkehrsachsen sind ausgenommen – dort muss 50 km/h extra ausgeschildert werden. Das führte bereits im Jahr 2021 zu einem markanten Rückgang der Unfälle um rund 20 Prozent. Die Zahl der Todesopfer und Schwerverletzten im Verkehr nahm um 55 Prozent beziehungsweise 22 Prozent ab. Auch der verkehrsbedingte Lärm nahm in einigen Teilen der Stadt ab. Vor der Neuregelung hat es schon in rund 40 Prozent der Straßen ein Tempolimit von 30 km/h gegeben, doch die generelle Absenkung des Tempolimits hat das Verhalten geändert und den Autoverkehr insgesamt beruhigt. Auch dort, wo noch Tempo 50 erlaubt ist, sanken die gefahrenen Geschwindigkeiten. Und es wird auch merklich mehr Fahrrad gefahren.

Pro Jahr sterben in Österreich durchschnittlich etwa zehn Gehende auf Schutzwegen, durchschnittlich werden um die 1.000 Menschen jährlich verletzt.

Öffentlichen Raum neu denken

  • Tempo 30 als Standardgeschwindigkeit im Ortsgebiet für mehr Verkehrssicherheit und Lebensqualität verordnen.

  • Sichere Straßengestaltung durch ausreichend breite, getrennte Rad- und Gehwege sowie Begegnungszonen können Verkehrsunfälle nachweislich reduzieren.

  • Faire Aufteilung des öffentlichen Raums durch die Reduktion von Auto-Abstellflächen und der Schaffung einer barrierefreien, übersichtlichen Infrastruktur verbessert die Attraktivität und Verkehrssicherheit für alle.

Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum

Häufigkeit und Dauer des Aufenthaltes im öffentlichen Raum hängen auch davon ab, wie wohl und wie sicher sich Menschen dort fühlen.79 So ist etwa in Parks ein Mittelweg zwischen Naturnähe und Ordnung vermittelnden Strukturen zielführend. Im Idealfall wirkt der öffentliche Raum offen und übersichtlich und bietet trotzdem vereinzelte Rückzugsräume, die eine gewisse Privatsphäre ermöglichen. Auf Straßen und öffentlichen Plätzen steigern Schanigärten oder Imbissstände als „soziale Augen“ das subjektive Sicherheitsempfinden, ebenso jede Art belebter Erdgeschoßzonen. Während der Nachtstunden sollten Hauptgehwege und Radwege gut ausgeleuchtet sein, ohne große Umwege zu erfordern. Um das subjektive Sicherheitsempfinden vor allem in der Nacht weiter zu erhöhen, sollten Infrastrukturen wie Haltestellen, Taxistände oder Rad-Abstellanlagen gebündelt werden, um höhere Nutzungsfrequenz zu erzielen und diese Orte stärker zu beleben.154

Weniger Autoverkehr bringt Platz für alle

Den Platz um vielfältige Aktivitätszonen im öffentlichen Raum einzurichten, verbraucht in den meist dicht verbauten Städten derzeit der Kfz-Verkehr, der bislang überproportional stark Flächen in Anspruch nimmt.153 Während etwa in Wien nur 27 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, beanspruchen Fahrspuren und Abstellflächen für Pkw etwa zwei Drittel der Straßenflächen.110 Deutlich ist die Bevorzugung des Kfz-Verkehrs auch im Vergleich von Straßennetz und Radwegenetz ersichtlich. So standen etwa im Jahr 2018 in Linz 734 Straßenkilometern nur 136 Kilometer Radfahranlagen gegenüber. Dabei entfallen rund 17 Kilometer auf Radfahr- und Mehrzweckstreifen und rund 119 Kilometer auf Radwege. In Graz machen die 128 Kilometer Radfahranlagen nicht einmal zehn Prozent der 1.330 Straßenkilometer aus.131 Aber in Graz gilt auf rund 80 Prozent der Straßen Tempo 30, was das sichere Radfahren auch ohne eigene Radinfrastruktur möglich macht, In Linz wiederum gilt lediglich auf rund 45 Prozent der Straßen Tempo 30.

Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum schaffen

Weniger Kfz-Verkehr und geringere Geschwindigkeiten erhöhen die Verkehrssicherheit und damit die Nutzbarkeit des öffentlichen Raums. Um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen, sollte im öffentlichen Raum neben Aufenthalts- und Sitzmobiliar auch ausreichend Platz für Bäume und Stadtgrün, Trinkbrunnen, Wasserflächen und Spiel-Möglichkeiten vorhanden sein. Auch die in der RVS vorgesehene Mindestbreite von zwei Meter breiten Gehsteigen ist in vielen Städten Österreichs in den Innenstädten nicht eingehalten. Für einen sicheren Aufenthalt für alle bewegungsaktiven Verkehrsteilnehmenden sorgen gut abgesicherte und vor allem breite Wegenetze, so dass sich Gehende, Sitzende, Stehende, mit Scootern oder Skateboards Rollende und Radfahrende mit entsprechend Platz begegnen können.

Besonders Kinder und Jugendliche, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen können dadurch selbstständig und aktiv mobil sein und den öffentlichen Raum auch für Freizeitaktivitäten nutzen. Begegnungs- und Fußgängerzonen eignen sich hervorragend dafür. Das Tempo ist auf 20 Stundenkilometer beschränkt, alle am Verkehr Teilnehmenden dürfen den Straßenraum gleichberechtigt nutzen, was eine erhöhte gegenseitige Rücksichtnahme zur Folge hat.121 Am Grazer Sonnenfelsplatz führte die Einführung einer Begegnungszone im Jahr 2011 zu einer Halbierung der Unfallzahlen mit Personenschaden.171

Städte stellen Verkehrsflächen für multifunktionale Nutzungen zur Verfügung

Tatsächlich schlagen international immer mehr Städte neue Wege ein und öffnen bislang primär Autos vorbehaltene Flächen für andere Nutzungen. In Rom beispielsweise ist die Innenstadt bereits seit 15 Jahren beinahe komplett autofrei. Die Zufahrt ist nur für Anwohnerinnen und Anwohner erlaubt. Paris soll sich langfristig zu einer 15-Minuten-Stadt entwickeln. In den einzelnen Stadtvierteln sollen sich Wohnraum, Einkaufsmöglichkeiten, Co-working Spaces für dezentrales Arbeiten, Gesundheitseinrichtungen sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen ergänzen, sodass fast alle Wege ohne Auto in weniger als 15 Minuten zu bewältigen sind. In so einem Konzept treten Autos automatisch in den Hintergrund. Es entsteht genügend Raum für sicheres Gehen und Radfahren und mehr Platz für Grünräume und Spielplätze.60, 58


 

Grüne Straßen und Plätze kühlen die Stadt

Die Klimakrise ist an Hitzetagen in dicht bebauten Siedlungsgebieten besonders spürbar. Neben konsequentem Klimaschutz braucht es in den städtischen Straßen dringend mehr Platz für Begrünung und Stadtbäume als natürlichen Schatten und als Schutz vor urbaner Hitze. Damit der Umbau gelingt, sind integrierte Lösungsansätze gefragt.

Zunehmende Erderhitzung aufgrund der Klimakrise ist ein globales Phänomen. Die Auswirkungen sind regional sehr unterschiedlich. Österreich ist durch seine kontinentale Lage ohne kühlende Meeresküsten besonders stark von der Temperaturerhöhung durch die Klimakrise betroffen. Auch reagieren die Alpen bei einer Veränderung des Klimas besonders sensibel, weil sie als Ost-West-Barriere zwischen dem Mittelmeerklima und dem Klima des nördlichen Europas fungieren.152

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Für Wien beispielsweise wird gegenüber dem Jahr 1990 von einem Temperaturanstieg von 2,2 Grad Celsius bis 3,8 Grad Celsius im Jahresmittel bis zum Jahr 2100 ausgegangen.206, 208 Für Kärnten wird sogar mit einem Anstieg bis zu 4,2 Grad Celsius im Jahresmittel gerechnet.207 Messdaten der letzten Jahrzehnte zu Tagen mit mindestens 30 Grad Celsius Außentemperatur zeigen bereits jetzt deutliche Veränderungen. Im Zeitraum der Jahre 1961 bis 1990 gab es in den meisten Landeshauptstädten Österreichs pro Jahr zwischen fünf und elf Hitzetage, also Tage mit mehr als 30 Grad Celsius. Die Rekorde lagen bei 20 Hitzetagen pro Jahr. Zwischen den Jahren 1991 bis 2020 gab es durchschnittlich zwischen 16 und 22 Hitzetage, die Höchstwerte lagen bei über 40 Hitzetagen.210

Auswirkungen urbaner Hitze auf die Gesundheit

In Bezug auf unsere Gesundheit ist die Datenlage eindeutig. Die zunehmende Hitze im Sommer führt zu einer erhöhten Gesundheitsbelastung sowie Sterblichkeit und betrifft besonders ältere Menschen und Kinder sowie Menschen mit Vorerkrankungen. Im besonders heißen Sommer im Jahr 2018 gab es 550 vorzeitige Todesfälle durch Hitze in Österreich.1 Mit der Zunahme von Hitzetagen treten auch allgemeine gesundheitliche Risiken vermehrt auf. Ab einer Temperatur von 25 Grad Celsius ist die körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und ab 29 Grad Celsius auch die geistige. Auch die fehlende nächtliche Abkühlung während sogenannter „Tropennächte“, das sind Nächte in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius sinkt, beeinflusst das individuelle Wohlbefinden negativ. Die Schlafqualität und damit die Erholung während der Nacht werden durch die Hitze gemindert, was auch eine niedrigere Hitzetoleranz für den nächsten Tag bedeutet.15 Hinzu kommt, dass sich Luftschadstoffe bei einer größeren Hitzebelastung stärker auf die Gesundheit auswirken.134 Studien zu kombinierten Effekten von Luftschadstoffen, Temperatur, zu wenigen Grünflächen, Pollen und Lärm deuten darauf hin, dass sich die Wirkungen der unterschiedlichen Umweltfaktoren gegenseitig verstärken und damit negativ auf die Gesundheit auswirken.92

Lebensqualität trotz urbaner Hitze herstellen

Um die Lebensqualität der Bevölkerung auch in der Klimakrise zu erhalten, ist die Widerstandsfähigkeit der Stadt gefragt. Im UN-Habitat-Programm der Vereinten Nationen für urbane Entwicklungen wurde diese unter dem Begriff „urbane Resilienz“ und dazugehörige, evaluierbare Indikatoren zusammengefasst.187 Ambitionierter Klimaschutz ist die einzige Möglichkeit, die negativen Auswirkungen der Klimakrise langfristig zu bremsen. Doch zusätzlich braucht es auch wirksame Anpassungsmaßnahmen, um das Leben in Städten und Gemeinden – mit vermehrten Tropennächten und Hitzetagen – in den nächsten Jahrzehnten erträglich zu machen.

Kaltluftschneisen und Grünräume für Städte

Zur Erhöhung der Resilienz der Städte und Gemeinden müssen möglichst schnell Strategien und Maßnahmen zur Klimakrisenanpassung entwickelt und umgesetzt werden. Viele Maßnahmen liegen auf der Hand: Kaltluftschneisen von Bebauung freihalten, weniger versiegeln, aktiv entsiegeln, ein sorgsamer Umgang mit Regenwasser, mehr Schatten und mehr Grün. Eine messbare Abkühlung der städtischen Umgebung zeigen Parks ab einer Größe von etwa 2,5 Hektar – was der Größe von zwei Fußballfeldern entspricht.152 Städte sind jedoch komplexe Gefüge, was ortspezifisches Handeln und Planen voraussetzt. So hat ein großer Park, der rundum dicht verbaut ist, eine viel geringere kühlende Wirkung auf die Umgebung als ein kleinerer, idealerweise auf einem Hang gelegener Park, der den Kaltluftfluss in die darunter liegende Stadt gewährleistet. Professionelle Klima- sowie Hitzekarten berücksichtigen bei ihren Analysen daher stadträumliche sowie naturräumliche Gegebenheiten und sollen die strategische Stadtentwicklung unterstützen. In Graz muss beispielsweise in Bereichen der Stadt, die Einfluss auf die Kaltluftbahnen haben, ein sensibles Bebauungskonzept vorgelegt werden. In Wien und Linz ist eine derartige Vorgehensweise in Bearbeitung und wird teilweise schon umgesetzt. Auch Klagenfurt prüft, welchen Einfluss die kommunale Stadtentwicklung auf die Entwicklung der Hitzebelastung nehmen kann.152

Bäume als natürliche Klimaanlagen

Pflanzen und Wasser kühlen. Da sich die Blätter von Bäumen nicht stärker erwärmen als die Umgebungstemperatur, wirken sie temperaturmindernd. Das ist ein wichtiger Vorteil von Straßenbäumen gegenüber gebautem Sonnenschutz oder Sonnenschirmen, denn bauliche Maßnahmen zur Beschattung sowie befestigte Oberflächen können an heißen Tagen leicht eine Strahlungswärme von 40 Grad und noch mehr erreichen.126 Der natürliche Schatten bei einer gesunden Linde mit 25 Meter Höhe hat eine Blattfläche von rund 1.600 Quadratmeter und kann bis zu 400 Liter Wasser pro Tag verdunsten.188 Wenn genug Wasser im Boden vorhanden ist, dann schaffen gesunde Bäume der richtigen (Zukunfts-)Baumarten ab dem 20. bis 25. Lebensjahr neben der natürlichen Beschattung auch Kühlleistungen aus der Transpiration der Blätter. Die Bäume wirken dann wie ein Docht, der das Wasser aus dem Boden holt und permanent an die Umgebung abgibt. Dadurch entsteht angenehme Verdunstungskühle, die in begrünten Straßen wie beispielsweise Alleen direkt zu spüren ist.147 Auch gegenüber der Verdunstungskühle von Straßenbäumen sind technische Straßeneinbauten wie Nebelduschen schwächer wirksam, da sie verkeimen können und hohen technischen Wartungsaufwand benötigen. Bei der Untersuchung von 293 europäischen Städten wurden die Temperaturunterschiede von Grünzonen mit und ohne Beschattung durch Bäume verglichen. Es wurden auch vier österreichische Städte untersucht. In Wien waren Grünflächen mit Bäumen im Sommer im Durchschnitt um elf Grad Celsius kühler und Grünflächen ohne Bäume um 5,5 Grad Celsius kühler als stark versiegelte Flächen. Ähnlich in Linz: Grünflächen mit Bäumen sind um 12,5 Grad Celsius und ohne Bäume um 4,5 Grad Celsius kühler als bebaute Gebiete. Besonders hohe Unterschiede wurden in Salzburg und Innsbruck festgestellt: Grünflächen mit Bäumen waren 14 beziehungsweise 15,5 Grad Celsius kühler, Grünflächen ohne Bäume waren um acht beziehungsweise sieben Grad Celsius kühler als versiegelte Flächen.147 Besonders vitale und gut eingewachsene Bäume bringen eine Vielzahl an Ökodienstleistungen. Neben ihrem natürlichen Schatten und der Kühlung durch Verdunstung zählen Filterung von Staub und Aerosolen, Abminderung von Winden durch Baumreihen sowie Erhöhung des Wohlbefindens und der Lebensqualität im Stadtteil zu wichtigen Leistungen.134, 107, 28

Stadtbäume sorgen für angenehmes Stadtklima

Natürliche Klimaanlage, Schattenspender, CO2-Speicher – dank ihrer natürlichen Eigenschaften sind Bäume in der Stadt Verbündete gegen die Klimakrise und ein Aufheizen der Städte. Immer mehr Städte setzen auf Begrünung und Abkühlung des Straßenraums durch das Pflanzen von Bäumen. So auch Freistadt in Oberösterreich. Dort hat der Gemeinderat im Dezember 2021 einstimmig den Grundstein für einen klimafitten Hauptplatz gelegt. Bäume werden nach dem innovativen „Schwammstadt-Prinzip“ gepflanzt, in einen aufbereiteten Boden, der genug Raum für die Wurzeln lässt und Wasser bei starken Regenfällen gut speichern kann. Das kommt nicht nur den Bäumen zugute. An heißen Tagen verdunstet das Wasser aus dem porösen Substrat und trägt so zur Abkühlung des Hauptplatzes bei. Schritt für Schritt soll der Hauptplatz grüner und schattiger werden.

Hitze ist schon heute ein ernstzunehmendes Problem in Städten. Maßnahmen wie Entsiegelung und mehr Grünflächen sind dringend notwendig, um die Lebensqualität in Städten aufrecht zu erhalten.
Straßenbäume kühlen das Mikroklima in Städten durch natürliche Beschattung sowie Kühlungstranspiration der Blätter. So beugen sie auch der Abstrahlungswärme versiegelter Flächen vor.

Der VCÖ setzt sich als gemeinnützige Organisation für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Der Einsatz des VCÖ ist nur Dank der Unterstützung durch Spenden möglich - jetzt spenden

Natürliche Kühlung durch Straßenbäume

  • Faire Aufteilung des Straßenraums mit mehr Grünräume und Bepflanzung ist notwendig, um urbane Hitze abzumildern.

  • Straßenbäume kühlen durch natürliche Beschattung, Verdunstung gespeicherter Flüssigkeit und Blatttranspiration und erhöhen somit Wohlbefinden und Lebensqualität vor Ort.

  • Für die Kühlfunktion brauchen Bäume Platz im Wurzelraum und für Hitzeperioden ausreichend Wasserspeicher im Boden.

Gesunde Bäume brauchen Platz

Die dringend notwendige Beschattung von versiegelten Oberflächen durch Bäume bedeutet auch, dass für sie im Straßenraum Platz sein muss. Sowohl dort, wo jetzt noch Pkw abgestellt sind, als auch im Untergrund, wo Wasser-, Strom-, Gas- und Telekabelleitungen viel Raum beanspruchen. Die Planung und Ausweisung von entsprechend großen Durchwurzelungsbereichen ist unbedingt vorzusehen und bedeutet eine intensive Abstimmung mit dem Tiefbau. Das Schwammstadt-Prinzip für Bäume schlägt genau in diese Kerbe. Angelehnt an die Praxis in Stockholm wird der Wurzelraum unter die benachbarten befestigten Flächen erweitert. Die Straße und generell befestigte Flächen sind auch im Untergrund multifunktional zu denken. Der Wurzelraum wird mit Hilfe eines speziellen Unterbaus aufgebaut, der einerseits den Bedingungen des Straßenbaus entspricht und andererseits den Bäumen zur Durchwurzelung zur Verfügung steht. Ziel sind mindestens 35 Kubikmeter durchwurzelbarer Raum je Baum. Das Oberflächenwasser kann je nach Verschmutzungsgrad direkt oder vorgereinigt in den Untergrund eingeleitet werden. Die Schwammstadt-Bauweise ist ein Planungsprinzip, um möglichst mit lokalen Materialien gesunde Bäume in den Städten und Gemeinden zu erhalten.28 Die Erfahrungen mit Baumpflanzungen der letzten 40 Jahre haben leider gezeigt, dass nahezu alle in diesem Zeitraum gepflanzten Bäume nicht langfristig erhalten werden können, weil ihnen zu wenig Lebensraum im Untergrund zugedacht wurde. Diese Bäume erreichen oft nur eine Lebenserwartung von 20 bis 25 Jahren und werden zu einem Zeitpunkt entfernt, wo vitale Bäume erst ihre volle mikroklimatische Wirkung entfalten. Es geht nicht nur um die Anzahl der Bäume, sondern um die Anzahl der richtig gepflanzten Bäume.

Nachholbedarf in Österreichs Städten

In Österreich gibt es noch wenige Beispiele für den großflächigen Umbau bestehender Stadtstrukturen im Sinne der Klimaanpassung. Die ersten Städte, die das Thema jetzt ganzheitlich betrachten sind in Österreich Wien, Graz und Linz. Dort wurden Stadtklimaanalysen in Auftrag gegeben und auf Basis der Ergebnisse Entscheidungen für künftige Stadtentwicklungen getroffen. In Linz startete die Baumpflanzoffensive „1.000 Bäume für Linz“ und in Graz die Offensive „Maßnahmenprogramm Grazer Stadtbaum“. Dazu hat der Fachbeirat für Klimaschutz dem Gemeinderat von Graz die Förderung von 1,45 Millionen Euro aus dem städtischen Klimafonds empfohlen, die im September 2020 angenommen wurde.

Ziel ist ein möglichst hoher Grad an natürlicher Beschattung des öffentlichen Raums durch Überschirmung mit Baumkronen. Im Fachkonzept Öffentlicher Raum zum Stadtentwicklungsplan STEP 2025 wurde in Wien bereits im Jahr 2018 festgehalten, dass Platzbereiche durch Bäume im ausgewachsenen Zustand zu 40 Prozent überschirmt sein sollen.28 Im Umweltverträglichkeitsprüfung-Bescheid aus dem Jahr 2015 für die Errichtung der Straßenfreiräume im Nordteil der Seestadt Aspern in Wien wurde bereits zuvor erstmals eine natürliche Überschirmung von 20 Prozent vorgeschrieben.

Internationale Beispiele zeigen, dass Baumpflanzungen im öffentlichen Raum sehr viele positive Effekte aufweisen.118 Die Stadt Pfaffenhofen an der Ilm in Bayern strebt einen natürlichen Überschirmungsgrad mittels Stadtbäumen von 60 Prozent an, dazu werden verschiedene Zukunftsbaumarten gepflanzt, um den Grad an Diversität und damit verbundener Pufferung gegenüber Krankheiten und Schädlingen hoch zu halten. So werden neben der Abpufferung von klimatischen Extremen wie Hitze und Hochwasser, auch die Erhöhung der Lebensqualität als positive Effekte angeführt.69 Auch Städte in Frankreich oder Kanada setzen neue Maßstäbe. Die französische Stadt Lyon setzt auf einen klimaoptimierten Umbau von Straßen mit der Baum-Charta „Charte de l’arbe Lyon 2012-2021“.  In einem umfassenden Leitfaden wird der richtige Umgang – von Standortbedingungen über Artenvielfalt bis Innovationsforschung – mit Stadt-bäumen erläutert.108 Auch Bordeaux in Frankreich sowie Montreal in Kanada haben bereits auf Basis einer Klima- und Vulnerabilitätsanalyse mit einer Klimaanpassungs- und Baumpflanzstrategie reagiert.75, 112


 

Bewegungsaktive Mobilität fördert die Gesundheit

Bewegungsmangel ist ein zunehmendes Problem. Aber Bewegung lässt sich gut in den Alltag integrieren, indem Wege zur Arbeit, Ausbildung oder in der Freizeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Eine faire Aufteilung von Verkehrsflächen schafft Platz für Rad- und Fußverkehr und erhöht die Aufenthaltsqualität. Damit entsteht ein großer gesundheitlicher und volkswirtschaftlicher Mehrwert.

Regelmäßige Bewegung hilft unter anderem gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ 2 Diabetes, Adipositas, Demenz und andere chronische Erkrankungen.172, 122 Damit erhöhen sich auch die gesunden, beschwerdefreien Jahre im Alter. Bewegung senkt ebenso das Risiko für Schlafstörungen und psychische Erkrankungen wie depressive Störungen um bis zu 45 Prozent.203 Die WHO empfiehlt mindestens 150 Minuten moderate bis intensive regelmäßige körperliche Aktivität für Erwachsene pro Woche, das sind etwas mehr als 20 Minuten pro Tag. Kinder und Jugendliche sollten sich 60 Minuten pro Tag bewegen.32 In Österreich bewegen sich einer von vier Erwachsenen und vier von fünf Jugendlichen nicht ausreichend.

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Mehr als fünf Millionen vorzeitige Todesfälle ließen sich weltweit durch mehr Bewegung jedes Jahr vermeiden. Bewegung kann gut in den Alltag integriert werden, wenn regelmäßige Wege, etwa zur Arbeit, in die Schule oder zum Einkaufen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. In Dänemark haben so Radfahrende beispielsweise im Durchschnitt jährlich zwei Krankenstandstage weniger als jene, die vor allem das Auto am Weg zur Arbeit nutzen.88 Kinder, die mit dem Rad zur Schule fahren, sind im Schnitt fitter, konzentrierter und selbstständiger als Kinder, die mit dem Elterntaxi zur Schule gebracht werden.123 Durch die angestrebte Verdoppelung des Radverkehrsanteils in Österreich bis zum Jahr 2025 auf 13 Prozent sollen in Folge 2.200 vorzeitige Todesfälle jährlich vermieden werden.63 In Österreich verursacht Bewegungsmangel durch Ausgaben im Gesundheitswesen sowie durch Produktivitätsentgang und Berufsunfähigkeit Kosten in Höhe von 1,6 bis 2,4 Milliarden Euro jährlich. Dies entspricht 0,5 bis 0,7 Prozent des Brutto-Inland-Produkts.9 Jeder in aktive Mobilität investierte Euro hat einen Nutzen von 3,5 Euro, der kumulierte volkswirtschaftliche Nutzen zwischen den Jahren 2020 und 2030 beträgt für Österreich 7,8 Milliarden Euro.175

Allerdings sind die Voraussetzungen für bewegungsaktive Mobilität oft verbesserungsbedürftig. In den Städten sind Gehsteige häufig zu schmal – in Wien sind 38 Prozent weniger als die von den offiziellen Planungsrichtlinien RVS empfohlenen zwei Meter breit.124 Hinzu kommen Hindernisse wie kommerzielle Werbeinstallationen, Verkehrszeichen oder illegal abgestellte Kraftfahrzeuge. Eine faire Aufteilung von Verkehrsflächen schafft mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität und damit gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Mehrwert. Verstärkt wird dieser Effekt durch eine Gestaltung des öffentlichen Raums, die zum Gehen und Verweilen einlädt, mit Sitzgelegenheiten, Bäumen und Begrünung.105

Flächendeckende Parkraumbewirtschaftung Um Raum für eine zum Gehen und Radfahren anregende Gestaltung des öffentlichen Raums zu gewinnen, ist es notwendig, den hohen Flächenanspruch des Autoverkehrs zu reduzieren. So beansprucht beispielsweise in Wien der Kfz-Verkehr etwa zwei Drittel der Straßenfläche.173  Alleine das Abstellen von Fahrzeugen beansprucht in Wien 28 Prozent der Straßenfläche, in Kopenhagen sind es nur 16 Prozent.84 Parkraumbewirtschaftung ist ein wirksames Instrument, um die Flächeninanspruchnahme des Autoverkehrs zu reduzieren. In Amsterdam ist das Abstellen von Pkw im gesamten Stadtgebiet kostenpflichtig, in einem Zonenmodell steigen die Preise hin zum Stadtzentrum. Im April 2019 wurden die Preise für das Parken im Straßenraum deutlich erhöht, in den einzelnen Zonen unterschiedlich stark, im Schnitt um 66 Prozent, von 2,55 Euro auf 4,22 Euro pro Stunde. Im Stadtzentrum stiegen die Stundenpreise von fünf Euro auf 7,5 Euro. Nach dieser Erhöhung lagen die Preise in den Parkhäusern weniger als zehn Prozent über dem des Straßenparkens. Die Nutzung der Straßenparkplätze sank um 17 Prozent.127

Flächendeckende Kurzparkgebühren sorgen in Paris für weniger Autoverkehr

In Paris wurde mit Jänner 2018 eine umfassende Parkraumreform für die 141.000 Pkw-Abstellplätze im Straßenraum in Kraft gesetzt. Eine Stunde kostet in der inneren Zone vier Euro, in der äußeren 2,4 Euro, ab der dritten Stunde steigen die Gebühren, um zur Nutzung von Parkhäusern zu motivieren. Für eine effiziente Überwachung wurde die Zuständigkeit von der Polizei zur Stadtverwaltung verlagert. Für Anwohnerinnen und Anwohner gibt es eigene Tarife. In den ersten vier Monaten sank das Aufkommen des Pkw-Verkehrs um 6,5 Prozent, in der morgendlichen Verkehrsspitze sogar um 8,2 Prozent, und am Abend um 6,7 Prozent.127 Bis zum Jahr 2025 soll die Anzahl der Kfz-Abstellplätze um 50 Prozent reduziert werden, um mehr Platz für Radinfrastruktur aber auch Begrünung, Erholungsflächen und Kinderspielplätze zu schaffen. Das bedeutet, es werden fast 70.000 Pkw-Abstellplätze entfernt.65 Bis zum Jahr 2026 sollen mehr als 170.000 Bäume gepflanzt und 130.000 Fahrrad-Abstellplätze errichtet werden.51 In Amsterdam soll die Anzahl der Pkw-Abstellflächen im Straßenraum bis zum Jahr 2025 um 10.000 verringert werden.11

Ganz Wien ist nun Kurzparkzone

In Wien ist seit März 2022 das gesamte Stadtgebiet gebührenpflichtige Kurzparkzone. Die Erfahrungen in den schon bisher parkraumbewirtschafteten Bezirken zeigen die positiven Effekte: Nach Einführung der Parkraumbewirtschaftung in den Bezirken westlich des Gürtels nahm der Pkw-Verkehr nach Wien an der Autobahn-Zählstelle Pressbaum von Jänner bis August 2013 im Vorjahresvergleich um 7,5 Prozent beziehungsweise 1.000 Fahrzeuge pro Tag ab. Die Stellplatzauslastung ist in allen Bezirken deutlich gesunken, das schafft Möglichkeiten für eine zum Gehen und Radfahren motivierende Gestaltung des freiwerdenden Raums. Das Wiener Modell hat aber noch Verbesserungspotenzial: Die Gebühren sind mit 2,20 Euro pro Stunde im internationalen Vergleich billig und es fehlt eine Zonenstaffelung.160  Die Dauernutzung des öffentlichen Raums für das Abstellen eines Pkw mit Parkpickerl kostet pro Quadratmeter und Monat nur einen Euro, für einen Schanigarten fallen – je nach Lage – bis zu 20,70 Euro pro Quadratmeter an.157

Superblocks wie in Barcelona

Ein anderes Konzept verfolgt Barcelona. Dort wird Autoverkehr reduziert, indem der zur Verfügung gestellte Raum verengt wird. Das erste Pilotprojekt wurde bereits im Jahr 1993 umgesetzt und ist seit dem Jahr 2013 ein wesentlicher Bestandteil der Stadtplanung. So wurden zwischen den Jahren 2017 und 2020 über das gesamte Stadtgebiet verteilt sieben sogenannte Superblocks eingerichtet.

Ein Superblock besteht aus maximal drei mal drei herkömmlichen Häuserblöcken, innerhalb derer alle Straßen zu Begegnungszonen werden. Es gilt Vorrang für Gehende und Radfahrende, Kfz dürfen nur noch zufahren, aber nicht durchfahren und es gibt nur eine Fahrspur mit maximal Tempo 10 oder 20. Ein System von Einbahnstraßen verhindert Durchzugsverkehr. Die geringere Anzahl an Kfz-Abstellflächen steht ausschließlich Anrainerinnen und Anrainern zur Verfügung. Nur die Bewohnerinnen und Bewohner sowie Einsatz- und Servicefahrzeuge haben Zufahrt.136 Dazu kommen zahlreiche zusätzliche Bäume, Sitzgelegenheiten und Spielplätze. Der Durchzugsverkehr inklusive Linienbussen und Straßenbahnen bleibt auf die außerhalb der Superblocks angrenzenden Straßen limitiert.

Kleine Nachbarschaften mit großer Wirkung

Vorgesehen sind in Barcelona insgesamt 503 Superblocks.4 60 Prozent der zuvor von Autos genutzten Flächen werden dadurch für andere Nutzungen frei. Die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit sind groß, es könnten rund 660 vorzeitige Todesfälle pro Jahr vermieden werden, die Lebenserwartung für Erwachsene würde im Schnitt um 200 Tage steigen.115 Bewirkt wird das durch den Rückgang von Stickoxiden und Lärm, Reduktion der Umgebungstemperatur aber auch mehr körperliche Aktivität, weil mehr Alltagswege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Der ökonomische Nutzen bei Umsetzung der 503 Superblocks liegt laut Studie bei 1,7 Milliarden Euro pro Jahr.

Zusätzlich zum gesundheitlichen Nutzen sind auch Erfolge für die lokale Ökonomie zu verzeichnen: In den verkehrsberuhigten Zonen stieg auch die Anzahl der Geschäfte um 30 Prozent. Aufgrund des Erfolgs hat die Stadtverwaltung angekündigt, bis zum Jahr 2030 einen Super-Superblock zu errichten. Dieser soll insgesamt ein Netz aus 21 Straßen umfassen, mit besonderem Augenmerk auf eine für Kinder und ältere Menschen sichere Gestaltung. Mindestens 80 Prozent der Straßen dieses Super-Superblocks sollen künftig durch Bäume beschattet werden, zudem sollen als Maßnahme der Klimakrisenanpassung mindestens 20 Prozent der bisherigen Straßenbeläge wasserdurchlässig werden, die Hälfte davon als Grasflächen.19, 25

Kiezblocks und Supergrätzl – Stadtumbau auch in Berlin und Wien wirkungsvoll

Neben Barcelona wurden Superblocks auch in anderen spanischen Städten umgesetzt und sie haben internationale Vorbildwirkung. In Berlin heißen die Superblocks „Kiezblocks“.47 Die Wiener Version des Superblocks ist das „Super- grätzl“.163 Exemplarisch für Städte in Österreich wurde in einer Studie das Potenzial des Superblock-Konzepts in drei Testgebieten in Wien untersucht.7 Die Umsetzung wäre mit zahlreichen positiven Effekten verbunden: Durch eine sukzessive Reduktion von Kfz-Abstellplätzen im öffentlichen Raum könnte mehr Platz für Menschen geschaffen werden. Bisher versiegelte Flächen könnten neue Freiraumnutzungen ermöglichen und grüner werden. Die Straßenräume im Wohnumfeld würden dadurch wesentlich ruhiger und kühler und ermöglichten mehr sozialen Austausch. Der Baumbestand könnte um das Sechsfache vergrößert werden, die potenziellen Grünflächen um das Fünffache. So würde auch der Pkw-Verkehr deutlich zurückgehen: Pro Person und Tag könnten in den ausgewählten Modellsuperblocks 0,8 Pkw-Kilometer und pro Superblock damit 0,7 Kilogramm CO2 vermieden werden.71 Ab dem Jahr 2022 soll die Umsetzung eines Supergrätzls im Wiener Bezirk Favoriten beginnen. Neben Wien interessiert sich in Österreich auch Graz für das Konzept. Laut dem Koalitionsabkommen der Grazer Stadtregierung aus dem Jahr 2021 soll im Stadtteil Wetzelsdorf ein verkehrsberuhigtes Viertel nach Vorbild der Superblocks entstehen.89

Die Umwandlung in gesunde Straßen und gesunde Plätze braucht mehr Platz für Stadtbäume, Öffentlichen Verkehr und aktive Mobilität in den Städten.

Junge Ideen in die Stadt bringen

Die Partizipation junger Menschen bei Entscheidungen verbessern und die intersektorale Zusammenarbeit in den teilnehmenden Städten Klagenfurt, Villach und Wörgl anhand des Themas aktive Mobilität stärken, das sind die Ziele des Projekts WIR BEWEGEN WAS!. Initiiert wurde das Projekt vom Netzwerk Gesunde Städte Österreichs, das in den Jahren 2019 bis 2021 umgesetzt wurde und Jugendliche befähigen, ermutigen und unterstützen soll, ihre Sichtweisen einzubringen und Projekte mit zu planen. Stadtverwaltungen und Jugendeinrichtungen erhielten so neues Wissen über Jugendliche und ihre Bedürfnisse und griffen deren Ideen auf. Ein konsumfreier öffentlicher Raum durch neue mobile Sitzmöbel in der Villacher Innenstadt, Bodenmarkierungen, die die Sichtbarkeit von Radfahrenden verbessern, ein Regenbogen-Zebrastreifen vor dem Jugendzentrum, der die Diversität unterstreicht – das waren nur einige der Ergebnisse.

Verkehrsberuhigte Nachbarschaften in Großbritannien

Low Traffic Neighbourhoods (LTN) sind Wohngebiete, in denen der Autoverkehr auf Anwohnerinnen und Anwohner beschränkt ist. In Großbritannien gibt es bereits mehr als 25.000 dieser Zonen. In London zeigte sich, dass sich in diesen Gebieten die Anzahl der durch Verkehrsunfälle Verletzten halbiert hat. In Waltham Forest, Vorreiter bei den äußeren Bezirken Londons, sind bereits fast die Hälfte der Wohngebiete LTN-Zonen mit wenig Verkehr und mit mehr neu gebauten Radwegen. Die Bewohnerinnen und Bewohner aus Waltham Forest gehen pro Woche im Schnitt um 115 Minuten pro Person mehr zu Fuß und fahren um 20 Minuten mehr mit dem Rad, der Autobesitz ist um sieben Prozent gesunken.

Arbeitsweg dient der Fitness

Um aktive Mobilität am Arbeitsweg in bestehende betriebliche Gesundheitsprogramme zu integrieren, werden im Projekt „AMIGO“ des Energieinstituts Vorarlberg gemeinsam mit der aks Gesundheit GmbH sowie dem Kanton St. Gallen und dem Staat Liechtenstein Maßnahmen entwickelt. Diese werden im Rahmen des Projekts in neun Pilotbetrieben mit Unterstützung von Fachleuten erarbeitet, getestet und anschließend analysiert. So sollen Lösungen gefunden werden, die Mobilitäts- und Gesundheitsmanagement verknüpfen, mit dem Ziel, Pendelnde auch aus Fitnessgründen zum Gehen, Radfahren oder dem Nutzen von Bus und Bahn sowie von Fahrgemeinschaften zur Verlagerung zu klimaverträglicher, gesunder Arbeitsmobilität zu motivieren.

Dem Gehen und Radfahren ausreichend Raum geben

  • Bewegungsaktive Mobilität hat einen positiven Effekt auf die physische und psychische Gesundheit.

  • Gehen und Radfahren sind wesentliche Elemente für die gesunde Entwicklung von Kindern. Bewegung, motorische Fähigkeiten, Konzentrationsfähigkeit und soziale Kontakte können dadurch verbessert werden.

  • Ohne gut nutzbare und qualitativ hochwertige Infrastruktur kann das volle Potenzial des Gehens und Radfahrens nicht ausgeschöpft werden. Je besser die Infrastruktur, desto eher sind Menschen bewegungsaktiv mobil.

  • Es gibt viele erfolgreiche Konzepte, um Städte nachhaltig und gesund zu gestalten – etwa die 15-Minuten Stadt, Superblocks und Begegnungszonen. Es gilt diese nun auch großflächig umzusetzen.

 
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